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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Ihr Auge senke sich und traf die dunkle Gestalt, die ihr unbeweglich zur Linken saß.

Wernick erhob sich nicht. Kein zweiter Laut kam von seinen Lippen, nur seine Hand machte eine leichte winkende Bewegung, indem sein Blick auf sie gerichtet blieb. Dora flog zu ihm hinüber, wie von magischer Kraft fortbewegt. Seine Hände schlossen sich um die ihren; die Augen tauchten ineinander. Während sie so vor ihm stand, wußten Beide Nichts von Vergangenheit, Nichts voll Zukunft. Sie waren Eins.

Ernst’s Arm umfaßte die Geliebte, um sie näher an sich zu ziehen, doch entwand sie sich zuckend seiner Berührung, neigte sich und preßte ihre Lippen auf seine Hand. „Was thust Du?“ rief er mit zu spät abwehrender Bewegung.

„Ich danke Dir, daß Du vergeben kannst,“ sagte sie mit blassem Munde. „Ich segne Dich dafür; nun läßt sich das Leben wieder tragen, auch fern von Dir.“

„Sprich nicht von Vergeben!“ sagte Ernst, indem er sich erhob und sie fest in seine Arme nahm. „Wir lieben uns noch; das hast Du empfunden gleich mir, das füllt jede Kluft – Du bist mein, Dora, und Du bleibst es.“

„Nie!“ rief sie schauernd, indem sie zurückwich. Die alte Starrheit legte sich gnadenlos über das schöne Gesicht.

„Dora!“ rief Wernick mit Leidenschaft, „spiele nicht zum zweiten Mal mit unserem Leben!“

Sie blickte trostlos in’s Weite. „Ich habe dereinst mit einem anderen Leben gespielt, und – es ging verloren. Du weißt nicht, was ich zu verbüßen habe, Ernst. Niemand auf Erden weiß es. Kein Zufall ließ Sandor sterben – er fiel durch eigene Hand, nein, durch die meine, denn ich bin es, die ihn in den Tod getrieben.“

„Dora!“

„Nicht wahr, das glaubtest Du nicht? Aber Du mußt es erfahren, damit Du weißt, wer ich bin, und daß es für mich kein Wünschen mehr giebt – und kein Hoffen mehr. Ich habe Dich geliebt aus Grund meiner Seele, Ernst, und Deiner nie vergessen, auch dann nicht, als ich mich in wahnsinniger Bethörung von Dir losriß, auch dann nicht, als ich mir vorsagte, durch einen Anderen glücklich zu sein. Und so brennende Schmerzen schuf mir der heiße Widerstreit, daß ich Deines eigenen Leides, meiner Schuld gegen Dich kaum gedachte, Nichts sonst empfand, als daß ich Dich für immer verloren. Da hielt mir ein Brief Robert’s mein Bild vor, und ich schaute mit Grauen die verzerrten Züge. Wohl hatte ich Sandor gestanden, daß ich zuvor einen Anderen geliebt, daß ich um seinetwillen ein früheres Wort gebrochen, aber er vergab dem Wankelmuth, weil er an die Liebe nicht glaubte. Ich hatte es feige angenommen, als er mich von völliger Beichte lossprach; jetzt erschien es mir wie sündhafter Betrug, daß ich ihm nicht mehr gesagt. Ich sandte ihm Robert’s Brief, damit er mein Urtheil daraus lesen möchte. Er las sich Anderes heraus, nicht die Verachtung, welche ich mir bei den Meinen verdient, wohl aber die Liebe, die mich Dir verband. Wahrheit ging ihm auf aus Robert’s anklagender Schilderung unseres Bundes, und sein Herz trug diese Erkenntniß nicht. Edel wie immer, ging er aus der Welt, ohne meine Seele mit der Bürde belasten zu wollen, die ihn in den Tod trieb. Er vergaß, daß mein Gewissen mich lehren würde, ihn zu verstehen, daß mein schuldbewußtes Herz erkennen mußte, woran das seine brach. Was er empfunden, ist ja Wahrheit gewesen. Selbst in den Todesmartern dieses Bewußtseins war es nicht sein, war es Dein Verlust, der seitdem wie ein Wurm an mir genagt hat, Tag um Tag, Jahr um Jahr.“

Sie sank kraftlos auf den Sitz nieder und verhüllte ihre Augen.

„Und Du willst mir dennoch nicht gehören!“ sagte Wernick nach schwerer Pause.

„Dir gehören! über dieses Grab hinweg – wäre es nicht Lästerung? Wem ein stummer Schatten zur Seite geht, der kann keinem Lebenden Glück bringen.“

„Mein Recht ist älter, ist heiliger, als das Recht dieses Todten, Dora. Sprichst Du wahr, hast Du nie aufgehört mich zu lieben, dann schuldest Du mir auch das Leben, das Du mir einst zugelobt –“

„Es gehört nicht mehr mir; es gehört einzig der Buße,“ sagte sie ernst. „Der letzte Wunsch ist erfüllt: ich sah Dich noch einmal; Du hast mir vergeben – damit ward mir mehr, als ich verdiene. Erbarme Dich auch ferner, und dringe nicht in mich, daß ich Dein werden soll, wie die Liebe es versteht! Ich habe schon einmal an mir erlebt, wie elend schwach ich bin. Folgte ich Deinem Rufe, gäbe ich auch das Letzte auf, was mir von Selbstachtung geblieben, dann müßte Wahnsinn das Ende sein. Für mich giebt es nur noch einen Platz, und das ist der, auf welchem ich stehe. Die Meinen bedürfen mich nicht. Sie sind geborgen, und ich selbst war der Kaufpreis – dorthin will ich, kann ich nicht zurück. Hier füllt mein unseliges Dasein wenigstens eine Stelle, die Anderen zu Gute kommt – ich lehre diesen Kindern anders sein, als ich bin, und sie lieben mich sogar.“

Sie stand auf und hüllte sich fröstelnd in ihr leichtes Tuch. Schon begannen tiefe Schatten zu sinken; der letzte Sonnenstrahl war verschwunden. Wernick saß, den Kopf auf die Hand gestützt, in tiefes Sinnen verloren. Nun erhob auch er sich:

„Alles, was ich Dir sagen könnte, hieße nur meine eigene Sache führen – ich stehe rathlos, denn wie Du nur Nacht erblickst, sehe ich Licht, und weiß doch nicht, wo ich Deine Augen dem Strahl der heiligsten Wahrheit erschließen soll. In Dich dringen will ich, darf ich nicht. Giebt es noch Heil für uns, so kann es nur aus Deiner eigenen Seele kommen. So sei es denn! Ich scheide von Dir und kehre nicht wieder, wenn Du mich nicht rufst.“

Sie antwortete nur mit starrem Kopfschütteln und sah mit einem Blicke innerer Vernichtung vor sich hin, als dächte sie in’s Bodenlose hinein.

Ernst bot ihr schweigend den Arm und führte sie durch die dämmerigen Gänge dem Sammelplatze zu. Als er in einer der Alleen eine bekannte Dame erblickte, welche sich gleichfalls von der Gesellschaft getrennt und dieselbe nun aufzusuchen schien, übergab er seine Gefährtin deren Fürsorge und nahm stummen Abschied.

Die Hand, auf welche seine Lippen ein Lebewohl hauchten, war kalt, wie die einer Todten.




16.
Zoppot, im September. 

 Dora an Ernst Wernick.
Nimm mich hin, Ernst, wie Du es begehrst! Aus fremdem Mund erklang mir das erlösende Wort, das Du selbst nicht sprechen wolltest, weil es ein Wort der Anklage war: daß nur Selbstsucht das Glück des Liebsten dem eigenen Empfinden opfern kann. Es wurde mir zur Offenbarung. Ja, nur Selbstsucht war es, die mich alle meine Sünden begehen ließ, die mich auch jetzt wieder nur das eigene Wohl und Wehe hat erkennen lassen. Nicht der heilige Todte stand zwischen uns; er würde die Sühne, die ich ihm zu bringen dachte, als seiner unwerth zurückweisen. Mein eigenes feiges Herz war es, dem starres Verzichten leichter schien, als muthiges Bezwingen seiner Kämpfe und Schmerzen. Nimm es hin, da Du es noch lieben kannst – laß mich’s wagen, Dein Glück zu sein! All mein eigenwilliges Selbst lege ich Dir gebunden zu Füßen, und mir ist, als dürfte ich Dir’s heute bieten. Wenn es ganz dunkel um uns ist, bangt sich die Seele umsonst nach einem Halt in all der Wirrniß; fällt aber ein Strahl in die Nacht, dann findet unaussprechliches Sehnen den lang verhüllten Weg. Alle höchsten Güter, die mir auf ewig verloren schienen, weil ich sie freiwillig aufgegeben, Gott, Heimath und Liebe, sehe ich zwar noch fern, aber nicht unerreichbar mehr.

Du bist heute von hier gegangen. Ich ließ Dich ziehen, ohne Dich zu halten. Das erschütterte Herz wagte nicht, sich Dir Aug’ in Auge zu öffnen. Doch zu Dir sprechen mußte es, ehe auch ich von dem theuren Orte scheide. Dieses Blatt wird vor Dir in Deiner Heimath sein. Es bringt Dir Alles, was ich bin. Schalte damit nach Deinem Gefallen!

Dora. 


17.

Am Jahrestage des Parkfestes von Oliva saß ein einsames Paar auf der Bank am Teiche. Des Mannes Arm umschlang die weiche Gestalt der schönen Frau; sein Blick ruhte auf ihr voll Freude und Liebe.

„Hier,“ sagte Dora Wernick, indem sie das gesenkte Auge erhob, „an dieser Stelle war es, wo eine Fremde mir kundgab,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 850. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_850.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)