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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Die Umgebung stand wie versteinert – wer von ihnen hätte den Muth finden können, dieses momentane furchtbare Schweigen mit einem Laute zu unterbrechen, oder gar einen indiscreten Blick auf das Antlitz der Herzogin zu werfen, die entgeistert die blutlosen Lippen aufeinander preßte? … Nur ihre Nichte, die junge Prinzessin Helene, lachte unbefangen und muthwillig auf. „Welche Idee, Baron Mainau, eine Frau zu heirathen, die Juliane heißt! … Juliane! Puh – eine Urgroßmutter mit der Brille auf der Nase!“

Er stimmte ein in das heitere Lachen – wie klang das melodisch und harmlos! … Das war eine Rettung! Die Herzogin lächelte auch mit todesblassen Lippen. Sie sagte dem Bräutigam einige Worte mit so viel Ruhe und vornehmer Haltung, wie nur je eine Souverainin einen Untergebenen beglückwünscht hat.

„Meine Damen,“ wandte sie sich darauf leicht und ungezwungen an eine Gruppe junger Mädchen, „ich bedaure, Ihren reizenden Schmuck ablegen zu müssen – der Kranz drückt mich an den Schläfen. Ich muß mich für einen Augenblick zurückziehen, um die Blumen zu entfernen. … Auf Wiedersehen beim Diner!“

Sie wies die Begleitung der Hofdame zurück, welche ihr behülflich sein wollte, und trat in ein Haus, dessen Thür sie hinter sich schloß.

Lilienweiß war ja ihr Gesicht zu allen Zeiten, und die berühmt schönen Augen hatten so oft jenen heißen Glanz, der an das fiebernde Blut des Südländers denken läßt – sie hatte wie immer gütig lächelnd und grüßend gewinkt und war wie eine schwebende Fee hinter der Thür verschwunden. … Niemand sah, daß sie drinnen sofort wie eine vom Sturme niedergerissene Tanne auf den teppichbelegten Boden hinschlug, daß sie, wahnwitzig auflachend, den Kranz aus dem Haare riß und in wildem thränenlosem Schmerz die feinen Nägel in die seidene Wanddraperie krallte. … Und dazu nur eine kurze, streng zugemessene Spanne Zeit, um die Qual austoben zu lassen – dann mußten diese verzerrten Lippen wieder lächeln und alle die Hofschranzen draußen glauben machen, daß das kochende Blut friedlich und leidenschaftslos in den Adern kreise.“

Währenddem stand Baron Mainau, seinen Knaben an der Hand, am Ufer und beobachtete, scheinbar amüsirt, den Tumult bei der Wagenburg. Man hatte ihn beglückwünscht; aber es war wie eine Lähmung über die gesammte Hofgesellschaft gekommen – er sah sich sehr rasch allein. Da stand plötzlich Rüdiger an seiner Seite.

„Eine furchtbare Rache! Eine eclatante Revanche!“ murmelte der Kleine – in seiner Stimme bebte noch eine Schwingung des Schreckens. „Brr – ich sage mit Gretchen: ‚Heinrich, mir graut vor Dir!‘ … Gott steh’ mir bei! Sah man je einen Menschen, der seinem gekränkten Mannesstolze so grausam, so raffinirt, so unversöhnlich ein Opfer hinschlachtete, wie Du eben gethan? … Du bist tollkühn, entsetzlich –“

„Weil ich in nicht ganz gewöhnlicher Form, zur geeigneten Zeit erklärt habe: ‚Nun will ich nicht‘? … Glaubt Ihr, ich werde mich heirathen lassen?“

Der kleine Bewegliche sah ihn eingeschüchtert von der Seite an – dieser sonst so formvollendete Mainau war doch manchmal zu rauh, um nicht zu sagen grob. „Mein Trost dabei ist, daß Du unter den grausamen Maßregeln Deines unbändigen Stolzes selbst schwer leidest,“ sagte er nach einem kurzen Schweigen, doch fast trotzig.

„Du wirst mir zugeben, daß ich das einzig und allein mit mir auszumachen habe.“

„Mein Gott, ja! … Aber nun – was nun weiter?“

„Was weiter?“ lachte Mainau. „Eine Hochzeit, Rüdiger.“

„Wahrhaftig? … Du hast ja nie in diesem Rudisdorf verkehrt – ich weiß es ganz genau. … Also eine schleunigst acquirirte Braut aus dem Almanach de Gotha?“

„Errathen, Freund.“

„Hm – von erlauchtem Geschlecht ist sie, aber, aber – Rudisdorf ist, wie man weiß, jetzt – verödet. … Wie sieht sie denn aus?“

„Guter Rüdiger, sie ist eine Hopfenstange von zwanzig Jahren mit rothem Haar und niedergeschlagenen Augen – mehr weiß ich auch nicht. Ihr Spiegel wird Das besser wissen. … Bah, was liegt daran? … Ich brauche weder eine schöne, noch eine reiche Frau; nur tugendhaft muß sie sein – sie darf mich nicht incommodiren durch Handlungen, für die ich mit einstehen müßte – Du kennst ja meine Ansichten über die Ehe.“

Jenes stolzgrausame Lächeln, das vorhin die Gräfin erbleichen gemacht, zuckte wieder über sein Gesicht hin – offenbar in der Erinnerung an die „eclatante Revanche“.

„Was bleibt mir übrig?“ sagte er nach kurzem Schweigen mit frivoler Leichtigkeit. „Der Onkel hat mir Leo’s Hofmeister Knall und Fall fortgejagt, weil er Nachts im Bette las und consequent knarrende Stiefel trug, und die Erzieherin hat die üble Gewohnheit, entsetzlich zu schielen und im Vorübergehen Confect von den Platten zu naschen – sie ist unmöglich. Ich aber will in der Kürze nach dem Orient gehen, ergo – brauche ich eine Frau daheim. … In sechs Wochen vermähle ich mich – willst Du mein Trauzeuge sein?“

Der Kleine trippelte von einem Fuß auf den anderen. „Was will ich denn machen? Ich muß wohl,“ versetzte er endlich halb zornig, halb lachend; „denn von Denen dort“ – er deutete nach einer Gruppe flüsternder und herüberschielender Cavaliere – „geht Dir Keiner mit – darauf kannst Du Dich verlassen.“

„Du, Gabriel,“ sagte gleich darauf der kleine Leo aufgeregt zu dem weißgekleideten Knaben, „die neue Mama, die kommt, ist eine Hopfenstange – hat der Papa gesagt – und rothe Haare hat sie wie unser Küchenmädchen. … Ich kann sie nicht leiden; ich will sie nicht haben – ich schlage mit der Gerte nach ihr, wenn sie kommt.“




3.


„Liane, da sieh her! Raoul’s Brautgeschenk! – Sechstausend Thaler Werth!“ rief die Gräfin Trachenberg in das Zimmer herein – dann rauschte sie über die Schwelle.

Der Salon, in welchen sie trat, lag parterre in einem Seitenflügel des stolzen Schlosses. Seine ganze Vorderseite sah aus wie eine riesige, hier und da von feinem Bleigeäder und sehr schmalen Thürpfeilern unterbrochene Glasscheibe, welche einzig und allein das Fußgetäfel des Zimmers von der draußen in grandiosem Stil sich hinbreitenden Terrasse schied. Ueber das Terrassengeländer hinaus sah man auf breite Rasenflächen, durchschnitten von Kieswegen, deren Kreuzpunkte weiße Marmorgruppen bezeichneten. Dieses elegante Parterre umschloß ein Gehölz, scheinbar undurchdringlich wie ein Wald und gerade der Mittelthür des Salons gegenüber von einer schnurgeraden, fast endlos tiefen Allee durchlaufen, welche ein hochaufspringender, im Maienlicht funkelnder Wasserstrahl vor dem fernen blauduftigen Höhenzug abschloß.

Das Ganze – Schloß und Garten – war ein Meisterstück in altfranzösischem Geschmacke; aber ach – aus dem Steingefüge der Terrasse stiegen keck und verwegen ganze Schwärme gelber Mauerblümchen, und die unvergleichlich schön modellirten Rasenflächen sträubten sich in despectirlich wuchernden Unkrautbüschen und fingen an, in die Wege auszulaufen; die breite Kiesbahn der Allee aber deckte bereits das intensivste Smaragdgrün. … Und auf was Alles mußten erst die prachtvollen Stuckfiguren des Plafonds im Gartensalon niedersehen! … Sie waren abscheulich blind und wackelig, diese Rococomöbel an den Wänden; sie waren vor langen Zeiten als unmodern aus den brillanten Schloßräumen verstoßen worden und hatten alle Stadien der Demüthigung durchlaufen müssen bis in die Stallknechtstuben hinab, wo sie dem Sand und Strohwisch verfielen und abgescheuert wurden. … Nun standen sie wieder da auf dem Parquet, hohnlächelnde Zeugen der unerbittlichen Consequenzen eines herausgeforderten Schicksals. Alle die Prachtmöbel, die sie einst verdrängt, die kostbaren Spitzengardinen, die Bilder, Uhren, Spiegel, die nach ihnen gekommen, waren dem Hammer verfallen – sie wanderten hinaus nach allen vier Winden, und nur das alte verachtete Gerümpel durfte bleiben und wurde ängstlich reclamirt; denn es gehörte zum Fideicommiß und durfte nicht verkauft werden, als – die Sequestration über sämmtliche Güter des Grafen Trachenberg verhängt wurde. Das war vor vier Jahren geschehen – „ein schmachvolles Zeichen der ruchlosesten Zeit, ein empörender Sieg des Capitals über das Ideale, den ein gerechter Himmel nie hätte zugeben sollen,“ sagte die Gräfin Trachenberg immer.


(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_004.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)