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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Holm stellte Wernick vor, der, nachdem der Graf einige Worte mit ihm gewechselt, Thea als Landsmännin ansprach und sich im unbefangensten Tone nach dem Ergehen ihrer Familie erkundigte.

Wochen vergingen, ohne der Vision, an welcher ich trotzdem ebenso stillschweigend als hartnäckig festhielt, irgend eine Bestätigung zu bringen. Das gesellige Leben der Kreise, die sich zusammengefunden, ging seinen Gang. Matterns, mit denen ich viel verkehrte, unternahmen häufig Ausflüge, wozu der Graf sowohl Wernick, als dessen bald nach ihm eingetroffenen Gefährten, den Professor Berg, aufzufordern pflegte. Wenn auch nicht immer, wurde solche Aufforderung doch meist angenommen. Um so mehr fiel es mir auf, daß sich nicht allein Wernick die beiden Male, wo wir die lohnendste aller von Zoppot aus erreichbaren Partien nach dem Vorgebirge Adlershorst unternahmen, hiervon losmachte sondern auch Thea im letzten Moment jedesmal Vorwände fand, zurückzubleiben.

An einem köstlich frischen, sonnenheiteren Tage fand ein Massenausflug nach Oliva statt, für welchen das Vergnügungscomité ein vollständiges Programm aufgestellt hatte; Alt und Jung nahm Antheil, und so wenig Derartiges nach meinem persönlichen Geschmack, mochte ich mich nicht ausschließen. Der Kaffee war bei Thierfeldt eingenommen, der Karlsberg erstiegen; selbst die weitberühmte Orgel der alten Klosterkirche mußte wißbegierigen Ohren ihren Tribut zahlen, dann ergoß sich der Strom der Gäste gegen Sonnenuntergang über den Park, wo all die bunten Gestalten mit ihrem Geplauder und fröhlichem Lachen mehr zwischen die hohen geschorenen Hecken paßten, die, noch in der Manier Lenôtre’s angelegt und erhalten, aus ihrem Dunkel auf das lichte Meer blicken lassen, als unter die herrlichen, schweigenden Baumgruppen und die geheimnißvoll rauschenden Cascaden.

Der jüngere Theil der Gesellschaft eilte dem Karpfenteiche zu, und bewegte das Glöckchen, um die alten, bemoosten Häupter zu füttern. Während dieser Act vor sich ging, machte einer der Herren den Vorschlag, die ganze Gesellschaft, Herren und Damen, durch Loose in Paare zu theilen, welche der nahen Flüstergrotte anvertrauen sollten, was sie sich etwa zu sagen hätten. Der muthwillige Gedanke ward mit Applaus angenommen und Alt und Jung zusammengeläutet. Aus den Blättern eines Notizbuches wurden rasch numerirte Loose geschaffen und feierlich durcheinandergeschüttelt. Die Damen mußten auf Verlangen des Ordners auf der einen Seite des Weges, die Herren auf der anderen Spalier bilden, bis sich durch Aufruf der übereinstimmenden Nummern die Paare zusammengefunden. Unter all dem Geschwirr, Gelächter und Durcheinander, welches dieser Einfall hervorgerufen, achtete ich, in ein Gespräch mit Berg vertieft, kaum auf das Resultat der Ziehung, wurde aber plötzlich für das Unternehmen interessirt, als ich, während sich die Reihe ordnete, Wernick an Thea’s Seite erblickte.

Die Procession zog der Flüstergrotte zu, einer jener Spielereien der Zopfzeit, worauf damals so hoher Werth gelegt wurde. Zwei rechts und links vom Wege angelegte Grotten haben so eigenthümliche Akustik, daß der Gegenüberstehende das leiseste Wort seines Partners in der zweiten Höhle versteht, während man auf der Mitte des Weges zwischen Beiden nicht einen Hauch vernimmt.

Mit einer Erregung, die ich selbst belächelte, stand ich an einen Baumstamm gelehnt, und sah Paar um Paar lachend aus- und einwandern. Als die Reihe an Thea kam, zögerte sie eine Secunde auf dem Wege, während Wernick, nachdem er mit stummer Verbeugung ihren Arm auf dem seinigen hatte gleiten lassen, bereits in die Höhle zur Linken getreten war. Als Thea sich der Grotte rechts zuwandte, in deren Nähe ich meinen Standpunkt genommen, sah ich im Moment ihres Verschwindens, daß dunkle Gluth ihr Wangen und Nacken übergoß. Ein paar Minuten vergingen. Sie erschienen mir von ungemeiner Dauer auch die eifrig plaudernden Pärchen, welche den Weg füllten, scherzten über das lange Beichtgeheimnis. Als Wernick hervortrat, stand sein Nachfolger schon ungeduldig bereit und warf ihm ein neckendes Wort zu, das in gleichem Tone erwidert wurde Nur einem scharf beobachtenden Auge konnte es deutlich werden daß der Professor stark erregt war; ich kannte dieses Gesicht schon gut genug, um Mund und Auge zu verstehen. Während ich noch zu ihm hinübersah, schritt Thea an mir vorüber – ein Bild ohne Gnade.

Ich würde viel darum gegeben haben, der Flüstergrotte, in welche ich bald nachher selbst eintrat, ihr Geheimniß abfragen zu können. Während das unerschöpfliche Frage- und Antwortspiel noch immer im besten Gange war, suchte ich mir eine einsame Bank; das Geschwirr und Gelächter um mich her begann mich ebenso zu ermüden, wie die lauten Exclamationen einzelner Enthusiasten, die ihrer Bewunderung der schönen Natur in wahrhaft lähmender Weise Luft machten. Schon war die Sonne gesunken, als ich mich auf den Weg machte, die zerstreute Gesellschaft wieder aufzusuchen. Zu meiner höchsten Ueberraschung kam mir in einem der verlassenen Laubgänge Professor Wernick entgegen, der Thea am Arme führte. Sobald wir zusammentrafen, gab er ihren Arm frei, küßte ihre Hand und zog sich mit stummer Verbeugung gegen mich zurück. Auch das schöne Mädchen verharrte, nach einer kurzen, zerstreuten Bemerkung gegen mich in Schweigen, während wir den allgemeinen Sammelplatz aufsuchten.

Wernick kam diesen Abend nicht mehr zum Vorschein.



Der Tag meines Scheidens nahte, und der Gedanke daran fiel mir schwerer, als der Vielgewanderten selbst erklärlich erschien. Stunden und Wochen waren verstrichen, wie auf den glückseligen Inseln, jede Sorge, jede Schwere des Lebens draußen geblieben. Ein traumhaftes Jugendgefühl überkam mich, wie das Echo längst verklungener Zeiten. Alles schien mit rosigem Schimmer überhaucht und verklärt zu sein. Und nun hieß es, den Bündel schnüren und zurück in die Alltagswelt. Viel Freundliches ward der Scheidenden noch dargeboten, als Wegzehrung gleichsam für die Erinnerung; geselliges Zusammensein, Partien aller Art füllten die letzte Woche. An dem Nachmittage, der meiner Abreise voranging, entschlüpfte ich aber jedem Auge, um noch einmal nach dem Parke von Oliva zu pilgern, wo mir die erhoffte Stille auch ward. Eine Festlichkeit auf der Westernplatte zu Neufahrwasser hatte alle Welt dorthin gelockt, und der sonst vielbesuchte Fürstengarten war einsam wie ein Kloster. Mit stillem Genießen durchwanderte ich die sonnendurchleuchteten Gänge und wandte mich endlich, um zu rasten, einem Platze zu, den ich bisher zu meinem Verdruß stets mit Menschen besetzt gefunden, jetzt aber endlich in Einsamkeit zu genießen hoffte.

Zu meiner unerfreulichen Ueberraschung sah ich aber schon von fern, daß die Bank am Teiche auch heute nicht leer war. Eine dicht in einen faltenreichen Shawl gehüllte Gestalt saß dort in so regungsloser Haltung, daß ich auf den Gedanken kam, sie möchte dem träumerischen Wasser gegenüber eingeschlummert sein.

Als ich mich näherte, erkannte ich Thea. Sie regte sich nicht, sondern richtete nur langsam die Augen auf mich und grüßte mit den Wimpern, während ich mich neben sie setzte. Erst jetzt sah ich, daß Thränen, die sie nicht zu fühlen schien, über ihre Wangen rollten. In vorgebeugter Haltung saß sie da, die Lippen leise geöffnet, als spräche sie mit Unsichtbarem. Nach dem ersten Blicke auf sie wandte ich mein Auge von ihr ab. Wir schwiegen Beide, und Schweigen ringsum hielt fast den Herzschlag in Bann. Klar wie ein Kinderauge, in dem Welt und Himmel sich spiegelt, lag vor uns der Teich, von Schilfpflanzen besäumt, die gleichsam seine Grenze gegen die ganze Schöpfung bildeten. Zur Rechten neigte eine uralte Linde ihr breitästiges Gezweige so tief hinab, daß die Blätter mit ihren letzten Spitzen im Wasser verschwanden. Links zitterte die Silberpappel und schimmerte wie Mondlicht beim leisesten Lufthauche. Nichts war zu hören als schwaches, fernes Rauschen der dem Auge verborgenen Wasserfälle, nichts zu schauen als das im Sommerwinde schwankende Laub. Auf der kleinen, links hereinragenden Bucht neigte sich das Schilf; das Wasser schuf sich Kreise, die, eng oder weit, immer gleiche Ringe schlossen; die Sonne legte eine schmale goldene Brücke darüber, und Eintagsfliegen taumelten darüber hin.

Friede ergriff mich. Jede Sehnsucht schien sich mir durch sich selbst zu beantworten. Ich wandte mich Thea zu, diesen Gedanken auf den Lippen. Aber das Wort stockte mir, als ich ihr in’s Gesicht sah. Die schönen, sonst so plastisch ruhigen Züge trugen den Ausdruck unsäglicher Qual. Lebhaft bewegt, schloß ich ihre Hand in die meine; sie war kalt wie Eis. Ein Bangen erfaßte mich, als hätte ich mein eigenes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_742.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)