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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


sie birgt heute noch Götzens Brustharnisch, welchen er einst dem Heilbronner Syndikus Stephan Feyerabend verehrt hatte; die eiserne Hand wird in Jagsthausen aufbewahrt. Jenes harten Bannes aber wurde der Ritter, dessen Unschuld nachträglich auch gerichtlich anerkannt wurde, später vom Kaiser entbunden, und wir finden ihn in dessen Dienste im Jahre 1542 in Ungarn und 1544 in der Champagne. Von da an – er war jetzt vierundsechszig Jahre alt – scheint er sich ziemlich ruhig gehalten zu haben; am 23. Juli 1562 machte der Tod seinem wechselvollen Leben auf seinem Schlosse Hornberg ein Ende.

Unter den historischen Gebäuden der Neckarstadt ist eines der bekanntesten das Haus jenes Käthchens, das Heinrich von Kleist zum Mittelpunkte seines romantischen Dramas gemacht und mit einem Nimbus von wunder- und märchenhaften Motiven umgeben hat. Allein bei näherer Untersuchung über Person und Leben dieses Käthchens schwindet, wie auf Grund neuester Untersuchung immer mehr zu Tage tritt, das, was an ihr historisch sein soll, mehr und mehr in den grauen Nebel der Mythe, und wer andächtig vor dem Hause des wunderbaren Mädchens steht, der befindet sich im Banne eines Gefühls, welches jeder historischen Grundlage entbehrt.

In der neueren Geschichte spielt Heilbronn keine Rolle; nur zur Zeit des dreißigjährigen Krieges gewann es vorübergehend noch eine gewisse Bedeutung durch den daselbst 1633 tagenden Convent, dessen Ergebniß der Heilbronner Vertrag zur Fortsetzung des Krieges war.




Eine böse Fee der Alpen.


Vor dem Hausthor meines Oheims stand der Reisewagen, der uns vor vielen Jahren, mich und meinen Vater, von Triest nach einer Ferienreise wieder in die Heimath bringen sollte. Noch einmal wurde Abschied genommen, und mein Oheim entließ uns endlich mit dem wiederholten besorglichen Ausruf: „Wenn nur die böse Fee nicht kommt!“

„Diese böse Fee,“ lautete die Antwort auf meine Frage nach ihr, „wohnt da oben unsichtbar auf den Höhen des Karstes, verbirgt sich lange, fast den ganzen Sommer über, in den Höhlen und Spalten des Gebirges; plötzlich aber springt sie hervor, fliegt, Menschen, Thiere, Wagen, ja Bäume und Gebäude vor sich niederwerfend, über die Flächen des Karstes, über Triest in das Meer hinaus, die den Hafen suchenden Schiffe weit hinaus über die Fluthen der Adria jagend und diese selbst zum gefährlichsten Wogentanze aufwirbelnd. Es ist wohl möglich, daß sie heute komme.“

Nun, sie ist wirklich gekommen, die böse Fee, und ich habe sie später gar oft noch und recht gründlich kennen zu lernen Gelegenheit gehabt; sie ist ein so launisches, räthselhaftes Wesen, daß ich den Lesern wohl Etwas erzählen zu dürfen glaube von dieser bösen Fee, der berüchtigten Bora des Karstes.[1]

Der Schauplatz ihrer Thätigkeit hat schon ein eigenthümliches, zum Theil von ihr ihm aufgedrücktes Gepräge. Es ist die südöstliche Abdachung der südlichen Kalkalpen. – Diese unterscheiden sich von den nördlichen durch ihre Wasserarmuth. Während dort die großen Wasserbecken, welche die schönen Seen des Salzkammergutes und Oberbaierns bilden, den Reichthum an Wasser verrathen, fehlen in den südlichen nicht nur die Seen fast gänzlich, sondern sie sind auch überhaupt ärmer an Flüssen, Bächen und Quellen, wie Jeder, der in ihnen herumgewandert, in unliebsamer Weise sich überzeugen konnte; dort jedoch, wo diese Alpen sich zum Meer abdachen, an der Nordküste des adriatischen Meeres, tritt dieser Charakter der Wasserlosigkeit besonders hervor; dort ist die Schichtenstellung des Kalkes eine solche, daß alles darauffallende Wasser schnell in die Tiefe sinkt; dort rauschen in der Tiefe der Erde die Gewässer, die erst weit entfernt irgendwo zu Tage treten oder unterirdisch zum Meere fließen. An der Oberfläche aber, der somit das Lebenselement aller vegetativen Thätigkeit, die Feuchtigkeit fehlt, vergilbt alsbald die spärliche Vegetation; dort breitet sich die Wüste der Alpen aus: der Karst.

Die Bora selbst ist ein heftiger mit sturmartiger Geschwindigkeit wehender Nordostwind, der seinen Namen wohl von dem classischen Boreas ableitet und im Slavischen zum Weibe geworden ist, meist plötzlich aufspringt und einen beschränkten Verbreitungsbezirk hat, vorzüglich aber deswegen merkwürdig ist, weil er so scharf begrenzt ist, daß auf einer Meile Weges völlige Windstille und heftiger Sturmwind zu finden. Die Bora tritt gewöhnlich nach länger dauerndem Siroccal-Regenwetter und gleich mit Heftigkeit auf.

Die Leser erinnern sich wohl einer auch bei uns zuweilen eintretenden Witterungsänderung, die einen schnellen Wechsel von Regen zu kaltem, schönem Wetter in sich schließt. Es heben sich in solchem Falle die Wolken, die, tief herabhängend, warmen Regen niederrieseln ließen, im Westen; es wird da ein lichter Streifen sichtbar, ein frischer Westwind springt auf, der, in Nordwest übergehend, die Wolkenschichten in Haufenwolken auflockernd, diese vor sich hertreibt, später als Nordwind über den reinen Himmel weht und dann immer schönes Wetter und ein starkes Fallen der Temperatur im Gefolge hat. In solchem Falle tritt am Karst die Bora auf. Hier und da erhebt sich nur schwache Bora und weht kurze Zeit ohne Aufheiterung, gewöhnlich aber setzt die Bora schnell mit ganzer Stärke ein und weht, diese festhaltend und den Himmel aufheiternd, ununterbrochen durch drei Tage.

Die Richtung ist anfangs immer Nord, allmählich Nordost, dann in Ostnordost und zuletzt in Ost übergehend. Der Barometer steigt während des Wehens der Bora und zeigt zuletzt sehr hohen Luftdruck an. Die Luftwärme hingegen sinkt, behält aber fast immer noch ein paar Grade über Null. Die Feuchtigkeit der Luft, die früher meist damit gesättigt ist, nimmt rasch ab, und die Luft, die mit der Bora kommt, ist sehr trocken.

Die Stärke der Bora ist die eines heftigen Sturmwindes; sie weht mit ziemlich gleichbleibender Kraft, nur seltenen Intervallen und stärkeren Stößen; zur Zeit des größten Luftdruckes, acht oder zehn Uhr Morgens, nimmt ihre Heftigkeit zu, und es ist ein Zeichen baldigen Erlöschens, wenn dies nicht der Fall ist; sie weht auch nicht überall gleich. In einigen Schluchten und besonders eigenthümlich configurirten Thälern des Karstes scheint ihre Intensität am stärksten zu sein.

Im Observatorium der nautischen Akademie in Triest wird die Geschwindigkeit des Windes durch eigene Anemometer (Windmesser) gemessen. Nach diesen Beobachtungen betrug die Geschwindigkeit der Bora am 13. Januar 1871 68 Kilometer per Stunde, d. h. die Luft legte an diesem Tage in einer Stunde einen Weg von 68 Kilometer oder 9 geographischen Meilen zurück. Bei der starken Bora am 24. März 1870 war die Geschwindigkeit 73 Kilometer oder nahe 10 Meilen per Stunde. Wenn wir bemerken, daß ein Wind von 10 Kilometer per Stunde Geschwindigkeit schon ein recht bemerkbarer Wind ist, so haben die Leser ungefähr einen Maßstab für diese Geschwindigkeiten. Einige andere Beispiele wollen wir noch folgen lassen, die F. Pfeiffer in einer Broschüre über die Karsteisenbahn angeführt hat.

Die mit Steinen von 10 Pfund auf den Quadratfuß beschwerten Hohlziegel der Dächer werden wie Spreu auf die

  1. Obwohl wir diesem interessanten Gegenstande bereits im Jahre 1865, S. 168 ff. einen Artikel gewidmet, so glauben wir doch angesichts der neuen Ereignisse noch einmal darauf zurückkommen zu dürfen, zumal unser heutiger Artikel die eigenthümliche Naturerscheinung in einer sehr ansprechenden und instructiven Weise schildert. Dem Wiener Blatte „Osten“ berichtet man nämlich aus dem kroatischen Küstenlande: „Seit acht Tagen wüthet hierorts eine ungewöhnlich starke Bora, welche Menschen und beladene Wagen zu Boden schleudert, so daß man sich kaum aus dem Hause wagen darf. Auf dem Meere haben wir beständige Stürme, so daß auch die Dampfer nicht fortkommen können, und so mußte die Localfahrt zwischen Zengg und Fiume seit acht Tagen unterbrochen werden. Wer die Gewalt der Bora selbst nicht an Ort und Stelle kennen gelernt, der kann sich kaum einen Begriff davon machen. In den Häusern, deren Fenster nicht durch andere Gebäude gedeckt und geschützt sind, rumort es gewaltig durch alle Räumlichkeiten und ist man nicht im Stande, Fenster und Thüren so festschließend zu machen, daß die Bora nicht ein etwa im Zimmer angezündetes Licht ausblasen würde. In Folge dessen hat hier in dieser Gegend aller Verkehr aufgehört, so daß die ärmeren Leute, deren es mehr als genug giebt, bald hungern werden.“
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_826.JPG&oldid=- (Version vom 6.1.2019)