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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


doppelte und dreifache Entfernung ihrer Vollhöhe getragen, was einen Druck von 10 Pfund per Quadratfuß und eine Geschwindigkeit von 80 Fuß ergiebt. Ein mit 80 Centnern beladener Frachtwagen, der dem Winde 100 Quadratfuß Fläche darbot, wurde mit einer Geschwindigkeit von 8 Fuß per Secunde horizontal fortgetrieben; Fensterscheiben von 18 Zoll im Quadrat wurden vom Winde eingedrückt, woraus ein Druck von 22 Pfund per Quadratfuß berechnet wird.

Im Jahre 1805 wurde eine Abtheilung der aus Italien sich zurückziehenden Armee auf der Strecke gegen Präwald beim Ansteigen der Höhe von heftigem Borasturme überfallen, so daß buchstäblich Roß und Reiter in den Graben und auf nachrückendes Fußvolk geworfen, jede Hoffnung des Weiterkommens aufgegeben wurde und viele Mannschaft zu Grunde ging. Auf der Strecke der alten Laibach-Triester Poststraße zwischen St. Peter in der Poik bis Divazza bei Canzia wurde der von Triest kommende Postwagen einmal von einem heftigen Boraschneesturme, gegen welchen doppelter Vorspann von Pferden nichts mehr vermochte, in den Straßengraben getrieben und umgeworfen; während der Postillon selbst mit Lebensgefahr in das nächste Dorf zu gelangen und Hülfe zu bringen suchte, war der Conducteur, der den Wagen nicht verlassen wollte (Fleischmann hieß der Brave) von den endlich herbeikommenden Bauern ganz in Schnee begraben, fast erfroren gefunden und konnte erst spät wieder zum Leben gebracht werden. Es könnten noch eine Menge Unglücksfälle, durch die Bora verschuldet, angeführt werden. Die Eisenbahn kann während ihres Wehens nur dadurch in Betrieb erhalten werden, daß sie dort, wo sie ihrem Anprall ausgesetzt wäre, durch starke Holzgalerien geschützt ist.

Der Schauplatz ihres stürmenden Laufes ist im Allgemeinen die Nordküste des adriatischen Meeres, zunächst der Karst, Görz, Istrien, der Quarnero, die dalmatinische Küste und das Meer bis in die Breite von Ancona; sie ist an der östlichen Küste viel stärker als an der westlichen, von Triest gegen Venedig abnehmend, am Quarnero und seinen Inseln oft mit Heftigkeit wehend, während sie in Venedig und weiter hinab wenig verspürt wird.

Das Sonderbarste an ihr ist die scharfe Grenze ihres Verbreitungsbezirkes gegen Nord; sie scheint hier eigentlich auf dem Karstplateau von Adelsberg zu entstehen; sie stürmt gerade da bei Planina und stoßweise selbst noch in Loitsch mit größter Heftigkeit, während in Oberlaibach, Laibach und ganz Oberkrain völlige Windstille herrscht. Die Grenzlinie zieht sich von da gegen Westen über die Höhen bis etwas nördlich von Görz zwischen Udine und Palma hin, wo sie an Stärke abnimmt, so daß dieselbe z. B. in Grado schon viel geringer ist als in Triest und gegen Venedig ihren stürmischen Charakter ganz verliert; ebenso gegen Ost.

Wie ist nun aber diese seltsame Erscheinung überhaupt und vorzüglich der sonderbare Umstand zu erklären, daß sie eine so scharfe Begrenzung zeigt, jenseits welcher regelmäßig auf großen Strecken völlige Windstille herrscht, während diesseits der gewaltige Sturmwind braust? Man hat immer den Gegensatz der bei Regenwetter über dem Meere lagernden warmen feuchten Luft zur kalten trockenen, auf den Alpen ruhenden als die Entstehungsursache der Bora angesehen, konnte aber damit weder die Länge der Dauer oder die Menge der abfließenden Luft, noch die scharfe Grenze derselben erklären.

Eine nach unserer Meinung völlig befriedigende und auch allgemein angenommene Erklärung des verwickelten Phänomens hat die Zeitschrift der österreichischen Gesellschaft für Meteorologie geliefert, die wir den Lesern mittheilen, wobei wir jedoch nicht außer Acht zu lassen bitten, daß die Veränderlichkeit des Wetters unserer Breiten durch den Kampf zweier entgegengesetzten Luftströmungen erklärt wird, der warmen Aequatorial- und der kalten Polarströmung. An den heißesten Stellen der Erde, der Tropenzone, steigen die erhitzten, am warmen Meere mit Dunst gesättigten Luftmassen in die Höhe, fließen zu beiden Seiten des Aequators gegen die Pole hinab, werden auf der Wanderung abgekühlt, lassen ihre Feuchtigkeit als Regen oder Schnee fallen und strömen endlich als kalter trockener Polarstrom (Passatwind) wieder gegen den Aequator hin. Durch die Achsendrehung der Erde erhält der vom Aequator kommende Luftstrom eine südwestliche, der polare eine nordöstliche Richtung. Je nach dem Vorherrschen der kalten trockenen Polar- oder der feuchten Südströmung herrscht also bei uns trockene kühle oder warme feuchte Witterung; der stete Kampf beider bedingt eben die Veränderlichkeit unserer Witterung.

Es liegt nun in der Natur der beiden Ströme, daß der Südwestpassat (Aequatorialströmung) als der wärmere, somit leichtere in der Höhe der Atmosphäre, der polare aber als der kalte schwere an der Erdoberfläche hinströmt; es kann auch gar wohl, und dies ist nicht so selten der Fall, an derselben Stelle einer über dem andern hinziehen. Treffen sie also irgendwo ein Gebirg als Hinderniß, so wird der Südwest über dessen Gipfel ziehen, sie erwärmen, während im Thale noch die kalte Luft des Nordpassates ruht. Daher die in vielen Fällen in der Schweiz und regelmäßig in Kärnthen beobachtete Erscheinung, daß vorzüglich im Winter die Höhen viel mildere Temperatur haben, als die am Thalboden liegenden Orte. – Zieht aber der kalte Polarstrom über eine gebirgige Gegend, so wird er durch die Gebirge aufgehalten und gezwungen, über ihre Kämme und Gipfel aufzusteigen, darüber wegzuziehen und nur dort in die Thäler zu dringen, wo niedrige Sättel und lange Thalbildungen ihm dies erleichtern und möglich machen. An solchen günstig gestalteten Passagen wird, wo die Luftmassen durch die nachrückenden und theilweise von der Seite eindringenden hindurch gepreßt werden, der Wind zu starkem Sturm sich steigern. Wo aber das Gebirge zur Ebene sich abdacht, werden die darüber wegströmenden Lustmassen in einer ihrer Geschwindigkeit entsprechenden Entfernung von demselben mit Gewalt zu Boden stürzen. Die Erscheinung gleicht dann ganz im großen Maßstab einem Stauwerke (Wasserwehre), über welches das Wasser mit großer Geschwindigkeit dahinfließt und in parabolischem Bogen zu Boden stürzt. Die freilich mit viel größerer Geschwindigkeit bewegte Flüssigkeit ist hier die kalte Luft, die, eben durch ihre Geschwindigkeit, weit dem Gebirge zu Thale stürzt, hier Sturm erzeugt, während dicht am Fuß der Berge (wie bei dem Wehre) die Luft ganz ruhig bleibt. Es kann somit sehr wohl von den Berggipfeln und in besonders gestalteten Thalbecken stürmen, während in andern, nahe liegenden Windstille herrscht.

Daß dem auch wirklich so sei, haben auch die Beobachtungen dargethan. Gerade in der Nähe des Boragebietes haben wir ein Gebirgsland, das, wie kein anderes, mit zahlreichen und sorgfältig gepflegten Beobachtungsstationen versehen ist, nämlich Kärnthen, das deren noch viel mehr als die Schweiz besitzt. Die dort seit einer langen Reihe von Jahren fortgesetzten Beobachtungen haben gezeigt, daß an Berggipfeln und am Fuße der Pässe der Tauernkette sehr häufig Nordwind mit boraartiger Heftigkeit weht, während sonst im Thale Windstille herrscht. Ein solcher Beobachtungsort befindet sich am Berge Obir, der in der zwischen Kärnthen und Krain gelagerten Gebirgskette der Karavanken und so gelegen ist, daß man von ihm sogar bis in das Gebiet der Bora sehen kann. Nur zweihundertunddreißig Fuß unter dem Gipfel des sechstausendsiebenhunderteinundfünfzig Fuß hohen Berges liegt ein Bleibergwerk und Knappenhaus, wo durch die Grubenvorsteher schon seit 1846 regelmäßige Beobachtungen gemacht und aufgezeichnet werden. Eben so finden sich an den Pässen der Nordalpen solche Stationen, so St. Peter am Fuße des Katschberges, über den die Straße nach Salzburg, Mallnitz und Oberkellach nahe dem Mallnitzertauern, über den ein Saumweg nach Gastein führt. Dort in Oberkärnthen nennt man den zu Zeiten mit Heftigkeit auftretenden Nordwind den Tauernwind, da er von dem Gebirge der Tauern herabkommt.

Die genaue Durchsicht der Beobachtungen der angegebenen Orte hat nun gelehrt, daß nicht nur die mittlere Stärke des Windes an diesen Orten viel größer als an den übrigen, sondern daß fast ohne Ausnahme an den Tagen, wo in Triest die Bora stürmt, an den Berggipfeln, wie Obir, und an den Tauernpässen (St. Peter etc.) stürmischer Nord- oder Nordostwind herrsche, daß das Eintreten der Bora fast genau mit dem des Tauernwindes zusammenfalle und auch die Dauer dieses mit dem Wehen jenes übereinstimme.

Diese beobachteten Thatsachen nöthigen uns anzuerkennen, daß die Bora und der Tauernwind nicht blos locale, durch locale Bedingungen erzeugte Luftströmungen sind, sondern daß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 827. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_827.JPG&oldid=- (Version vom 6.1.2019)