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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Vorbei nunmehr – vorbei Dein Jammer!
Geh’, geh’, mein Kind! An meine Kammer
Pocht Elend, Ungemach und Harm
Und nimmt mir selbst das Kind vom Arm.

– – Horch! Hufschlag auf des Dorfes Gassen -
Und Wagenrollen – ach! Dich lassen – –
– – – – – – – – – – – – – –
Nur eine einzige Minute,
Und fremd ist mir mein liebes Kind!


– – Es klopft! Wie schnell die Pferde sind!
Da ist sie schon, die Böse, Gute,
Die Dir nun Mutter ist – –
– – – – – – – Ade,
Du holde, frische Lebensblüthe!
O, daß Dich Gott, mein Kind, behüte! –
Viel ärmer bin ich nun denn je.

Ernst Ziel.

Thüringer Industrie.
Von Reinhold Sigismund.
Der Medicinhandel.

Die Thüringer Medicinhändler dürften wohl den meisten unserer Leser unter dem Namen „Balsamträger“, „Olitätenträger“, oder „Königseer“ (nach dem von dem Schwarzburgischen Amte Königsee ausgestellten Reisepasse) bekannt sein, da dieselben mit ihren Arzneiwaaren früher ganz Deutschland und die angrenzenden Länder durchwanderten. Es gab wohl einen ähnlichen Industriezweig auf dem Erz- und Riesengebirge; besonders wurden Schneeberger Wurzelmänner im vorigen Jahrhundert als Concurrenten der Thüringer Balsamträger genannt. Nirgends aber hat das Verfertigen von Arzneimitteln und deren Vertrieb eine solche Ausbildung erlangt wie in Thüringen und hier ganz besonders wieder in der Oberherrschaft des Fürstenthums Schwarzburg-Rudolstadt. Wir haben uns nun die Aufgabe gestellt, auf die Geschichte dieses merkwürdigen Industriezweiges näher einzugehen.

Zu welcher Zeit unsere Balsamträger vom Thüringer Walde zuerst in die Welt gezogen sind, ist uns unmöglich zu bestimmen gewesen. Berthold Sigismund in seiner Landeskunde des Fürstenthums Schwarzburg-Rudolstadt nimmt an, daß der Handel der Balsamträger im siebenzehnten Jahrhundert, bald nach dem dreißigjährigen Kriege entstanden sei und nennt einen aus Oberweißbach stammenden Apotheker in Breitenbach, J. M. Mylius, als den Ersten, der Arzneien durch Herumträger habe verkaufen lassen.

Indessen glauben wir einen älteren Ursprung annehmen zu dürfen. Sollte nicht der Apotheker Mylius als Oberweißbacher den hier schon herrschenden Medicinhandel erst nach Breitenbach verpflanzt haben? Auffällig ist jedenfalls, daß er in Oberweißbach in Zeiten, so weit man zurückgehen kann, in der Blüthe stand und noch steht, während er in Breitenbach nie zur Ausdehnung gelangte. Zuzugeben ist allerdings, daß der Aufschwung dieses Industriezweiges erst in die Zeit nach dem dreißigjährigen Kriege fällt. Daß es schon im sechzehnten Jahrhundert Ruß-Hütten, Pottaschesiedereien, Oefen zur Darstellung von Theer und Bergöl in diesem Districte des Thüringer Waldes gab, ist aus alten Urkunden ersichtlich. Schon frühzeitig wurde auch Wachholderbeersaft verfertigt und als nützliches Mittel weithin verkauft. Räucherungen mit Wachholderbeeren galten im Mittelalter als Schutzmittel gegen die Pest. Aus dem Samen der Tanne wurde Oel destillirt, das sogenannte Gustelöl, und als Bergöl verkauft, ebenso aus Fichtenharz. Daher wohl der Name Olitätenhändler. Da diese Stoffe in die Apotheke geliefert wurden, liegt es sehr nahe, anzunehmen, daß die Thüringer dafür Arzneiwaaren eintauschten, die sie weiter verkauften und zuletzt als anstellige Leute selbst zu verfertigen lernten.

In der ersten Zeit bestand der Haupthandel der Balsamträger in destillirten oder gebrannten Wassern aus unzähligen Pflanzen, denen man herzstärkende Kraft beilegte, und aus Branntwein, der im Mittelalter nur als Arznei gebraucht wurde. In Schweden wurden erst 1579 geistige Wasser als Heilmittel in der Pestzeit durch königliche Verordnung eingeführt. Mit der Zeit lernte man dann den Branntwein oder Spiritus über aromatische Pflanzentheile destilliren, gab ihm allerhand Zusätze und den so erzeugten bitteren oder aromatischen Liqueuren die verschiedensten Namen, wie Essentia amara, (gewöhnlich nur Senzamare), Mutterwasser, Kaiser Caroli Hauptwasser, Herz-Carfunkelwasser, Lungenwasser, Schlagwasser etc.

Der Name „Balsamträger“ wurde den Thüringer Arzneihändlern beigelegt, als die sogenannten Balsame die Hauptrolle in ihrem Medicinschatze zu spielen anfingen. Dieser Name, ursprünglich nur dem Erzeugniß einer orientalischen Pflanze, der Balsamstaude, eigen, wurde mit der Zeit auch künstlich zusammengesetzten Arzneimitteln beigelegt, anfänglich nur solchen, welche zum äußerlichen Gebrauche gegen Wunden und sonstige Schäden gebraucht wurden, nachdem Paracelsus in seiner mystischen Weise von einem Balsam gesprochen hatte, der aus den Kräften des Körpers in jeder Wunde und jedem Geschwüre abgesetzt werde und die Wunde allein heile. Solcher Balsam komme oft auch von äußeren Dingen, von Pflanzen und Bäumen her. Bringe man diesen nun auf die Wunde, so verwandle ihn die Natur in thierische Materie und veranlasse dadurch die Vernarbung. Nach dem Paracelsus hatten dann auch spätere Aerzte viel von solchen Balsamen gesprochen und dergleichen künstlich zusammengesetzt, welche die verschiedensten Namen erhielten, wie zum Beispiel Lebensbalsam, Universalbalsam, Wunderbalsam und dergleichen mehr.

Die ersten actenmäßigen Nachrichten, welche uns über diesen Gegenstand zu Gebote gestanden haben und nach denen wir dem Leser ein geschichtliches Bild dieses eigenthümlichen Geschäftes zu geben versuchen werden, stammen aus dem Jahre 1710. In diesem Jahre verlangte die schwarzburgische Regierung zu Rudolstadt wegen besserer Einrichtung des Laborantenwesens, da Unordnungen eingerissen seien, Bericht und Gutachten von dem Amte zu Königsee. Es sollen alle Laboranten genannt und ferner angegeben werden, wie eines Jeden Laboratorium eingerichtet sei, mit Aufzählung der im Gange befindlichen Fiolen, Kolben und Retorten. Es sollten Erkundigungen über eines Jeden Geschicklichkeit eingezogen werden, weil man die Geschicktesten mit einer Concession begnadigen wolle. Auch sollten Vorschläge gemacht werden, auf welche Art mehr Ordnung in das Geschäft gebracht werden könne. Aus dem Berichte des Amtes zu Königsee ersehen wir, daß schon damals in den Orten Oberweißbach, Lichtenhain, Cursdorf, Deesbach, Meura, Böhlen, Möllenbach, Rohrbach, Wittgendorf, Meuselbach, Schwarzburg, Unterhain und Burkersdorf einunddreißig Laboranten mit hundertsechsundvierzig Retorten, acht Destillatoren und dreihundertdreiundvierzig Olitätenhändler und Balsamträger sich befanden, welche durch ganz Deutschland und die angrenzenden Länder ihre Arzneiwaaren vertrieben. Wie die Laboratorien eingerichtet waren, wird uns nicht weiter bekannt gemacht. Die Laboranten werden aufgefordert, ihre Meinung über eine bessere Einrichtung des Medicinhandels abzugeben, und lassen sich folgendermaßen vernehmen:

„Es müsse ein Unterschied gemacht werden zwischen einem Laboranten, einem Destillator und einem Balsamträger, der vor sich nur einige Wasser und andere gemeine Dinge präparire und hinaustrage. Es solle nun einem Laboranten, der eine gute Experienz und Erfahrung habe, freistehen, Retorten, Kolben, Fiolen, viel oder wenig zu führen und darinnen Spiritus, Tincturen, Essenzen, Olitäten, Elixire und andere Simplicien zu machen, wie er auch eine Beschreibung, vor was es gut sei und wie zu gebrauchen, mit untergedrücktem richtigem Siegel von sich zu geben habe. Einem Destillator, der nicht mehr verstehe und zu machen wisse, als blos einige Wasser zu brennen und geringe Tincturen und Essenzen zu präpariren, dürfe nicht zugelassen sein, in Retorten, Kolben und Fiolen zu laboriren, ehe er seine Wissenschaft und Erfahrung erlangt habe.

Da nun bei Verfertigung der oleorum viel Betrug von Denen, die ohne genügsame Wissenschaft dergleichen zu machen sich unterstehen, vorkomme, so soll dies nur den Laboranten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 784. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_784.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)