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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

„Das läßt sich wohl gut anhören, ist aber nicht beglaubigt,“ entgegnete der König. „Wer bürgt dafür, daß dahinter nicht ein gegen mich gerichtetes Complot, meine Sicherheit, mein Leben gefährdend, versteckt sei? Wie? Ich soll den Leuten trauen, welche in ihrer Vermessenheit mein eigenes Quartier zum Versteck für ihre Sicherheit wählen und von Denen sorglichst unterstützt werden, welchen ich Glauben an ihr nicht feindseliges Benehmen gegen mich schenkte? Die Sachsen sind meine eingefleischten Gegner; ich kenne das.“

„Ja, Majestät, sie sind in Wahrheit Ihre Gegner; aber sie sind keine Banditen,“ rief Fräulein Doris lebhaft. „Es mögen viele Mängel und Fehler an unserm sächsischen Volke haften, sicher aber nicht die Schmach, seinen Feinden hinterrücks Verderben zu bereiten. Es ist ein treues Volk, das seinem angestammten Fürstenhause in Leid und Freud’ durch die schwersten Prüfungen im Verlaufe der Jahrhunderte angehangen hat und ferner noch anhängen wird. Kann man im Ernste einem solchen Volke es als ein Verbrechen anrechnen, wenn es einen fremden Fürsten, der mitten im Frieden mit seinem Heere es kriegerisch überzieht und seinen Wohlstand erschüttert, feindlich ansieht? Gewiß nicht, Majestät. Würden Eurer Majestät Preußen nicht ganz Dasselbe thun, wenn ein fremder Eroberer in ihr Land einfiele? Es muß schlecht mit einem Könige bestellt sein, der ein Volk regiert, das sich nicht gegen solchen Wechsel sträubt.“

„Sie spricht ja wie ein Buch,“ äußerte der König lächelnd „Erschrecke Sie nicht, Fräulein! Habe die Leute gern, die frank und frei vom Herzen herunter reden. Eins aber ist mir unangenehm … ich hoffte Sie für … Preußen zu gewinnen.“

„Mich, Eure Majestät?“

„Ja, Sie … und gebe die Hoffnung noch nicht auf.“

Nach diesen Worten rief der König seinen Kammerdiener, welcher nach einem erhaltenen Winke seines Herrn sofort wieder das Gemach verließ. Das Gesicht des hohen Herrn heiterte sich sichtbar noch mehr auf, als sein Blick auf Frau Marianne fiel, die neben dem Nehemia stand, der sich in tiefster Unterthänigkeit wie ein Igel zusammenkrümmte, damit seine große ramassirte Gestalt nicht so auffällig werde.

„Nun, Frau, was meint Sie, soll ich noch umsatteln?“ fragte der König. „Denkt Sie nicht auch, es wird das Beste sein, ich bleibe, was ich bin?“

„O, allergnädigste Majestät, ich hatte es wegen des schönen Flautusenspiels herzlich gut gemeint …“

„Weiß schon, weiß schon,“ fiel ihr der hohe Herr in’s Wort. „Habe da eine nicht erkaufte Ehre genossen; das ist auch etwas. Und wegen den Österreichern muß ich schon sehen, wie ich mir selbst helfe; denke indeß, ’s wird auch gehen. Mache Sie aber nicht mehr in derlei Angelegenheiten, Frau! Ich warne Sie … halte Sie lieber an der Flautuse fest!“

Während die Frau Castellanin so tief knixte, daß ihr pfirsichblüthenfarbiger seidener und sehr weitbauschiger Rock wie ein Laufkorb sich um sie formirte, aus dem nur ihre Büste hervorragte, wurden männliche Tritte im Nebengemach hörbar, dessen Flügelthür der Kammerdiener öffnete und den Major von Wangenheim und den sächsischen Jagdjunker von Liebenau hereintreten ließ. Doris’ Lippen entschlüpfte ein Laut der höchsten Ueberraschung.

Der König schien nichts davon bemerkt zu haben; er musterte den Junker scharf und sagte dann zu ihm: „Seine Equilibers über den Hasensprung und die Parkmauer sehe ich Ihm diesmal nach und will auch Vorsorge tragen, daß Seines Cäsar’s eisenbeschlagene Lunge bei Seiner Rückkehr durch meine Vorposten nicht in Gefahr gerathe; aber treibe Er solche gefährliche Versuche nicht wieder! Nicht jeder Tag ist ein Glückstag.“

„Majestät!“ riefen beide Geschwister, und Doris sank in ihrer Freudenaufregung auf die Kniee und stammelte die Frage: „Wie können wir Eurer Majestät großer Gnade danken?“

„Aufstehen, aufstehen!“ befahl der König, indem er ihr selbst die Hand dazu reichte. Dann blickte er auf den Major und sprach. „Wangenheim, jetzt ist Er an der Reihe. Wer Herzen gewinnt, ist auch ein Sieger. Mache Er Die da preußisch gesinnt.“

Mit wohlwollendem freundlichem Blick auf Doris und die Frau Castellanin verließ der König, von seinen Windspielen umsprungen, das Gemach. – – –

Der siebenjährige Krieg brachte unsägliches Elend über Sachsen und namentlich über dessen Residenzhauptstadt, aber auch König Friedrich der Zweite trug die Merkmale der harten Schicksalsschläge, die in den letzten Jahren dieses unseligen Krieges auf ihn niederfielen, zur Schau in seinem Aeußeren. Nicht als heiterer, kräftiger Sieger, wie er 1756, den Krieg eröffnend, in Dresden eingezogen war, kehrte er 1763 nach Berlin zurück, sondern als ein unter den schwersten Prüfungen vorzeitig gealterter Mann.

Und als die Friedensglocken wieder über das reizende Elbthal hin ihr Te Deum laudamus gesungen hatten, kamen auch die vornehmen Flüchtlinge nach der Elbresidenz zurück, die meisten, um sich aus den Trümmern ihrer Paläste nette Heimstätten zu gründen; auch Gräfin Mosczynska bezog wieder ihr Palais. Da sah man sie in den Sommerzeiten der folgenden Jahre oft am Arme einer jungen Dame, an deren Seite ein kleiner, lustiger Knabe hintollte, durch den Park promeniren. Die junge Dame war die Frau Baronin von Wangenheim, deren Gemahl preußischer Generalmajor geworden, und zuweilen fand sich ein junger Forstmeister ein, der ehemalige königliche Jagdjunker Wilibald von Liebenau. Mit Vorliebe besuchte er im Parke die Stelle des Hasensprunges und pflegte dann lachend zu sagen: „Doris, das war ein verteufelter Satz, den ich damals hier machte. Wer weiß, ob ich ihn heute wieder fertig brächte?“

Der würdige Herr Nehemia Drill war, statt zum Castellan, zum Portier avancirt; Frau Marianne hatte seine Werbung in milder Form, aber entschieden für immer abgewiesen.

„Wer einen König geliebt hat, kann keinen Heiducken heirathen,“ sagte sie zu sich, und dieser erhabene Gedanke wurde zur Losung ihres mit stolzem Selbstgefühl von ihr behaupteten Wittwenstandes.

Franz Carion.




Berliner Straßenbilder.
II.

So viel auch in den verschiedenen Regionen der Gesellschaft nach Popularität, nach jenem verlockenden Kleinode der Volksgunst, nach der warmen Begeisterung der großen Massen gestrebt wird, nur den wirklich durch Herzens- und Geisteseigenschaften Bevorzugten kann es gelingen, ein andauerndes und tieferes Interesse unter den Menschen zu erwecken.

Die am wenigsten um diese Auszeichnung sich bemühen, schlicht und einfach in ihrer eigenthümlichen Weise ihren Weg wandeln, von denen man aber weiß, daß sie Gutes im Sinne haben, gehören oft zu den populärsten Gestalten eines Landes oder einer Stadt. – Vor uns im Bilde sehen wir auch einen solchen schlichten, einfachen, aber weithin bekannten und gern gesehenen Mann, der, auf den Stufen eines Thrones geboren, im Glanze eines Hofes erzogen, berufen war, als königlicher Prinz sein Leben in der vordersten Reihe eines in Bildung und Macht schnell voranschreitenden Staates leitend und fördernd zu verbringen, und der sich dadurch eine natürliche Anspruchslosigkeit und eine tief innere Einfachheit zu erhalten gewußt hat, die ihn überall, aber namentlich in Berlin, zu einer der populärsten Erscheinungen gemacht haben. Denn diese Eigenschaften waren es, die den verstorbenen Prinzen Adalbert von Preußen wirklich unter das Volk führten, sei es auf Reisen oder zu Hause, in den Straßen Berlins oder auf den verschiedenen Spaziergängen der Hauptstadt. Ausgestreckt auf den weichen Polstern einer Carosse, gezogen von feurigen Rossen, durch die Stadt dahin zu fliegen, wenig oder nichts zu sehen von dem pulsirenden Leben einer großen Stadt, das war nicht nach seinem Geschmack. Kunst, Wissenschaft und Industrie bildeten zu sehr die Beschäftigungen, das Interesse seines Lebens, als daß er es verschmäht haben sollte, ihre Erzeugnisse unter dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 838. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_838.JPG&oldid=- (Version vom 22.12.2016)