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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


ersten Glückstraum. Dora sprang auf; noch einmal tranken ihre Augen jeden Zug des geliebten Gesichtes in sich, dann enteilte sie, indem sie den Finger auf die Lippe drückte, und stand, als die Gesellschaft aus der Lichtung trat, bereits auf einer etwas tiefer gelegenen Stelle unter einem Rund von Bäumen, während Ernst den Anlangenden entgegenging.

Nicht seines Mädchens Auge allein haftete bewundernd auf dem jungen Mann, während er, von seinem Glück wie auf Flügeln getragen, einherschritt. Ein eigenthümlicher Hauch des Idealen umgab diese Jünglingsgestalt, blickte aus den dunkelblauen Augen, ruhte um den feinen, ernsten Mund. Wo er immer erschien, fesselte er das Interesse, ohne selbst etwas dazu zu thun, als daß er sich gab, wie er war. Es giebt einen indischen Stamm, dessen Unsterblichkeitsglaube dem Bösen jede Fortdauer abspricht, dem Guten aber in der Sterbestunde eine Lichtgestalt erscheinen läßt, die ihm sagt: „Ich bin, was Du gewollt hast, aber nicht erstreben konntest. Komm’ mit, es jetzt zu erreichen!“

Aehnlich wirkte Ernst’s reine, tief wahre Natur auf Alle fast, denen er begegnete. Die Lichtgestalt der eigenen frühen Jugend trat vor sie hin und sprach: „Was Du gewollt und nicht erstrebt – Dieser erreicht es.“

Und dennoch war, als Dora am Abende desselben Tages den Eltern in ihr Schlafzimmer folgte und ihnen vertraute, daß sie dem Gaste des Hauses Wort und Treue gegeben, der Eindruck dieses Geständnisses mehr Bestürzung als Freude. Namentlich erschrak Frau Sophie, so lieb ihr auch der junge Mann war, den sie seit seiner Kindheit kannte, wie ihren eigenen Sohn. Der Gedanke, Dora je mit ihm verbunden zu sehen, lag ihrem Geiste so fern, daß der trauliche Verkehr des Paares ihr nicht die geringste Besorgniß eingeflößt hatte. Jetzt hielt sie mit ihren Bedenken nicht zurück: Auf der einen Seite ein junger Mensch von dreiundzwanzig Jahren, geistreich und strebsam zwar, aber erst auf der Schwelle künftigen Lebensberufes, ohne Vermögen, selbst ohne Protection, vor einer noch ganz unsicheren Zukunft stehend – auf der anderen Seite Graf Mattern, der unverblümt geäußert, daß er Dora nur im Falle seiner Zustimmung zu einer von ihr getroffenen Wahl ausstatten würde, um dessen guten Willen solche Partie, die sicher seinen Ansichten nicht entsprach, Dora bringen könnte – dieses Bedenken gab das Thema zu lebhaften Einwendungen, die bei ihrem Manne nicht ohne Echo blieben. Sah Rostan, der den ganzen Werth Ernst’s kannte und anerkannte, auch mit freierem Blick auf das Verhältniß, welches sich geknüpft, so erfüllte es doch auch ihn mit ernsten Besorgnissen. Er beurtheilte Dora zu richtig, um vor ihr auszusprechen, daß seine Sorge sich vor Allem auf ihr eigenes reizbares Naturell richte. Ob ein Gefühl probehaltig sein würde, das, in täglichem Zusammenleben aufgekeimt, doch nur wenige Wochen zur Basis seines Entstehens hatte; ob seiner Tochter bewegliches, viel forderndes Wesen zu dem ernsten, beinahe strengen Charakter ihres Erwählten überhaupt passe; ob die junge Liebe all den Opfern gewachsen sei, welche hinsichtlich der Lebensgewohnheiten Dora’s und der ihr Jahre hindurch eingeimpften Ansprüche von ihr gebracht werden müßten – das waren schwere Bedenken, die ihn allem Bitten und Stürmen seines Kindes gegenüber fest machten. Er versagte, jetzt in eine Verlobung zu willigen, und forderte Aufschub jedes bindenden Gelübdes, bis Ernst in der Lage sei, an Gründung eines Hausstandes zu denken. Hatten die Jahre, welche bis dahin verfließen mußten, die Treue erprobt, dann blieb es frühe genug, ein unwiderrufliches Band zu knüpfen.

Dora widerstand dieser Forderung mit aller Leidenschaftlichkeit ihres Fühlens und Denkens. Was galt ihr der Graf, was galten ihr die Gewohnheiten eines Lebens voller Luxus, welche sie meinte abstreifen zu wollen, wie ein überflüssiges Gewand! Ihre Liebe verleugnen und vertagen, um äußere Vortheile nicht in Frage zu stellen, erschien ihr empörend, und doch mußte sie sich fügen, denn nach einer Unterredung, welche ihr Vater am folgenden Morgen mit Wernick tauschte, fand sie den Geliebten überzeugt, daß die an ihn gestellte Forderung erfüllt werden müßte.

Dora begriff ihn nicht, wollte ihn nicht begreifen. Die erste Wolke stieg am Himmel der Liebenden empor. Sie zürnte; er litt, ließ sich aber nicht bestimmen, Dora’s Verlangen nachzugeben, die ihn drängte, den Grafen aufzusuchen, sich ihm vorzustellen und dort um sie zu werben, um so zu ertrotzen, was ihr der eigenen Eltern Wille noch entzog. Erst im Moment des Scheidens empfing er wieder einen Blick der Liebe.




7.

Alles, was Dora das Elternhaus lieb und theuer gemacht, erblich vor dem Widerstande, den sie gefunden. Umsonst versuchte des Vaters liebreiche Hand, das Kind wieder so nahe an sein Herz zu ziehen wie zuvor; sie wandte sich kühl von ihm, trotziger noch von der Mutter ab, deren Weltklugheit sie die Schuld von Dem beimaß, was sie jetzt litt. Um so fester schloß sie sich an Robert, den einzigen Vertrauten ihrer Liebe. Hatte Ernst dem Vater auch sein Wort gegeben, mit Dora keine Briefe zu wechseln, bis derselbe es gestatten würde, so bestand seinem jungen Freunde gegenüber gleiche Vorschrift nicht, und Alles, was sich die Liebenden nicht sagen durften, stand zwischen den Zeilen der häufig hin- und wiedergehenden Briefe.

Schon brach der Winter herein, als ein paar kurze Zeilen des Grafen Mattern sein nahes Eintreffen in Danzig ankündigten und er denselben fast auf dem Fuße folgte. Er kam allein mit der Absicht, Thea zu seiner Frau zu bringen, mit welcher er sich vor Kurzem in der Residenz eingerichtet hatte.

Dem früheren Entschlusse entgegen, stimmten das junge Mädchen und ihre Eltern ohne Einwendung zu, Dora mit geheimen Absichten, Rostan mit dem Gedanken, daß ein vorübergehendes Zurücktreten in die langgewohnten Verhältnisse jetzt als Probe des Neuerlebten sehr am Platze sei, Sophie mit der stillen Hoffnung, eine Zukunft, die ihren Erwartungen nicht entsprach, den glänzenden Aussichten wieder weichen zu sehen, von denen sie für all die Ihrigen so viel erträumt hatte.

Graf Hugo verbarg die Befriedigung nicht, womit er seine Pflegetochter wiedersah. In der That hatte sich Thea’s Schönheit während dieses letzten Jahres glänzend entwickelt.

Schon während der kurzen Zeit seiner Anwesenheit und der gemeinschaftlichen Reise bot Thea allen Reichthum ihres Wesens auf, um dem Grafen innerlich nahe zu rücken; all ihr Hoffen und Denken bewegte sich nur Einem Ziele entgegen. Den Ansichten ihrer Eltern zum Trotze, dem eigenen Urtheile über Mattern entgegen, das aus ihren Erinnerungen aufstieg, wollte sie seinem Gemüthe abgewinnen, was seine Weltanschauung allerdings nicht zu gewähren versprach. Es bedurfte der Zeit, bis ihre Jugend begreifen lernte, daß Phantasie über leere Klüfte wohl Brücken schlagen, den Abgrund aber nicht ausfüllen kann. Als sie das Haus ihres Pflegevaters betrat, sah sie in ihm noch die Züge des selbstgeschaffenen Bildes und bedurfte solcher Illusion um so mehr, als Gräfin Wanda ihr vom ersten Moment an tief unsympathisch war und blieb.

Die Gattin, welche Mattern sich erwählt, gehörte einer der vornehmsten magyarischen Familien an. Eine aristokratische Erscheinung, aber keine aristokratische Natur. Ganz und gar fehlte ihr der vornehme Zug, die Dinge im Einzelnen gehen zu lassen. Ein rastloses Sichbekümmern um Alles und Jedes, was in ihren Bereich kam, wurde durch beste Formen zwar im Ausdrucke, aber nicht in der Wesenheit beschränkt. Das junge Mädchen, dessen Stellung zu ihrem Gatten sie in ihrer Weise aufgefaßt und angenommen hatte, mißfiel ihr von Anfang an durch die Selbstständigkeit, womit sie sich bewegte, womit sie den Ton des Protegirens, der ihr entgegenklang, ganz und gar zu ignoriren verstand. Noch mehr! Thea, vom Grafen in jeder Weise gehalten und gehoben, erregte Aufsehen und wurde zur bewundertsten Persönlichkeit, so oft sie erschien. Zwar begleitete sie Mattern selten oder nie in Gesellschaft außer dem Hause, der vielbesuchte Salon der Gräfin bot jedoch ein Terrain, auf welchem Raum genug war, eine außergewöhnliche Erscheinung zur vollen Geltung zu bringen. Während Graf Hugo eine persönliche Eitelkeit darein setzte, die Erfolge seines Pflegekindes so bemerklich zu machen wie möglich, wurde seiner Frau die Rolle, welche das bürgerliche Mädchen in ihrem Kreise spielte, geradezu unerträglich. Zu hochmüthig, dies auch nur anzudeuten, befriedigte sie ihren Mißmuth durch hundert kleine Nadelstiche, welche Thea’s stolzen Charakter jedoch nur zu stummer Opposition reizten, die sich in völliger Nichtbeachtung der versteckten Angriffe äußerte.

Von Tag zu Tag gewann das junge Mädchen mehr an Sicherheit und freier Beherrschung der gesellschaftlichen Formen;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 773. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_773.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)