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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

mußte dies Alles im Finstern und tastungsweise geschehen – steckte in den Stiel meines Zellenbesens ein längeres Stück Holz, das im Ofen aufbewahrt lag, und mein ganzer fürchterlicher Apparat zum Ausbruche aus dem Staatsgefängnisse des Obervoigtlandes war fertig. Ein Tisch, ein starkes Buch, ein Stuhlbein, ein Besen, ein Scheitchen Holz! „Ein geborener Künstler bedarf weniger Werkzeuge,“ pflegte Franklin zu sagen und hobelte mit der Holzaxt.

Die letzte Hülle hatte ich abgestreift, um bei allfälligem Mißlingen am Morgen kein verrußtes Nachthemd als Verräther zu besitzen. Auch war die Oeffnung sündhaft eng und ganz und gar nicht für eine behäbige Ausbrecherbequemlichkeit berechnet. Obgleich es Ende Juli war, fror es mich bald erbärmlich, als ich mich zwischen den eisernen Wänden des Oefchens eingekeilt hatte, um wacker drauflos zu arbeiteten. Ich klapperte anfänglich vor Frost und Aufregung.

Zuvörderst nahm ich den beweglichen Rost heraus und schob dann durch den Aschenbehälter, dessen Thürchen auf dem Corridor ich am Tage unbemerkt und mit Hülfe einer Kriegslist und zwar in Gegenwart beider Gefängnißwärter geöffnet hatte, meinen verlängerten Besen nach dem Corridor hinaus. Hierauf kam die erste Hauptschwierigkeit: das Herausnehmen des Ofenthürchens, dessen Rahmen so eng war, daß kein Kind hindurch gekonnt hätte. Ueber die Einrichtung desselben hatte mir Blankmeister schon einige Monate vorher telegraphische Mittheilungen gemacht, da er nach meiner Anweisung von seiner früheren Zelle aus gelegentlich eines Neubaues von Gefängnissen genaue Beobachtungen darüber gemacht hatte, wie diese Thürchen eingesetzt werden. Er telegraphirte mir klar und deutlich, wie ein Baumeister, die Auflösung des Räthsels zurück; es war sehr einfach. Ich rüttelte mit der Hand den Rahmen heraus und legte dann Ziegel um Ziegel zurück in die Zelle. Bald war die Oeffnung so groß, daß ich mit den Schultern hindurch konnte.

Zwischen dem Ofenthürchen und der Kaminthür, die auf den Corridor führte und nach innen, wie die Gefängnißthür, mit starkem Blech gefüttert und mit Nägeln beschlagen war wie eine Bergsandale, befand sich ein enger, etwa acht Zoll breiter Raum, der nach oben in das russische, ganz enge Kamin und nach unten in den Aschen- und Zugkasten ausmündete, in welchem mein verlängerter Besen lag. In diesen engen Raum mußte ich nachrücken, so daß ich den Kopf fest an das beblechte und benagelte Kaminthürchen anlehnen, die linke Wange auf den Granitsockel besagter äußerer Thür fest auflegen mußte, um den linken Arm durch den Zwischenraum hinab in den Aschengang zu zwängen. Dies gelang; ich stieß nun meine Besenlanze behutsam zum Thürchen des Aschenbehälters auf den Zwischengang hinaus, drückte den Ellenbogen fest auf den Boden des Aschenraumes und gewann in dieser Lage mit dem linken Vorderarme so viel Raum, um meinen Angriff, mittelst Handgelenk und Besen, auf die beiden an Kettchen befestigten Vorstecker der Kaminthür beginnen zu können, gleichwie erst dann zum Angriffe auf eine Festung vorgerückt wird, wenn die Laufgräben gehörig eröffnet sind. Diese letzte Kanonade, um Bresche zu schießen, vertrieb allen Frost aus den Gliedern, bald dagegen rann der Schweiß aus allen Poren. Es war eine Art Kampf um Sein und Nichtsein. Der untere Vorstecker flog sofort und laut klappernd heraus, aber der obere stellte alle meine Kunst, alle meine Kraft und Geduld auf eine einstündige, fürchterliche Probe; es war ein Uhr, als der erste wich; um zwei Uhr arbeitete ich noch vergeblich nach vielmaligem Ausruhen, fieberhaftem Wassertrinken und, als kein solches mehr vorhanden war, bei quälendem Durste. Die bei der anstrengenden Arbeit einzunehmende Stellung erzeugte öfters peinlichen Krampf, der mich ebenfalls zu unfreiwilligen Pausen nöthigte. Endlich glaubte ich, es sei eine reine Unmöglichkeit, diesen unbarmherzigen eisernen Wächter der „Gerechtigkeit“ mittelst Besenstiels hinwegzudisputiren, und wollte mich schon verzweifelnd zurückziehen und, in Gottes Namen, die Freuden und Segnungen der Zuchthaushalle erwarten, da rief ich mir noch einmal Muth und Beharrlichkeit zu.

Schon begann der Tag allmählich heraufzudämmern – noch ein Stoß – und laut klappernd rasselte der hartnäckige Steckkopf am Thürchen draußen herab. Rasch schlüpfte ich durch die geöffnete Thür auf den Gang hinaus, ein über und über schwarzer Adam. Ebenso rasch befreite ich die gegenüberliegende Kaminthür von ihren zwei Vorsteckern und riß das dortige Ofenthürchen auf, um Freund Blankmeister, der längst laut meiner Anweisung gelernt hatte, den innern Ofen zugänglich zu machen, heraus zu accouchiren. Ein kurzer Augenblick, und des Advocaten schwarzbuschiger Dickkopf tauchte aus seiner Höhle empor. Dem Herrn Collegen hatte die lange Haft gut angeschlagen; er war beleibt geworden. Doch hinten schoben die kurzen Beine sammt dringender Nothwendigkeit emsig nach, und vorn zog ich als Neger mit all der mir zu Gebote stehenden Naturkraft, und seine polizeiwidrige zweite Geburt war vollendet. Alles dies ging so rasch, aber auch so still als möglich vor sich. Immerhin war es wunderbar, daß unser unfern schlummernder denunciationslustiger Stadtförster, wie alle übrigen Gefangenen, von alledem nichts hörten. (Nachwirkungen der Sonnenfinsterniß, die viel Durst gemacht hatte.) Rasch holten wir aus einer leeren Zelle unsere Verhör- und Weidekleider. Ebenso rasch waren wir angekleidet, ich schwarz und nobel, aber in Strümpfen und ohne Hemd, Blankmeister in vom Ofen zerrissener Hose, grüner Wolljacke von mir, böhmischer Mütze mit schwarzrothgoldner Schnur und – Filzschuhen. Blankmeister hatte noch die glückliche Idee, die Uhr mitzunehmen. Ich ließ Alles in der Zelle, denn hier war meines Bleibens nicht mehr; jeder Augenblick war kostbar.


(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Brautleute im Sachsenlande. (Mit Abbildung, Seite 5.) Es ist länger als siebenhundert Jahre her, daß der Ungarnkönig Geisa der Zweite in das Stück des alten Dacien, das heute von uns Siebenbürgen genannt wird, Deutsche einwandern ließ, zum kleinern Theil aus Flandern und vom Rheinlande, zum größern aus dem Harze, der besonders Bergleute liefern mußte, und aus Thüringen; nach beiden letzteren erhielten im Laufe der Zeit alle siebenbürgischen Deutschen den Namen Sachsen. Ueber Land und Leute im siebenbürgischen Sachsen bringt die Gartenlaube später einen ebenfalls illustrirten und eingehenderen Artikel. Jetzt bleiben wir bei unserm Bilde.

Diese Sachsen behielten nämlich mit vielen anderen guten Sitten der Väter in der alten deutschen Heimath auch die des Verliebens und Verlobens bei, und trotz her weiten räumlichen Entfernung von uns sind sie darin uns so durchaus gleich geblieben, daß gewiß sämmtliche verehrte Leserinnen der Gartenlaube an dem ihnen vorgestellten Brautpaare nicht das Geringste auszusetzen haben. Noch heutzutage wird auch bei uns kein Bräutigam seiner Braut den Trauring anders an den Finger stecken können, als es hier geschieht, und hübsch sind alle Beide; liebe gute deutsche Gesichter haben sich diese unsere Sachsen bewahrt seit siebenhundert Jahren.

Besser ist’s, wir treten selbst in die Stube, denn auch in ihrer Einrichtung finden wir Vieles, das uns anheimelt, wenn auch die durchgängige Wohlhabenheit diesem Sachsenvolkes die bäuerliche Einfachheit und Derbheit mit einem eigenthümlichen Luxus aufgeputzt hat. Vor Allem bemerken wir eine außerordentliche Reinlichkeit. In der linken Ecke der Stube sehen wir von dem bis an die Decke aufragenden Schrank (Schüsselramp) für die zahlreichen Schüsseln und Teller der sächsischen Hausfrau nur ein Stückchen hervorstehen; rechts davon findet häufig eine der landesüblichen großen Kisten (Truhen) ihren Platz. All dieser Hausrath ist mit den hellsten Farben, Blau, Weiß, Grün und Roth, bemalt, mit großen Blumen (Rosen und Lilien) und wunderlich geschnörkelten Figuren. Die Zimmerdecke entlang läuft ein hölzerner Rechen, der in der obern Abtheilung die bemalten irdenen Prunkschüsseln und an hölzernen Pflöcken eine stattliche Reihe irdener, ebenfalls bemalter Krüge trägt.

Steht der Schüsselschrank in der linken Ecke, so erblicken wir sicherlich in der rechten den reichgestickten, weißen Bettvorhang, der das bis an die Decke aufgethürmte Bett verhüllt, dessen Einzeltheile reichgestickte Linnenüberzüge zeigen. Schönheit und Zahl der Prunkschüsseln und -Krüge und das hohe Himmelbett, so wie ein reicher Vorrath des schönsten Linnen bilden den Stolz und Reichthum der sächsischen Hausfrau und die geschätzte Mitgift für ihre heirathsfähige Tochter. Wählten doch die Bauern eines sächsischen Dorfes Niemand zum Pfarrer, von dem sie wußten, daß er aus Mangel an Linnen mehr als einmal im Jahre waschen müsse. Zwischen Schrank und Bett zieht sich ziemlich in jeder Bauernstube eine Lehnbank hin bis zu dem Tische, auf dem die immer reine weiße, schwarz oder roch gestickte Tischdecke prangt.

Vor dem Tische befindet sich die Hauptgruppe unseres Bildes, der siebenbürgisch-sächsische Bursche (Knecht) und sein Mädchen (Maid). Bei dem ersten Schlage der Kirchenglocke ist der Bursche zu seiner Braut geeilt, um sie, wie es Sitte ist, zur Kirche zu geleiten und dafür den nie fehlenden großen Blumenstrauß (Rosmarin und Muskat dürfen darin nie fehlen) zu empfangen, den er stolz auf seine breite Hutkrämpe steckt oder ehrbar in der Hand trägt. Seine Braut ist offenbar zum Kirchgange schon gerüstet.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_019.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)