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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


auf dem er nur aus Laune liegt. Beim grimmen Pascha galt solcher Empfang aber als Zeichen großer Gunst. So wurde auch ich mehrmals empfangen und von den im öffentlichen Saale wartenden Honorartioren sehr um diese Gnade beneidet. Gewöhnlich lag dann der Alte im einem kleinen Nebenzimmer, in der oben beschriebenen leichten Tracht, auf der Erde (denn die altmodischen Türken verschmähen Bettgestell und dergleichen), nur durch die fürchterliche Matratze vom Fußboden getrennt. Viel Notiz nahm er nicht von dem Eintretenden, ja er drehte ihm meist den Rücken und das Gesicht der Wand zu. Aber er wußte sehr gut, wer eintrat, und wehe dem Unbefugten, der sich vermaß, in dieses Heiligthum einzudringen! Dann klatschte er leicht in die alten knochigen Hände und flugs erschienen zwei riesige Neger und beförderten den Eindringling die Treppe hinab.

In dieser bequemen Lage liebte es der Pascha, sich unterhalten zu lassen. Die Besucher mußten ihm Geschichten erzählen. Er zeigte ihnen dabei zwar nur seinen „ungebeugten Rücken“, aber er hörte sie doch. War das Geschichtchen gut und hatte es eine recht beißende Spitze, dann merkten wir an den Bewegungen der langen ausgestreckten Figur, daß der Pascha sehr heiter sein müsse. Dann verkrümmte sich die stramme Gestalt, um aber gleich wieder mit großer Spannkraft in die gerade Lage zurückzuschnellen, und das eine der alten mageren Beine flog, wie im Jubel, etwas in die Höhe. Das war der Gipfelpunkt der Heiterkeit.

Einmal sogar wälzte er sich buchstäblich auf dem Bauche, wenn man bei einem so mageren Manne überhaupt von Bauch reden konnte. Dann lag der Kopf schief in den Polstern; die Beine standen in spitzigen Winkeln in die Höhe, und ein muthwilliges Zucken durchlief die ganze Gestalt. Bei dieser Gelegenheit bekam man auch sein Gesicht zu sehen; er lachte nicht fein, sondern in einer so ausgelassenen Weise und mit so kräftigen Gesichtsbewegungen, daß man bei einem Andern vielleicht an Tollheit geglaubt hätte. Darum beehrte er auch wohl meist die Wand mit dem Anblicke seines Gesichts.

Einmal machte ich die Entdeckung, daß der Alte, trotz seiner eigenen Grobheit, dennoch für Höflichkeit von Seiten Anderer, ja selbst für Schmeichelei nicht unempfänglich sei. Aber ihm durfte nicht fein geschmeichelt werden; dafür hatte er gar kein Verständniß. Je gröber, desto besser, weil desto verständlicher. Zwar erreichte die Schmeichelei selten ihren Zweck, denn bei ihm hieß es, wie beim Könige der Thiere: „Grob oder höflich, ich fresse dich doch“, aber es freute ihn demungeachtet. Im besagten Falle war die Schmeichelei eine ganz besonders plumpe und erregte deshalb nur desto größere Befriedigung. Ein griechischer Branntweinhändler hatte, in dem Wahne, dadurch etwas vom Pascha zu erlangen, dessen Lob in einem in Aegypten in italienischer Sprache erscheinenden Winkelblatte gesungen, und was für ein Lob! Eine Lüge gröber als die andere, ja der Alte wurde für Dinge gepriesen, von denen notorisch war, daß er sie zu thun verweigert habe. So zum Beispiel hieß es, er habe den Armen drei große Cisternen (in dem wasserarmen Dschedda eine ungeheure Wohlthat) geschenkt, während Jedermann wußte, daß er sie theuer verpachtet hatte. Eine dieser Schmeicheleien war jedoch so seltsam, daß man sie dem Pascha gar nicht recht mitzutheilen wagte. Es hieß nämlich, Nuri-Pascha habe sich als „ein Mann des Fortschritts“ und als „aufgeklärt“ erwiesen. Es war nicht räthlich, ihm diese beiden Begriffe wortgetreu zu verdolmetschen, namentlich das letztere Beiwort, das dem alten Fanatiker eher wie Tadel klingen mußte. Das wußte auch der junge türkische Arzt, der den Uebersetzer spielte, sehr gut; denn als der Pascha fragte: „Aufgeklärt? Was ist das für ein Ding?“ erwiderte er beschönigend, es sei ein Mann, der „viel Gutes thue“. Dies ließ sich zwar der Alte gefallen, aber es kitzelte seine Heiterkeit besonders, daß er „viel Gutes thun“ solle. Er „viel Gutes thun“? Es war eine kostbare Ironie! Denn die geleerten Taschen aller Bürger von Dschedda waren da, um zu bezeugen, daß alles Gute, was er that, nur seiner Casse zu Gute kam.

Daß er natürlich auch ein „Vater der Wittwen und Waisen“ genannt wurde, war nur eine beliebte orientalische Uebertreibung, die in keiner Lobhudelei zu fehlen pflegt und deshalb ganz in der Ordnung gefunden wurde. Insofern war sie auch richtig, als er sehr oft bei Wittwen und Waisen in die Stelle des verstorbenen Vaters eintrat, indem er nämlich dessen Vermögen im Besitz nahm, um es natürlich für sich zu behalten, die Hinterbliebenen aber großmüthigst in ein Armenhaus steckte, wo sie Wohnung bekamen, für Kost jedoch auf Almosen angewiesen waren. Bei Erbschaftsprocessen spielte er sehr gern den Vermittler, das heißt er nahm gewöhnlich die Erbschaftssummen, wie es hieß, in „Verwahrung“. War dann endlich der Proceß entschieden, so hätten die Erben ebenso gut in den Mond zu steigen versuchen können, als den grimmen Pascha zur Herausgabe der Erbschaft zu bewegen.

Zuweilen gefiel es ihm, als ein Mann zu erscheinen, dem der Rechtspunkt über Alles ginge. So kam es während meiner Anwesenheit in Dschedda vor, daß die ehemalige Sclavin eines reichen Türken daselbst starb, die Jedermann für bettelarm gehalten hatte, in deren Hause sich aber, in alten Lumpen versteckt, eine sehr ansehnliche Summe vorfand. Diese Summe hätte, nach dem gewöhnlichen Rechtsgebrauch, den Söhnen der Verstorbenen, deren sie zwei und zwar beide von ihrem zweiten Mann, einem Ostindier, besaß, und die unter englischem Schutz standen, gehören sollen. Der englische Consul nahm für diese auch wirklich Besitz davon. Aber er hatte ohne den Pascha gerechnet. Dieser entwickelte unerwarteter Weise die Rechtsfrage dahin, daß er behauptete, die Alte müsse das Geld ihrem ersten Gebieter gestohlen haben, dieses gehöre folglich den Erben des reichen Türken, für deren Rechte der Pascha plötzlich ein lobenswerthes Interesse an den Tag legte. Ob diese selbst etwas davon wußten? Schwerlich! denn, nachdem der Pascha von den ihm gehorsamen Richtern einen ihm günstigen Spruch erlangt hatte und der englische Consul gezwungen worden war, das Geld herauszugeben, wurde der Erben mit keiner Silbe mehr erwähnt. Kein Mensch wußte auch etwas von ihnen und ob sie überhaupt vorhanden waren. Den wahren Erben aber kannte Jedermann; natürlich war es der Pascha.

So flossen denn ganz hübsche Sümmchen in seine Casse und blieben auch darin; denn für seinen Hausstand verausgabte er wenig. Nicht, als ob er schlecht gelebt hätte – im Gegentheil, es herrschte Ueberfluß bei ihm; aber die Sorge hierfür überließ er seinen treuen Dscheddanern, namentlich den reichen Kaufleuten, die ihn mit allem Möglichen, Eßbarem wie nicht Eßbarem, Nützlichem wie Unnützem, umsonst versahen. So besaß er vier stattliche abessinische Sclaven, die, in kostbare Gewande gekleidet, mit schweren goldenen Ketten behangen und mit theuren Ringen geschmückt, die Aufwärter im Audienzsaale machten. Alles, was diese braunen Jünglinge an und um sich hatten, ja ihre eigenen Personen, waren Geschenke bewundernder Untergebenen. Ebenso soll der ganze Harem des alten Stocktürken nur aus geschenkten Sclavinnen bestanden haben, die mit geschenktem Schmuck geziert, in geschenkte Kleider gehüllt und mit geschenkten Lebensmitteln ernährt wurden. Auch für sein Haus gab er nichts aus; es war eine Amtswohnung.

Daß ihm natürlich daran gelegen sein mußte, einen so fetten Posten recht lange zu behalten, begreift sich. Er ergriff hierzu das beste Mittel, das nämlich, diesen Posten als recht schlecht zu schildern, ja er trieb die List so weit, daß er von Zeit zu Zeit eine Bittschrift an’s Ministerium richtete, man möge ihn doch desselben entheben. Aber der alte Wolf, der auch ein Bischen Fuchs war, wußte sehr wohl, daß keine Bittschrift beim Ministerium Erhörung findet, wenn sie nicht von Bestechungssummen begleitet ist, und wohlweislich unterließ er es, solche einzusenden, blieb deshalb auch ruhig auf seiner Stelle, die er einen wahren „Verbannungsposten“ nannte. Der einzige Türke, der ihm hätte schaden können, wenn es ihm gelungen wäre, die wahre Natur des „Verbannungspostens“ zu entdecken, war der „große“ Pascha „von nichts“, der Statthalter der ganzen Provinz, sein Vorgesetzter. Mit diesem aber spielte er ein sehr geschicktes Spiel. So oft derselbe nach Dschedda kam und im Hause seines Untergebenen abstieg, wurde er vorerst durch einen schlechten Empfang und eine ganz niederträchtige Verpflegung in Erstaunen gesetzt. Machte er darüber eine Bemerkung, so wurde ihm in dem beliebten Donnerwetterton erwidert, er verstehe nichts davon, wie schlecht und uneinträglich die Statthalterschaft von Dschedda sei. Er möge es nur selber einmal versuchen, ob er etwas aus diesem Amte herausschinden könne. Er (Nuri-Pascha) selbst sei es müde, länger auf diesem Hungerposten zu bleiben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_748.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)