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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Dies reizt die von den Bäumen aus zuschauenden. Sie flattern herbei, an dem Mahle Theil zu nehmen; immer mehr sammeln sich, und der Vogelsteller hat nur zu prüfen, ob den Verhältnissen nach ein noch größerer Zuzug zu erwarten sei. Glaubt er das nicht, so zieht er seine Schnur; die Netze klappen zu, und bisweilen zappeln über hundert Gefangene unter den Maschen.

Meistentheils ist indeß die Zahl eine geringere, einige Dutzend oder bisweilen auch nur einige Stück; die Neigung der Vögel, auf den Herd zu gehen, ist nicht immer gleich; sie hängt von vielen Umständen ab, von der Witterung, von der Nähe anderer Herde, von der Stille im Walde, von ihrem eigenen geringeren oder größeren Hunger. Es kommt auch nicht selten vor, daß der Anflug ein recht guter und der Fang dennoch ein geringer ist, so namentlich, wenn der Vogelsteller außer der Zahl von Vögeln, die sich bereits auf dem Herde niedergelassen haben, auf den Bäumen ringsum noch andere bemerkt, die gleichfalls Neigung zeigen, sich jenen beizugesellen; da zögert er wohl, ehe er an der Leine ruckt, die das Netz zum Zuschlagen bringt; er zögert, denn er sieht durch sein Guckloch sehr wohl, daß die neuen Gäste schon von dem Gelüste beseelt sind, sich an den leckeren Beeren zu letzen; sie schauen mit den Aeuglein begierig darauf hinab; sie lüften die Flügelchen und flattern einige Fuß näher auf einen anderen Zweig; er sieht, in wenigen Augenblicken werden sie drunten bei den übrigen sitzen und schmausen; dann ist der Fang um so größer – da auf einmal scheint eine Panik unter die Schmausenden zu fahren. Ein wildes, blitzschnelles Auffahren vom Herde, nach allen Seiten hin, ein Flattern und Schweben – und die Menge, die noch eben den Herd bedeckte und durch ein rechtzeitiges Zuziehen der Schnur unrettbar der Gefangenschaft verfallen wäre, sie ist zerstoben, in alle Winde zerstreut; vielleicht der Schritt eines Wanderers, vielleicht das Brechen eines Astes im Walde, vielleicht hoch in der Luft, dem Menschenauge kaum erkennbar, ein Falk oder ein Geier hat sie aufgescheucht von dem verrätherischen Mahle, und der Vogelsteller schaut verblüfft hinterdrein und schilt mit sich selbst ob seiner thörichten Ungenügsamkeit, denn für den Tag ist der Fang, der so reichlich zu werden versprach, verdorben.

Die beste Zeit im Jahre für den Vogelfang ist der Herbst, wenn die wegziehenden Vögel, wie wir es schon bei dem Fange der Krammetsvögel erwähnten, sich in dichten Schaaren sammeln und auf ihrem Zuge in das Gebirge einfallen; demnächst der Frühling, wenn sie zurückkehren. In Schaaren von Hunderten und Tausenden ziehen die Finken, namentlich die Buchfinken, über das Gebirge in einträchtiger, friedlicher Genossenschaft, während sie sonst den gemeinsamen Verkehr mit ihres Gleichen nicht lieben; es wählt sich vielmehr im Frühjahr jeder Fink für sich und seine Gattin ein eigen Revier, in welchem er ein zweites Paar nicht duldet. Haben zwei Finken zufällig ein gleiches Revier für sich ausersehen oder kommt ein Fink in das Revier eines anderen, so pflegt ein erbitterter Kampf zu entstehen, der meist damit endet, daß beide sich in einander verbeißen und so mit den Zehen verstricken, daß sie nicht wieder auseinander können und zur Erde fallen, wo sie ein Raub der Füchse, Marder und Falken oder auch der Menschen werden. Auch noch eine andere Art des Streites ist ihnen eigen, ein Wettstreit im Gesange; man sagt, daß zwei Finken, deren Käfige neben einander hängen, so lange im Schlage mit einander wetteifern, bis der eine, die Ueberlegenheit des Nachbarn im Gesange anerkennend, verstummt und seine Stimme nicht wieder zum Gesange erhebt; nur ein zaghaftes kleinlautes Zwitschern wagt er fortan, zu einem frischen freudigen Schlage ermannt sich der einmal Besiegte nicht wieder.

Nächst den Finken bilden die zahlreichsten Triften der Zugvögel die Tannenmeisen, Schwanzmeisen, Blaumeisen und die übrigen Meisenarten, in manchen Jahren auch die schön rothgefleckten Seidenschwänze und wieder in anderen Jahren die Kreuzschnäbel, obwohl beide oft mehrere Jahre lang nur einzeln oder auch gar nicht vorkommen. Beim Kreuzschnabel scheint seine Anwesenheit davon abzuhängen, ob die Fichten reichlichen Samen tragen oder nicht.

„Es ist eigen mit ihnen,“ erzählte Onkel Heinrich, „ich habe oft Jahre hindurch nicht einen einzigen gefangen, ja, kaum gesehen. Einzelne kamen allerdings bisweilen im Sommer angeflogen, aber nur als Kundschafter für die übrigen, um auszuschauen, wie es mit dem Fichtensamen hier steht. War der nicht gerathen, so flogen sie alsbald wieder von dannen, und kein Kreuzschnabel ließ sich weiter blicken; war aber eine gute Fichtensamenernte in Aussicht, dann blieben die meisten hier, und nur einzelne flogen wieder als Boten hinweg, worauf denn dichte, zahllose Haufen herankamen, so dicht, daß sie wie schwarze Wolken über den Wald hinschwebten; dann ließen sie sich auch hier nieder und nisteten und brüteten mehrmals im Jahre und zwar schon im Januar in der strengsten Winterkälte. Sie gehören zu meinen Lieblingen, denn Farbe und Gesang sind vortrefflich; aber meine hölzernen Käfige genügen nicht für sie – die zerbeißen sie mit den kreuzweis übereinanderliegenden Schnabelspitzen; darum halte ich sie in Drahtbauern.“

Er war in der That mit einigen Drahtkäfigen, daneben aber mit einer Unzahl kleiner Holzkäfige versehen, die im Harze in Massen angefertigt und zu einem beispiellos billigen Preise verkauft werden. Je vierzehn Stück solcher Käfige werden zu einem Satz zusammengeschnürt. Jeder Käfig ist mit einem Gefäß zum Trinken und einem Kripplein für das Futter versehen, und solch ein Satz von vierzehn Stück kostet ungefähr einen Gulden. In diesen Käfigen werden nun die besseren Singvögel, welche in die Hand des Vogelstellers gerathen sind, in das Land hinausgeschickt; eine einzige Frau oder ein einziger Bursche transportirt mehrere Hundert solcher Käfige mit Vögeln auf seinem Rücken. Aber nicht blos über das deutsche Land erstreckt sich der Harzer Vogelhandel, sondern weit über die Grenzen hinaus und über das Meer hinweg. Rüstige, unternehmende Vogelsteller haben sich Absatz in Rußland und in Amerika gesucht und sind aus Vogelstellern Vogelhändler und steinreiche Leute geworden. Sie kaufen die gefiederten Sänger zu vielen Tausenden hier um ein Billiges, während in den Ländern, die sich nicht einer mit der schönen Kunst des Gesanges begabten Vogelwelt erfreuen, große Summen dafür gezahlt werden. Der bedeutendere Theil dieses Geschäfts erstreckt sich allerdings nicht über die auf Leimruthe oder Herd gefangenen, überhaupt nicht auf die in unseren Wäldern heimischen Vögel; mehr als diese sind es die hier nicht heimischen, aber mit Vorliebe und Sorgfalt gezüchteten Canarienvögel, die der Vogelhändler in jene gesangarmen Länder führt.

Am berühmtesten wegen seiner ausgezeichneten Canarienvogelzucht ist das hochgelegene Andreasberg, eine Bergstadt von etwa fünfhundert Häusern und dreitausendfünfhundert Einwohnern. Aber man darf nicht glauben, daß alle die Andreasberger Canarienvögel, welche im Lande feilgeboten werden, wirklich von diesem Orte stammen; es ist vielmehr fast kein Dorf im Harze, wo sich nicht gleichfalls Canarienhecken befinden, oft von gleicher Ausdehnung wie die in Andreasberg, oft der Zahl nach geringer, nicht aber von geringerer Güte. Die in den übrigen Harzorten gezüchteten Canarienhähne stehen im Gesange und im Wohllaut des Schlages mit denen von Andreasberg auf völlig gleicher Stufe. Sie unterscheiden sich von jenen nur durch einen mäßigeren Preis, denn dort wird das Renommée mitbezahlt.

Begreiflicher Weise war auch Onkel Heinrich ein tüchtiger Züchter dieses beliebten Sängers, aber er betrieb die Zucht nicht mehr; es fehlte ihm dazu Tags über die Zeit, die dieser Beschäftigung regelmäßig gewidmet werden muß. Denn wie einfach die Sache auch scheint, so erfordert sie doch große Aufmerksamkeit und unausgesetzte Sorgfalt und – ist wenig lohnend. Es ist mehr die Liebhaberei, die Lust an dieser Art der Beschäftigung, als die Aussicht auf einen namhaften Gewinn, was zum Züchten der Canarienvögel veranlaßt; die Liebhaberei aber ist im ganzen Harze eine allgemeine. Die meisten Handwerker, welche auf Stubenarbeit angewiesen sind, Schneider, Schuhmacher, Tischler etc. haben in ihren Werkstätten jeden freien Raum an den Wänden mit sehr großen geräumigen Vogelbauern ausgefüllt, in denen Vögel aller Altersstufen herumhüpfen, nisten, brüten, füttern, zwitschern und schlagen; die Sorge für ihre Nahrung, Reinlichkeit, Gesundheit und sonstige Erfordernisse bildet die Erholung des Handwerkers, seine Freude und seine Lust. Die Arbeiter aber, die draußen hantieren müssen, die Wegearbeiter, die Holzfäller, die Köhler, die Fischer etc., sie finden weniger Geschmack am Stubenhocken und der mühsamen Zucht der Vögel; sie sind es hauptsächlich, die da draußen im Walde die Ruthen und Netze stellen und ihre Freude mehr an den wilden Singvöglein

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