Seite:Die Gartenlaube (1873) 749.JPG

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Glaubte der große Pascha dies nicht und erklärte sich wirklich bereit zur Probe, so überließ ihm sein Untergebener uneigennützig die Zügel der Verwaltung. Aber er hatte dafür gesorgt, daß deren sämmtliche Fäden so verwickelt waren, daß ein sehr langer Aufenthalt, der allein die nöthige Erfahrung geben konnte, dazu gehörte, um sie zu entwirren. Die Bürger von Dschedda, die den großen Pascha als einen noch hungrigeren Blutegel ansahen und von ihm noch größere Erpressungen erwarteten, als von dem kleinen, den sie bereits mit ihrem Blut genährt hatten und gesättigt zu haben glaubten, standen dem Letzteren getreulich gegen den Ersteren bei.

Wenn der große Pascha sich beim kleinen beschwerte, daß die Bürger nicht nur keine Geschenke machten, sondern sogar im Zahlen der Abgaben säumig seien, so antwortete ihm die Donnerstimme, er kenne eben Dschedda nicht, die Bürger seien alle arm und könnten nichts leisten. Glaubte auch dies der „Große“ nicht und nahm Haussuchungen und Pfändungen vor, so hatte man dafür gesorgt, daß er nur die allererbärmlichsten Dinge vorfand, durch deren Besitzergreifung er sich nicht bereicherte, wohl aber auf sein eigenes ganzes Thun und Treiben das gehässigste Licht warf.

Man wußte ihn auch geschickt in Verwicklung mit dem religiösen Fanatismus zu bringen. In ganz Hedschaz, also auch in Dschedda, giebt es nämlich Leute, die aus irgend einem religiösen Grunde, der meist auf Abstammung vom Propheten beruht, steuerfrei sind, welche selbst die gierigsten Paschas schonen müssen, weil der Fanatismus der Menge jene beschützt. Auf solche Leute hetzte man den „Großen“, verschwieg ihm aber geflissentlich ihre geistliche Eigenschaft. Diese erfuhr er erst, nachdem er sich bereits an ihnen vergriffen und dadurch den Sturm der Entrüstung aller frommen Mohammedaner auf sein Haupt beschworen hatte. So wurde es ihm bald verleidet, Pascha in Dschedda spielen zu wollen. Er gab es auf, zog ab und berichtete auch wohl an’s Ministerium, er habe sich überzeugt, die Stelle in Dschedda sei wirklich erbärmlich. Man möge nur den unausstehlichen Nuri-Pascha, zur Strafe für seine beleidigende Grobheit, dort lassen.

(Schluß folgt.)




Ein revolutionärer Mönch.
Unsere Zeit im Spiegel des fünfzehnten Jahrhunderts.


Verbrennt man mich, seid unerschrocken!
Wenn meine Asche treibt der Wind,
So denkt, daß dies nur Blüthenflocken
Vom schönen Frühling Gottes sind!

(Lenau’s „Savonarola“.)

Wenn in unserer Zeit die Gegensätze von Aberglauben und Wissenschaft, von Unterdrückung und Freiheit, von Papst und Kaiser wieder heftiger als je aufeinander platzen, so erinnert Solches den der Geschichte Kundigen gewiß lebhaft an frühere Zeiten, in denen ähnliche Kämpfe der Geister entbrannten. In unserer Zeit haben wir das seltene Schauspiel erlebt, daß ein Volk, welches sich für ein solches von lauter Aposteln der Freiheit ausgegeben, kaum sich selbst überlassen und völlig frei, sich einen neuen Tyrannen sucht, und daß ein anderes Volk, das man als ein geknechtetes verschrieen, auf dem Wege zur Gedankenfreiheit sowohl, wie zu einer mit vernünftiger politischer Mündigkeit verbundenen Staatseinheit der Welt voranschreitet. Wie anders waren die Zustände in einer der unseren an Wildheit des Kampfes gährender Elemente ähnlichen Zeit vor bald vierhundert Jahren! Die Einheit unter sich zerrissener Völker war nicht nur nicht nahe, sondern die Zerklüftung wurde nur schneidender und schärfer. Der Kampf um Gedankenfreiheit endete nicht mit dem Siege dieser, sondern mit einem neuen geistigen Joche. Denn es galt auf politischem Felde nicht der Freiheit und Einheit, sondern der Gewalt der Gewaltigen, und auf religiösem nicht der Freiheit des Denkens, sondern der Macht des Glaubens.

Und wenn man damals – es war um die Zeit der Entdeckung der neuen Welt – gefragt hätte, wo jener Kampf zwischen den Extremen am heißesten brenne, wo am wildesten um die Gewalt über die Leiber und die Geister gerungen werde, wo die mächtigsten Waffen in’s Feld geführt werden, um Ideen zur Herrschaft zu bringen, so hätte man den Frager müssen an die rauschenden Fluthen des Arno weisen, wo die „blühende Stadt“, Florentia, ihre nach mittelalterlicher Sitte, dem Faustrecht gemäß, befestigten düsteren Paläste erhoben, wo jeder Bürger ein Souverän sich dünkte und weder des Papstes noch des Kaisers Unterthan zu sein erklärte, aber – so waltet des Geschickes Ironie – das ganze Volk Unterthanen einer Kaufmannsfamilie wurde. Ja, es lebte ein frischer trotziger Geist in Florenz, und was keinem Despoten durch Anwendung der blutigsten Gewalt gelungen wäre, das gelang den Medici, noch ehe ein Macchiavelli sie es gelehrt, durch List, Freigebigkeit, Luxus und Schmeichelei. Zu den Jahren 1434–1471 gaben diese gewiegten Kaufleute, welche auf die höchste Gewalt im Staate speculirten, für Almosen, öffentliche Bauten und Steuern 663,755 Goldgulden aus, und in Folge dieser Praxis standen sie immer an der Spitze des Staates, ohne sich diese Stellung angemaßt zu haben. Sie beschützten Kunst und Wissenschaft; in ihren Palästen, die nach und nach unmerklich zum Hofe wurden, trafen sich Bildhauer, Maler und Dichter. Durch ihr Gold blühten die wunderbaren Erzkünstler Brunelleschi, Donatello, Ghiberti und Masaccio, deren Werke noch jetzt das Staunen der Schönheitskenner erregen. Kein Angehöriger dieser berechnenden Familie aber entfaltete solchen fürstlichen Glanz wie Lorenzo der Prächtige (Magnifico). Er vermittelte, von Königen angerufen, Streitigkeiten zwischen ihnen; in seinem Hause kehrten Fürsten aus dem eisigen Norden, wie aus dem glühenden Süden ein. Der deutsche Kaiser buhlte um seine Gunst, und der Papst mußte auf das heißhungrig begehrte Florenz verzichten.

In demselben Jahre, wo Columbus ein Land entdeckte, von dem Niemand eine Ahnung gehabt, stand an dem Sterbebette des Lorenzo Medici, des Prächtigen, ein Mönch, den er mit Umgehung seines regelmäßigen Beichtvaters hatte rufen lassen. Dieser Mönch verlangte von dem Sterbenden Dreierlei: Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes, Rückerstattung alles unrechtmäßig Erworbenen und Wiederherstellung der florentinischen Freiheit. Der am Eingange der dunklen Pforte Stehende aber versprach nur das Erste willig, das Zweite schon unwillig, das Dritte verweigerte er barsch. Da ging der arme Mönch von dem reichen Handels- und Staatsfürsten, den Kaiser und Papst achteten, unbeugsam hinweg, – er hatte ihm die Absolution verweigert. Das that der Prior des Dominikanerklosters San Marco zu Florenz: Girolamo Savonarola.

Zehn Jahre vorher war er, dreißig Jahre alt, als irrender Mönch nach Florenz gekommen; seine Wiege hatte zu Ferrara gestanden, seine Lehrkanzel zu Bologna. Weit verschieden vom Geiste der Zeit waren seine Ideale. Während die regsamen, aber frivolen Kinder des Jahrhunderts im schönen Italien nach einem genußvollen Leben haschten – genußvoll in Beziehung auf die Sinne wie in Durchkostung des Schönen der Kunst und des Neuen, Interessanten, Pikanten der Wissenschaft –, verschmähte der ernste Dominikaner diese Liebhaberei, und seine düstere, nichtsdestoweniger aber glühende Leidenschaft galt der Religion und der Tugend.

Obwohl aber, oder vielmehr gerade weil Savonarola für Religion und Tugend schwärmte, war er ein Gegner der damaligen bittersten Feinde dieser Ideale und ihrer ärgsten Verfolger, der Päpste. Dieser Geist christlich-moralischer Opposition gegen die angeblichen Nachfolger Petri war zu Florenz und in Italien nicht neu. Hatte schon der größte Bürger dieser Stadt, der unsterbliche Dante, ohne Gnade Päpste in seiner Hölle braten lassen und zwar in nichts weniger als Achtung fordernder Situation, – hatte darauf der kunstvolle Dichter der Liebe, Petrarca, die scharfen Pfeile seiner Satire gegen den sittenlosen päpstlichen Hof zu Avignon geschleudert, den er das „neue Babylon“ nannte, so hatte des Letztern Schüler, Marsiglio, bewiesen, daß alle weltliche Gerichtsbarkeit dem Kaiser gehöre

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 749. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_749.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)