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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Wasser befindet, auch noch so sehr anfachen, das Thermometer in dem siedenden Wasser ist und bleibt auf hundert Grad Wärme stehen. Wo bleibt nun die zugeleitete Wärme? Sie wird jetzt zur Dampfbildung verbraucht und giebt den Dämpfen Spannkraft. Wird dem Dampfe die Wärme auf irgend eine Weise wieder entzogen, so stürzen die Molecüle desselben mit einer gewissen Kraft aufeinander, und diese ist genau derjenigen gleich, welche früher zu ihrer Trennung angewandt wurde, und sie liefert ganz genau die gleiche Wärmemenge, die früher zur Verdampfung aufgewendet wurde. Der gasförmige und der flüssige Zustand der Körper sind, wie sich leicht begreift, blos vorübergehende Zustände, welche durch die Wärme bedingt werden und mit dieser schwinden, der feste Zustand ist der ursprüngliche und wahre der Materie. Um den gasförmigen und flüssigen Zustand dauernd zu erhalten, dazu gehört für die ganze Erdoberfläche eine enorme Wärmemenge, und die Sonne ist es, welche diesen täglichen Bedarf liefert. Jeden Augenblick verliert die Erde Wärme durch Ausstrahlung gegen den kalten Weltraum, und es würde sehr bald mit ihrem Wärmevorrath am Ende sein, wenn die Sonne nicht ununterbrochen neue Wärme spendete.

Es ist eine interessante Frage: wie groß die Wärmemenge ist, welche die Sonne täglich auf die Erde herabsendet. Man hat diese Frage beantwortet, indem man die Wärmestrahlung der Sonne auf einem bestimmten Raume und in einer bestimmten Zeit maß. Auf diese Weise ergab sich, daß die täglich von der Sonne auf die Erde treffenden Wärmestrahlen hinreichen würden, einen Eisklumpen von 92 Billionen 600,000 Millionen Cubikmeter zu schmelzen. Dieser Eisklumpen entspricht einem massiven Block von 61/7 Meilen Länge, 61/7 Meilen Breite und 61/7 Meilen Höhe. Um sich von dieser Wärmequantität einen annähernden Begriff zu machen, will ich Folgendes bemerken. Wenn die Sonnenwärme, welche die Erde trifft, einzig dazu verwendet würde, das Meerwasser in Dampf zu verwandeln, und wenn dieser Dampf jedesmal entfernt werden könnte, so daß er bei seiner Erkaltung und Condensation nicht wieder auf den Erdboden zurückkäme, so würde die Sonnenwärme in etwa tausendsechshundert Jahren den ganzen Ocean, überhaupt alles Wasser auf der ganzen Erdoberfläche verdampfen. Man kann die Arbeitsgröße dieser Wärmemenge in Pferdekräften ausdrücken, und es ergiebt sich hierbei, daß die Sonne in jeder Minute eine Kraftmenge zur Erde sendet, welche der Arbeitskraft von 220 Billionen einpferdiger Dampfmaschinen gleichkommt, und von dieser Kraft wird hier unten alle Bewegung bestritten.

Ein ganz ansehnliches Budget, wie man gestehen muß, und doch ist es blos diejenige Quote, welche die Erde für sich bezieht! Außer dieser wollen aber auch noch andere Planeten ihren Theil Sonnenwärme haben, und erhalten ihn wirklich. Zuletzt wird – nach unseren beschränkten Begriffen zu urtheilen – im Haushalte der Sonne eine grenzenlose Verschwendung getrieben. Denn noch nicht der millionste Theil der ganzen von der Sonne ausgeschickten Wärme kommt einem Planeten zu Gute; die ganze übrige Menge geht in den kalten und leeren Weltraum hinaus, zu welchem Zwecke, das weiß man noch nicht. Was unsere Erde anbelangt, so empfängt sie von der ganzen jährlichen Sonnenausgabe eigentlich nur eine sehr magere Tantième, nämlich blos den dreiundzwanzig millionsten Theil von Einem Procent! Unser armer Erdball sitzt also keineswegs im Verwaltungsrathe des Sonnensystems.

Wie ich bereits bemerkte, hat die Verschwendung der Sonnenwärme bereits seit Millionen von Jahren in dem enormen Maßstabe, den ich eben bezeichnete, angedauert, und gegenwärtig deutet auch eigentlich noch gar nichts darauf hin, daß die Wärmeausgaben der Sonne in den nächsten Jahrhunderttausenden eingestellt würden. Es entsteht daher die Frage nach dem Capitale, von dem die Sonne ihre kolossalen Ausgaben Jahr für Jahr bestreitet. In dieser Hinsicht hat es der Wissenschaft viele Mühe gekostet, hinter den dichten Schleier, mit dem die strahlende Sonne ihr ganzes Thun und Treiben verbirgt, zu kommen und die Quelle zu entdecken, aus der die immensen Ausgaben bestritten werden.

Ich will mich nicht damit aufhalten, die Irrwege aufzuzählen, auf die man früher bezüglich der Quelle der Sonnenwärme gerathen ist, sondern gleich bemerken, daß die Entwickelungsgeschichte der Sonne die Antwort auf die Frage nach dem Ursprunge der Sonnenwärme enthält. Die Naturgeschichte der Sonne enthält den Ursprung ihrer Wärme und ihres Lichtes.

Versuchen wir, einen Blick auf diese Geschichte der Sonne zu werfen. Zu diesem Ende müssen wir uns zurück versetzt denken in eine Vergangenheit, in welcher von unserem Erdballe, vom Monde und von allen Planeten noch keine Spur vorhanden war; vielleicht war damals sogar der ganze Sternenhimmel, der sich allnächtlich über uns aufspannt, auch noch nicht vorhanden. Alle Körper, welche heute unser Sonnensystem zusammensetzen, bildeten damals einen ungeheuren glühenden Nebelball von mehreren tausend Millionen Meilen Durchmesser. Der Kern dieses Nebelballes ist unsere heutige Sonne; die Planeten, die Erde selbstredend mit ihnen, sind die äußersten Theile dieses Balles, und wenn man bedenkt, daß unsere Erde gegenwärtig längst erkaltet ist, so weiß man von selbst, daß zwischen dem Damals und dem Heute ein Zeitraum von ungeheurer Länge verflossen sein muß. Ich habe, auf gewisse physikalisch-astronomische Thatsachen gestützt, eine Zahlenangabe für die Dauer dieses Zeitraumes zu gewinnen versucht und kann diese Dauer hiernach nicht unter einigen tausend Millionen Jahre schätzen. Auf ein paar Millionen Jahre mehr oder weniger kommt’s, glaube ich, sicherlich nicht an.

Die Sonne hat während dieser ganzen Zeit ununterbrochen geleuchtet und Wärme ausgestrahlt, aber ihre ursprüngliche Gluth heute bei Weitem noch nicht ganz eingebüßt. Gegenwärtig noch ist die Sonne nichts als ein ungeheurer Gluthball, in welchem sich alle Stoffe theils in glühend-flüssigem, theils glühend-gasförmigem Zustande befinden. Die Spectralanalyse hat es ermöglicht, diese Thatsachen festzustellen und zwar mit einer Gewißheit, die jeden Zweifel ausschließt. Wenige wissenschaftliche Entdeckungen haben in solchem Grade die allgemeinste Aufmerksamkeit erregt, wie diejenigen, welche mittels der Spectralanalyse gewonnen wurden. Für diese Methode der Beobachtung scheint der Raum und die Trennung der Körper nicht zu existiren; es bleibt sich gleich, ob der untersuchte Gegenstand in zehn Fuß Abstand vom Beobachter sich befindet, oder ob seine Entfernung zehntausend Millionen oder hunderttausend Milliarden Meilen beträgt. Die ungeheure Entfernung der Sonne von der Erde – sie beträgt zwanzig Millionen deutsche Meilen –, welche bisher ein unübersteigliches Hinderniß genauerer Untersuchung war, ist für die Methode der Spectralanalyse nicht vorhanden. Wir untersuchen die glühende Materie der Sonne mit genau der nämlichen wissenschaftlichen Sicherheit, als wenn wir eine kleine Quantität derselben im Laboratorium behandeln könnten.

Es ist interessant, die Stoffe kennen zu lernen, welche hauptsächlich die Zusammensetzung des glühenden Sonnenballes bilden. Die Untersuchungen in dieser Beziehung sind noch nicht abgeschlossen; ich will daher blos bemerken, daß man bis jetzt folgende chemische Elemente in der Sonnenatmosphäre als vorhanden nachgewiesen hat, alle in glühend gasförmigem Zustande: Aluminium, Barium, Calcium, Chrom, Eisen, Kobalt, Kupfer, Magnesium, Mangan, Natrium, Nickel, Titan, Wasserstoff, Zink; dagegen sind Gold, Silber, Quecksilber etc. in für uns noch wahrnehmbarer Menge auf der Sonne nicht vorhanden. Diese Körper, die sich auch auf anderen Fixsternen nicht finden, scheinen also überhaupt in der Welt zu den seltneren zu gehören und sind es nicht allein auf unserer Erde. Man braucht nicht viel Einbildungskraft dazu, um sich vorzustellen, daß auf der Sonne eine ganz ungeheure Gluth herrschen muß, wenn die genannten Metalle dort als glühende Gase existiren. Und dies gilt blos von der Sonnenatmosphäre, die auf jeden Fall beträchtlich weniger heiß sein muß als der eigentliche Sonnenball. Alle Versuche, welche man bis jetzt angestellt hat, durch directe Messungen die Temperatur der Sonne zu ermitteln, sind fehlgeschlagen; diese übersteigt bei Weitem alle Hitzegrade, welche wir künstlich darstellen können. Auf dem Wege der Rechnung hat man dagegen gefunden, daß an der Sonnenoberfläche mindestens siebenundzwanzigtausend Grad Hitze herrschen müssen. Das ist eine Temperatur, gegen welche die Gluth unserer Eisenschmelzen wie ein angenehmes Frühlingslüftchen erscheint, und doch würde man irren, wenn man der Sonne im Ganzen blos den angegebenen Hitzegrad zuschreiben wollte. Wie groß die Gluth im Innern des Sonnenkörpers ist, das entzieht sich nachgerade aller Schätzung. Sie ist dort so ungeheuer, daß alle Substanzen daselbst nur im Zustande

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 733. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_733.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)