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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Auch Goethe, als er nach Italien zog, bewohnte dieses Gemach am 9. September 1786. Zwei Jahre später finden wir Herder hier, der am 1. September 1788 an seine Kinder schrieb: „Jetzt bin ich nun in Bozen, wo heute eine unsägliche Menge Volkes ist, weil neunzehntausend Kinder gefirmelt werden sollen, da der Bischof in vielen Jahren nicht gefirmelt hat, weil er zu faul gewesen. Da ist nun vor unserem Wirthshause zur Sonne ein solcher Obstmarkt, als Ihr in Eurem Leben nicht gesehen habt: Birnen, Quetschen, Weintrauben, Nüsse, Feigen.“ Damals stand die „Sonne“ am höchsten, und es begann kurz darauf ihre Neige. Italienische Kaufleute, Künstler und Gelehrte hielten aber fest an der „Sonne“, wenn auch die vornehme Welt nur mehr die „Kaiserkrone“ besuchte. Endlich bewahrheitete sich auch an unserer „Sonne“ der Spruch:

„Und scheint die Sonne noch so schön,
Am Ende muß sie untergeh’n,“

denn im vorigen Jahre wurde das altberühmte Gasthaus verkauft und, um den Platz zu erweitern, abgebrochen. Unser Künstler hat aber das Bild des Hauses, in welchem Goethe und Herder gewohnt, für die Nachwelt gerettet.

Der „Sonne“ gleich haben auch die historischen Bozener Messen ihren Glanz verloren, allein das rührige Kaufmannsleben dauert in der alten Handelsstadt dennoch fort und vermittelt theilweise den regen Verkehr zwischen Deutschland und Italien. Bozen wird indessen nach anderer Seite hin sicherlich aufblühen. Es wird eine Hauptstation alpiner Touristen werden, denn kein Punkt Tirols bietet für den feineren Landschaftsbeobachter so viele und wechselnde Genüsse, wie die Bozener Gegend. Zudem giebt Bozen den besten Ausgangspunkt nach dem noch zu wenig besuchten Sarnthal, nach dem romantischen Eggenthal, sowie nach der schönen Mittelebene, nach Ueberetsch und dem reizenden Gehänge von Montan zwischen Auer und Neumarkt. Wer eine überraschende Bergaussicht ohne viel Mühe und ohne Gefahr genießen möchte, der kann das schon im Eckerliede genannte Jochgrimm besteigen. Damen werden sich daran auch kein Füßchen verletzen. Diesen alpinen Vorzug Bozens hatte Herr Amthor auch erkannt, als er seine Schrift über diese Stadt und deren Umgegend schrieb.

Möchten recht viele Reisende das Florenz an dem Eisach besuchen und die ebenso wechselreiche wie schöne Umgebung kennen lernen – und sie werden, wenn sie die rechten Wege und Punkte gefunden, dem Schreiber dieser Zeilen gewiß nicht undankbar sein.

Z.




Blätter und Blüthen.


Im Hause der französischen Nationalversammlung. Bei den sich immer häufiger wiederholenden parlamentarischen Krisen in Frankreich dürfte es auch für entferntere Beobachter dieser Zustände nicht ohne Interesse sein, einen Einblick in das innere, ich möchte sagen häusliche Treiben der Nationalversammlung zu thun. Ich möchte daher den Leser ersuchen, mich auf einem Besuche der Säle und Zimmer zu begleiten, in denen die Berathungen der Versammlung gepflogen werden.

Seitdem Versailles als Sitz der französischen Regierung angenommen worden, hat jede historische Erinnerung an den großen Erbauer des Schlosses einem praktischen Zwecke weichen müssen, und der Contrast zwischen der ehemaligen und der jetzigen Bestimmung der Räume ist manchmal recht eigenthümlich. Wen sollte es da Wunder nehmen, wenn das zu den leichtesten und elegantesten Aufführungen bestimmte Theater heute der Sitzungssaal der Nationalversammlung geworden ist? Sind doch die Verhandlungen selbst oft höchst theatralisch und ist doch ihr Ausgang nicht minder tragisch oder ergötzlich wie derjenige der großen Schöpfungen eines Racine, eines Corneille oder Molière!

Wie bereits bekannt, ist es keineswegs leicht, Zutritt zu diesen Räumen zu erhalten, und es bedarf dazu mancher Verbindungen, wenn man darauf verzichtet, eines der fünfzehn Billete zu erringen, die täglich für die Fremden ausgetheilt werden. Sie fallen meist in die Hände von Unterhändlern, die vom frühen Morgen an darauf warten und sie nachher, je nach dem Interesse, daß die Sitzung verspricht, für zwei, fünf, zehn oder zwanzig Franken wieder verkaufen. Das Beste ist also immer, sich an die Deputirten oder an Freunde derselben zu wenden, und man darf es als ein wahres Freundschaftszeichen ansehen, wenn man mit einer Eintrittskarte beglückt wird. Die Vertheilung der Billete ist das Amt der Quästoren, die eine strenge Controle darüber zu führen haben. Jeder Deputirte hat nämlich alle einundzwanzig Tage Anrecht auf zwei Billete ersten Ranges, alle achtzehn Tage Recht auf zwei zweiten Ranges. Wer nun einen großen Kreis von Freunden oder Bekannten hat, dem ist es gewiß nicht leicht, den vielfachen Anforderungen zu genügen.

Rechnen wir uns zu den Bevorzugten, denen es gelungen ist, Eintritt in das Sitzungsgebäude zu erlangen, und werfen wir zunächst einen Blick auf die Einrichtung des Haupt- und Sitzungssaales.

Das Parterre des kleinen Theaters ist in drei Theile abgetheilt, in denen die Rechte, die Linke und die beiden Centren ihren Platz finden. Die Pulte und Plätze der Herren Abgeordneten sind einfach und sehr eng, Letzteres aus Mangel an Raum. Der alten Bühne zunächst, vornan, befinden sich die Tische der Minister und die Bänke für die Mitglieder der einzelnen Commissionen. Ein Theil der Bühne ist für den Präsidenten, den Redner und die Geschäftsführer eingerichtet. Der Präsidentenstuhl ist ein umfangreiches altes Möbel, das einem curulischen Stuhle nicht unähnlich sieht. Auf dem davor befindlichen Tische steht die große Glocke, die in den stürmischen Verhandlungen fast unaufhörlich erklingt und die allein manchmal die Ruhe wieder herzustellen vermag. Jeder Präsident hat seine eigene Art, diese Klingel zu gebrauchen. Herrn Grevy’s Art war kurz, kalt und gebieterisch; er wußte sich meisterhaft derselben zu bedienen. Sein Nachfolger, Herr Buffet, hat noch immer keine rechte Sicherheit im Gebrauch der Glocke erlangt; unter seinem Drucke klagt und wimmert sie, ohne recht zu wissen, wann sie beginnen, wann aufhören soll.

Die Rednertribüne ist von Acajouholz und hat einen doppelten Aufgang von je sechs Stufen, eine weise und politische Einrichtung, welche den unversöhnlichen Gegnern gestattet, sich auf den unschädlichen Kampf der Worte und Gedanken zu beschränken. Zu beiden Seiten dieser Stufen befinden sich die kleinen Stehpulte für die Stenographen, die sich alle fünf Minuten ablösen, also immer ziemlich zahlreich vertreten sind. Ueber diesen Häuptern des Staates dürfen wir aber die Diener desselben, die einflußreichen Huissiers nicht vergessen, deren Amt darin besteht, die tobende Versammlung zur Ruhe anzuhalten: „Silence, Messieurs, un peu de silence, Messieurs!“ rufen sie unermüdlich, sobald die Klingel des Präsidenten ertönt, indem sie dabei bald schwach, bald lauter mit ihren langen Stäben auf den Boden stoßen. Sie sind es auch, die die Deputirten zur Abstimmung einladen und sie dazu nicht selten aus dem Büffet oder aus den Nebensälen herbeirufen.

Zwei ziemlich schmale Galerien gestatten einen Einblick in dieses Heiligthum; die erste enthält die diplomatische Loge, eine Loge für die früheren Deputirten, eine für die Angehörigen des Ministeriums, für die Familie des Präsidenten und einige Freunde der Deputirten. Die zweite hat eine große Loge für die Journalisten, und offene Nebenlogen, sogenannte Tribünen für das Publicum.

Nur durch einen schmalen Corridor von dem Theatersaale getrennt ist der „Salle des Pas-Perdus,“ der sogenannte Promenadensaal der Deputirten. Es ist eine schöne Galerie, die etwa zweihundert Fuß in der Länge und zwölf Fuß in der Breite mißt. Ihre Ausstattung ist jedoch wenig erfreulich; rechts und links Statuen oder Gräber der verstorbenen königlichen Personen: Chlodwig und Clotilde, Pipin der Kleine und Bertha, Franz der Erste und Diana von Poitiers, Ludwig der Neunte, Philipp der Dritte, Philipp der Vierte und so weiter. In der Mitte befindet sich das Mausoleum Ferdinand’s und Isabella’s von Castilien. Die Legitimisten können hier mit Muße über das Ende der Monarchen nachdenken.

In diesem Saale herrscht die größte Freiheit in der Unterhaltung, denn kein Uneingeweihter darf dessen Schwelle überschreiten; die Journalisten dürfen nur von ferne, aus einer vergitterten Loge diesem Treiben zusehen, und es gelingt ihnen nur selten, ein bedeutendes Wort zu erhaschen, das man ihnen mitleidig zuwirft, etwa wie ein Stück Brod für die Bären in den zoologischen Gärten. Aber auch diese Vergünstigung wird ihnen in dem daranstoßenden Zimmer, in dem Büffet, entzogen. Hier also vertraut man sich die allergeheimsten Wünsche und Befürchtungen, hier schmiedet man die Complote, hier giebt man das Losungswort für die bevorstehenden Kämpfe. Das Büffet ist ein ziemlich großer rechtwinkliger Saal, der aus einem Theil der Bühne und aus dem Conversationszimmer der Schauspieler gewonnen ist. Vor den Fenstern erhebt sich ein ungeheurer Schrank voll zahlloser Flaschen von allen Farben und Dimensionen; ein davorstehender Tisch trägt die üblichen Butterkuchen und Brödchen.

Unter dem Kaiserreiche und noch 1871 wurden die Ausgaben für das Büffet von dem Nationalbudget bestritten, und war dazu eine Summe von fünfzigtausend Franken ausgesetzt, die aber niemals genügte. Das war eine herrliche Zeit! Rheinwein, Bordeaux und Burgunder flossen wie in Strömen, und die allerappetitlichsten Kuchen mußten den Hunger der Repräsentanten des Volkes stillen. Aber die Zeiten ändern sich. Mit der Republik sollte auch die republikanische Einfachheit kein leerer Klang sein, und so stellten Ende des Jahres 1871 einige Deputirte den Antrag, daß man den üppigen Festen ein Ende mache. Die Majorität wagte keinen Einspruch zu thun, und es wurde bestimmt, daß jeder Deputirte wöchentlich fünf Franken von seinem Gehalt für die Bestreitung der nöthigen Erfrischungen abgebe, wodurch man die jährliche Summe von etwa 45,000 Franken erhielt. Da aber das Buffet in derselben Ueppigkeit beibehalten wurde und Jeder nun für sein Geld verzehren wollte, so stellte sich nach Verlauf von drei Monaten heraus, daß man 8000 Franken mehr ausgegeben, als die Casse erlaubte, daß man also nach weiteren drei Monaten gar nichts mehr werde verabreichen können. Die Quästoren sahen sich daher gezwungen, die Getränke und Kuchen zu vereinfachen, und trotz allem Murren der diesmal einstimmigen Deputirten ist es denn bei dieser Einschränkung geblieben, so daß die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 721. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_721.JPG&oldid=- (Version vom 1.4.2019)