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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


daß es das der anderen Höfe Europas weit übertraf. Preußisches Gold hatte in allen Schichten der hohen Kreise in den fremden Residenzen Seelen geködert, welche den Verrath als ein stilles, aber einträgliches Mittel betrachteten, ein gut situirtes Haus zu machen. In Wien gab es sogar katholische Geistliche, welche sich bedeutenden Einflusses rühmen konnten und trotz allem Fanatismus, den sie in die Herzen sehr fruchttragend aussäeten, dieses geheime Handwerk betrieben. König Friedrich titulirte diese stillen Handlanger, die ihm viel Geld kosteten, bekanntlich mit der einfachen Bezeichnung „Cujons“. Er war zu klug, um seiner durch sie immer obenauf erhaltenen Allwissenheit von Dingen, die ihm von großem Werthe waren, durch übel angebrachte Sparsamkeit Schranken zu ziehen. Namentlich galt ihm Sachsen als ein sehr günstiges Feld in dieser Beziehung. Die Bestechlichkeit, hier lange Jahrzehnte hindurch eingebürgert, leistete ihm große Dienste, und außer dem schon genannten Menzel gab es eine hübsche Anzahl Individuen, nicht nur am Dresdener Hofe, sondern auch in der Armee, die im Interesse König Friedrich’s arbeiteten. So hatte er gleich nach seiner Ankunft zu Dresden erfahren, daß die Localitäten des geheimen Staatsarchivs vollständig geräumt und dessen sämmtliche Acten, Documente und Briefschaften, zur gelegentlichen Fortbringung nach Polen zusammen gepackt, einstweilen in einige unmittelbar an die Appartements der Königin Josephine stoßende Gemächer geschafft worden seien, die hohe Frau aber allein im Besitze des Schlüssels zu der Thüre sich befinde, durch die man in diesen sichern und für unentdeckbar gehaltenen Verwahrungsort gelangte.

König Friedrich scheute sich, einen gewaltsamen Einbruch in die Häuslichkeit dieser Königin zu unternehmen, welche zwar seine erbitterte Feindin, aber immer eine Frau war, die er hochachtete, theils wegen ihrer Respectabilität in allen Tugenden, die einer Königin eine wahrhafte Würde verleihen, theils wegen der Offenheit, mit welcher sie ihre Abneigung gegen ihn ausgesprochen hatte. Das war wenigstens ein ehrlicher Haß, den er als berechtigt anerkannte.

„Er weiß nun Alles, Wangenheim. Versuche Er es, die Königin zu bestimmen, daß sie den Schlüssel herausgiebt! Ich muß sonst Gewalt anwenden lassen, weil das geheime Staatsarchiv mir unumgänglich nothwendig ist. Gehe Er nun und versuche Er sein Glück!“ Mit diesen Worten schloß der König seine Erklärung.

„Majestät, ich bekenne offen, daß ich lieber mit meinen Grenadieren eine Batterie stürmen wollte, als dieser Commission mich entledigen.“

„Glaub’s Ihm unbeschworen, mon cher Wangenheim; aber die Batterie, die Er zu nehmen versuchen soll, ist auch eine Nummer Eins,“ lautete des Monarchen Antwort, der er mit einem fast komischen Seufzer die Bemerkung hinzufügte: „Ach, die Cotillons machen mir das Leben sauer!“

Major von Wangenheim verließ mit militärischem Gruße und mit schwerem Herzen das Gemach, der König aber durchschritt dasselbe mehrmals in tiefem Sinnen. Dann trat er an den Tisch, auf welchen vom Stuhle aus sofort seine Hündchen sprangen und sich liebkosend an ihm emporstreckten.


2.

Hatte Gräfin Mosczynska – sie war, nebenbei gesagt, eine Tochter Königs August des Starken und der Reichsgräfin Cosel – ihren schönen Wittwensitz auch durch die von ihr gegebenen Feste oft zu einem sehr zahlreich besuchten Mittelpunkte der vornehmen Welt gemacht, so glichen diese Tage der Lust im Vergleich mit dem bunten, vielbewegten Leben und Treiben, welches die Anwesenheit des Königs Friedrich des Zweiten daselbst hervorrief, doch immer nur vereinzelten Sternen, die sich dem Auge darbieten. Nie vorher war die Umgebung des Palais Mosczynski so menschenbelebt gewesen wie jetzt. Das Dresdener Publicum, durchaus nicht den Preußen zugeneigt, im Gegentheile sogar sehr erbittert über die Art und Weise, wie Diese sich als Gäste aufgedrungen, ließ seine Neugier, den philosophischen und Flöte blasenden König zu sehen, durchaus nicht unbefriedigt. Das große eiserne Gitterthor zeigte sich oft von Hunderten von Leuten belagert, die einen günstigen ihren Wunsch zur Erfüllung bringenden Moment erwarteten. Solche Momente waren auch gar nicht so selten, denn der König liebte es, wenn ihn Geschäfte nicht abhielten, mit oder ohne Begleitung seiner Windspiele in dem wohlgepflegten Parke zu promeniren, eine Neigung, der er sich um so lieber hingab, als die sonnenhellen Septembertage es kaum bemerken ließen, daß der Herbst bereits der grünen Baumwelt sein buntes Colorit hier und da mit leisen Pinselstrichen aufzusetzen begann. Unwillkürlich flogen dann die Kopfbedeckungen der Neugierigen vor dem sie immer freundlich grüßenden Monarchen von den Häuptern; die sprüchwörtliche Höflichkeit der in der Residenzluft wohlgeschulten Dresdener ließ sich in dieser Beziehung keinen Vorwurf machen. Es gab vor dem Mosczynski-Palais immer etwas zu sehen, und auch das Ohr ging zuweilen nicht leer aus, weil der König geschäftsfreie Viertelstunden der mit Meisterschaft von ihm geblasenen Flöte zu widmen pflegte.

Der Angelpunkt des Dresdener Residenzlebens war bisher das kurfürstliche Schloß gewesen, jetzt aber das mehrerwähnte Palais in dessen Rang eingetreten. Die fremden Gesandten, die meisten der in der sächsischen Hauptstadt sich aufhaltenden Standespersonen, sowie die Mitglieder des Stadtrathes machten dem Könige häufig ihre Aufwartung und legten dabei die tiefste Devotion an den Tag. Aber es gab in dieser improvisieren Residenz auch noch eine Partei, welche mit großem Mißvergnügen die Verherrlichung des fremden Monarchen ansah – dies war die von der Gräfin Mosczynska zurückgelassene Dienerschaft, welche ihre dahingegangene Glanzzeit schmerzlich betrauerte. Zu Ende war’s mit den Trinkgeldern und allen anderen Freuden des Bediententhums. Diese würdigen Leute waren somit plötzlich außer Cours gesetzt worden, und die Einbuße ihrer schönen Nebeneinkünfte schmerzte sie besonders tief.

Es war ein gewaltiger Umsturz aller ihrer langjährig gewohnten Verhältnisse über sie gekommen. Sie hatten der preußischen Einquartierung aus ihren hübsch eingerichteten Wohnungen in der Oberetage und unter dem Dache weichen müssen. Dies war das Loos der Frau Castellanin und des Fräulein Doris, welche eine von der Frau Gräfin angenommene Waise eines in der Schlacht bei Kesselsdorf tödtlich verwundeten und in Folge dessen verstorbenen Officiers, Namens von Liebenau, war; dies war ferner das Loos einer Bettfrau der Frau Gräfin und eines jungen Burschen, Thaddäus, eines Enkels der Bettfrau, endlich eines stämmigen Mannes, Namens Nehemias Drill, der sich in seiner Tracht als Heiduck besonders viel dünkte. Als Ersatz dafür hatten sie die Wohnungen in zwei langen, aber sehr niedrigen Gebäuden beziehen müssen, welche, ungefähr dreißig Schritte zu jeder Seite von dem großen eisernen Gitterthore entfernt, ihre Rückwände an die Mauer lehnten, die ringsum das gewaltige Terrain umschloß. Diese Gebäude waren so sehr von Gebüsch und Bäumen verdeckt, daß der zum großen Gitterthore Hereinkommende sie nicht bemerken konnte. Auf der Rückseite des Palais befand sich ein sehr umfänglicher Vorhof mit einem hölzernen Gatterthore. Linden- und Kastanienalleen zu beiden Seiten bildeten einen breiten Zugang zum Palais. Von hohen Bäumen verdeckt und von Gebüsch versteckt, befanden sich hier Gebäude, die zu Stallungen, Wagenschuppen, Heuböden und Wohnungen für die gräflichen Stallleute dienten und, unter den jetzt veränderten Umständen von den Preußen zu gleichem Zwecke verwendet, auch den Raum für eine sehr große Wachtstube hergegeben hatten.

„Es ist eine sehr traurige Zeit, die durchzumachen uns auferlegt ist. Sie gemahnt mich an die babylonische Gefangenschaft der Juden,“ sagte die Castellanin, in ihrem ledergepolsterten Sorgenstuhle am Fenster sitzend, durch das sie keine andere Aussicht als die auf das Gebüsch hatte, welches das niedrige Haus umgrenzte. Wegen seiner Dichtigkeit machte dieses Gebüsch es unmöglich, das Palais zu sehen, welches sich ungefähr zweihundert Schritte davon befand und fast den ganzen freien Platz in seiner Breite einnahm.

„Nun, nun, Frau Castellanin, ich möchte die Anspielung auf das Judenvolk doch nicht so ganz goutiren,“ sagte Herr Drill, sich nach seiner Gewohnheit die stämmigen Schenkel streichelnd. „Wir sind doch eigentlich immer noch auf unserem Grund und Boden geblieben, obschon es sehr fatal ist, daß wir hierher versetzt worden sind, wo man sich bücken muß, will man sich nicht den Schädel an den niedrigen Thüren einrennen. ’s ist mir

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 789. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_789.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)