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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


bedenken. Es giebt in Paris Kaffeehäuser, wo die Trinkgelder täglich zwei- bis dreihundert Franken betragen. Und nicht nur in den Kaffeehäusern und Restaurants, sondern auch in jenen unentbehrlichen, unnennbaren Anstalten, wo man Erleichterung in dringender Noth sucht, ist eine versilberte Urne aufgerichtet, deren weitgeschlitztes Maul nach einem Trinkgelde schnappt. Jeder Droschkenkutscher erhält bei zurückgelegter Fahrt sein Trinkgeld, jede Theaterlogenschließerin ebenfalls. Mit einem Worte: es giebt in Paris wenig Menschen, die von ihrem Nebenmenschen nicht ein Trinkgeld fordern. Am Neujahrstage verzehnfacht sich die Summe der Trinkgelder. Vor Allem hat man sich aber an diesem Tage mit seinem Concierge in’s Reine zu setzen. Hat dieser für seine freundlichen Neujahrswünsche den klingenden Dank der Hausbewohner eingeheimst, so verbannt er das süße Lächeln aus seinen Gesichtszügen, bis der zwölfte Monat die Mutter Erde wieder in’s Schneegewand steckt.

Die Pariser Concierges bilden eine Menschenclasse für sich, und es giebt unter ihnen manches Original; sie werden daher von den Romanschreibern, die das Pariser Leben schildern, stark verwerthet. Eugene Sue hat in seinem „Pipelet“ einen Typus geschaffen, der so populär geworden, daß man jeden Concierge mit diesem Spitznamen nennt. Dennoch giebt es unter den Conciergen, je nach den Häusern, deren Ueberwachung ihnen obliegt, viele Schattirungen, und es versteht sich von selbst, daß ein Concierge eines vornehmen Hôtels im Faubourg St. Germain von seinem Collegen in einem Hause des Faubourg St. Antoine sich gar sehr unterscheidet. Die Pariser Concierges haben auch ihre eigenen politischen Ansichten, die oft denen ihrer Hausherren schnurstracks entgegengesetzt sind. Es giebt unter ihnen Monarchisten, ja, Legitimisten, die sich nach dem Triumphe der weißen Fahne sehnen. Ich habe einen Concierge gekannt, der es Ludwig Philipp niemals verziehen hat, gegen die ältere Bourbonenlinie conspirirt und sich auf den französischen Thron gesetzt zu haben. Bei Weitem die meisten sind jedoch revolutionär. Nicht wenige haben sogar eine hochrote politische Farbe und hängen mit ebenso viel Liebe an ihrem Herrn wie der Spitzbube am Galgenstricke. Diese sind jedoch noch die schlimmsten nicht. Es giebt unter ihnen auch Individuen, die mit der Polizei im besten Vernehmen stehen. Das zweite Kaiserreich, traurigen Andenkens, fand unter ihnen Mouchards in Hülle und Fülle. Sie denuncirten manchen Hausbewohner, welcher sich zwischen den dicken Mauern in Mazas vergebens den Kopf zerbrach, seinen Denuncianten zu errathen. Wer also in stark bewohnten Häusern abgelegener Viertel der Pariser Vorstädte wohnt, thut gut daran, nicht allzu vertraut mit dem Concierge zu werden und seine politischen Gesinnungen für sich zu behalten. Unmittelbar nach dem Napoleonischen Staatsstreiche haben es mehrere unserer in Paris lebenden Landsleute hart büßen müssen, mit ihrem Concierge allzu vertraut gewesen zu sein, oder sich nicht genug vor ihm gehütet zu haben.

Welche Stellung man aber auch einnehme und welches Haus man auch in Paris bewohne, man muß sich immer mit dem Concierge zu verhalten wissen, wenn man sich nicht fortwährend den unangenehmsten Verdrießlichkeiten, sogar den größten Nachtheilen aussetzen will. Wer seinem Concierge auf den Fuß tritt, hat es immer schwer zu bereuen. Die Hauswarte haben nämlich Gelegenheit, sich täglich, ja stündlich an dem Miethsmann zu rächen. Sie richten diesem die mündlichen Aufträge nicht aus, geben die eingelaufenen Visitenkarten zu spät oder gar nicht ab und nennen die Namen Derjenigen nicht, die ihn sprechen gewollt. Die Rache des Concierges gegen den verhaßten Miethsmann ist auch nachwirkend, wenn er nämlich ausgezogen, geben sie seine neue Adresse nicht an, oder nennen absichtlich eine falsche Hausnummer, oder gefallen sich in allerlei räthselhaften, mit einem Achselzucken begleiteten Redensarten, wenn man bei ihnen Erkundigungen über ihn einziehen will.

Die Pariser Concierges beschließen fast sämmtlich ihre Laufbahn auf dieselbe Weise. Sie sterben entweder alt und betagt und mit Rheumatismus und bösen Launen behaftet in der Ausübung ihres Berufs, oder als kleine Rentiers zurückgezogen auf dem Lande. Die Meisten von ihnen haben etwas für die alten Tage gespart, und wenn der Hauseigenthümer nicht ganz ohne Gerechtigkeitsgefühl ist, fügt er zu dem Ersparten eine kleine Pension hinzu. Merkwürdig ist es aber, daß diese Leute nach einem vieljährigen Pförtneramt sich nicht immer in ländlicher sorgenloser Zurückgezogenheit glücklich fühlen. Die Gewohnheit, länger als ein Menschenalter hindurch ein Dutzend Mal in der Nacht geweckt worden zu sein, läßt sie auch jetzt nicht ruhig schlafen. Der Mensch ist eben ein Gewohnheitsthier: hat man doch Beispiele, daß Gefangene, die einen großen Theil ihres Lebens im Kerker zugebracht, ihn nicht ohne Bedauern verließen, als man ihnen die Freiheit ankündigte! Vor noch nicht langer Zeit hat sich eine alte Concierge, welcher der Hausherr unter den sanftesten Ausdrücken eine Nachfolgerin ankündigte, in einem Anfall von Schwermuth, nicht mehr den Schellenzug in Bewegung setzen zu können, an demselben erhängt.

Gewiß, die Pariser Concierges gehören zu den Plagen, die man nicht entbehren kann, und in ihrer Unentbehrlichkeit liegt der Grund, daß in der Weltstadt Groß und Klein, Hoch und Niedrig sich ihre Tyrannei gefallen läßt.




Im Heim zweier Edlen.


Zu den schönsten Partien in Meißens Umgebungen gehört Schloß Siebeneichen, berühmt durch seine höchst malerische Lage und seine herrlichen Anlagen. Während der Sommer- und Herbstmonate von Tausenden von Fremden und Einheimischen besucht, entbehrt es zwar jener Romantik, an die sich wüstes Ritter- und Raubwesen knüpft, begnügt sich aber dafür mit dem Rufe eines wahren Edelsitzes, wenn wir darunter eine Stätte begreifen, wo reinster Patriotismus herrschte und gepflogen wurde, wo Künste und Wissenschaften einen traulichen Herd fanden. Die Namen Gellert, Fichte, Novalis und Theodor Körner sind eng mit der Geschichte Siebeneichens verbunden.

Vom Wirthschaftshofe durch Parktheile abgesondert, ragt das große burgmäßig gethürmte Schloß mit Doppelflügeln ältern und neuen Baues majestätisch empor. Es liegt auf einem zwischen zwei tiefen Waldschluchten hervorspringenden felsigen Bergrücken, der eine Höhe von hundertfünfzig Fuß über dem Elbthale hat. Siebeneichen war ehemals eine Meierei des Frauenklosters „Zum heiligen Kreuz“ bei Meißen, dessen Ruinen sich bis heute erhalten haben. Im Jahre 1535 wurde das Kloster säcularisirt und Siebeneichen vom Herzog Moritz seinem Landeshauptmann Ernst von Miltitz käuflich überlassen. Seitdem befindet es sich als Mannslehen im Besitze dieser Familie.

Ernst von Miltitz erbaute 1545 das Schloß, dessen einer Theil noch heute – in Verbindung mit dem neuern Anbau – ein stattliches Ganze bildet. Jenen Anbau errichtete Heinrich Gottlob von Miltitz nach Abtragung des vordern Theils des Schlosses 1745 in modernem Stile. Die Grabplatte des Erbauers – er kniet mit einem anderen Ritter, wie unsere Abbildung zeigt, darauf in voller Rüstung vor dem Erlöser – ist nebst anderen Denksteinen in eine der Mauern des Schloßhofs eingefügt worden und trägt folgende jene Zeit charakterisirende Unterschrift in Versen:

„Der Gestreng und Erenvest,
Ernst von Miltitz gewest,
Vier Fürsten von Sachsen Rath,
Dazu ihn Gott verordnet hat,
War lang Marschall und Statthalter,
Des Rechts ein treuer Verwalter,
Kein’ Ritterzug ließ er sich dauern,
Half kämpfen die aufrühr’schen Bauern,
Gar stattlich ziert er seine Bäu,
Siebeneichen baut er ganz neu,
Zahlt er barlich ohne alle Schuld,
Sein Kreuz erträgt er in Geduld,
Bis daß ihn Gottes Gnade rief,
Und er züchtig im Herrn entschlief,
Sein Leib starb und verweset doch,
Sein’ Seel’ und guter Nam’ lebt noch.“

Der ausbrechende siebenjährige Krieg brachte schlimme Zeiten. Sowohl Oesterreicher wie Preußen (das Freicorps Lentulus) hielten in Siebeneichen abwechselnd ihre Winterquartiere. Von häufigen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 764. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_764.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)