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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


auffallend schöner Mann geworden, dessen schöne Figur die meisten der anwesenden Herren überragte, sowohl an Größe, wie an Eleganz. Der schon angedeutete blasse Charakter seines Kopfes gewann in der Nähe noch einen größeren Reiz. Haar und Bartwuchs waren von einer mächtigen Fülle und von glänzender Schwärze. Jenes war kurz geschoren und den Bart trug er, wie es damals Sitte war, als schmales Collier. An den Stellen, wo das Messer alles Ueberflüssige täglich fortnahm, leuchtete aus der Haut jener wundersame blaue Schimmer auf, der uns an Köpfen von Tizian und Veronese oft so sehr bezaubert. Seine Unterhaltung war einfach und natürlich. Ich wußte von der Schule her, daß seine geistigen Eigenschaften nicht hervorragend waren. Wenn sich irgend eine passende Gelegenheit bot, so lachte er, und er that recht daran. Einmal deshalb, weil er sehr schöne Zähne hatte, und dann, weil ein Bischen Lachen über Manches glücklich hinweghilft, in der Unterhaltung sowohl, als im Leben.

Wir stießen eben mit den Gläsern an und der glückliche Bräutigam wollte sich von uns trennen, um Anderen dieselbe Artigkeit zu erweisen, als sein jugendlicher Schwager, der vorhin erwähnte übermüthige Junge, plötzlich etwas schwankenden Trittes zu uns trat, um seinerseits seine Ansprüche an den nunmehrigen Mann seiner Schwester geltend zu machen. Er fuhr mit emporgehaltenem Glase auf Eduard Sandow zu und sagte mit etwas schwerer Zunge lachend:

„Nun, alter Junge, wollen wir Beide einmal anstoßen, wie es richtigen Männern geziemt!“

„Das wollen wir, Otto,“ antwortete der Bräutigam ebenfalls lachend, und sie fuhren mit ihren Gläsern aneinander und ließen sie dann artig an den unseren vorübergleiten.

„Und nun, alter Junge,“ lallte der augenscheinlich betrunkene Knabe weiter, „nun will ich Dir auch mein Beileid zu erkennen geben,“ und er fuhr von Neuem mit seinem Glase auf den armen Bräutigam zu, der abermals lachend mit ihm anstieß.

„Du lachst, alter Junge?“ fuhr der Knabe fort und lehnte sich an einen Stuhl; „nun meinetwegen lache! Aber Du wirst ’mal sehen, Du hast sie nun am Halse, und Du wirst Deinen Schaden besehen, und ich bin neugierig, wie lange Du es treiben wirst, und bin neugierig auf das Ende vom Liede.“

Dann sank das saubere Bürschchen auf den Stuhl nieder und lachte aus vollem Halse, ich weiß nicht ob über seinen famosen Scherz oder über die verblüfften Gesichter, die wir als Zuschauer dieser peinlichen Scene wahrscheinlich machten. Der Bräutigam hatte dieser überraschenden Erklärung gegenüber versäumt, sein gewöhnliches Lachen zur rechten Zeit ertönen zu lassen. Er war auffallend bleich geworden und seine großen dunklen Augen hatten sich einen Augenblick in’s Leere gerichtet, als wenn sie ein Gespenst sähen, das nur für sie vorhanden war. Plötzlich zuckte er zusammen, und die Stimme der Braut, welche hinter uns ertönte, machte den peinlichen Eindruck dieses Vorgangs für mich zu einem unvergeßlichen durch die Art und Weise, in welcher sie sagte:

„Siehst Du, Mama, das ist die Folge Deiner unverzeihlichen Schwäche! Otto ist betrunken und macht, wie immer, boshafte Bemerkungen über mich. Nun, zum Glück wird es die letzte sein, welche ich höre, denn in mein Haus soll er den Fuß nicht setzen.“

„Ha! ha! ha!“ lachte der betrunkene Knabe; „wenn er nicht will, … wenn er nicht will, … ha! ha! ha! … sonst, mein Schwesterchen, … weißt Du wohl, … daß er –“

Der Klang der Worte erreichte nicht mehr unser Ohr, denn wir hatten das Hinzutreten der beiden Damen benutzt, um unbemerkt von der Scene abzutreten und uns in die im Hintergrund der Bühne auf- und abwogende Menge zu mischen. –

Das Mahl war lange beendigt; der Tanz währte schon mehrere Stunden, und nichts trübte den Glanz des schönen Festes. Der liebenswürdige Bruder der glücklichen Braut, den ich eine Zeitlang vergebens mit den Blicken gesucht hatte, war wieder erschienen. Es schien, daß man ihn einer Schwarzen-Kaffee-Cur unterzogen hatte; denn obgleich er noch etwas bleich war, schien sein Rausch doch zum großen Theil verflogen. Es war kein Wunder; denn er hatte sich ja von vornherein dem Sect gewidmet.

Ich hatte meiner Pflicht als Gast Genüge gethan, hatte zwei, drei Mal getanzt und lehnte nun an einer der großen Säulen, welche das Orchester trugen, müßig und mit dem Gefühl der beginnenden Langeweile in das bunte Treiben schauend. Man tanzte die damals sehr in Mode stehende Quadrille à la cour, diesen wunderlichen Tanz, mit den zahllosen Verbeugungen, die mir immer einen gewissen unheimlichen Eindruck gemacht hatten, wie ihn übertrieben höfliche Leute wohl hervorzubringen pflegen. Der Wein, den wir getrunken hatten, mußte schwer gewesen sein, denn ich fühlte, daß meine Augenlider müde herabhingen und daß meine Blicke die gesenkten Wimpern wie eine Gardine durchdringen mußten. Es war nicht länger meines Bleibens in dem geräuschvollen und ermüdeten Treiben der Tanzenden. Ich machte mich schleunigst aus dem Staube.

Bald darauf befand ich mich mit meinem Freunde, dem Schöngeist, auf der Straße. Er tanzte gleich mir nicht mehr, und theilte mit mir die innigste Liebe für die treueste Freundin des Junggesellen, die Cigarre.

„Ich denke, wir nehmen noch einen Schlaftrunk, Alt,“ sagte er, nachdem wir ein Weilchen schweigend nebeneinander hergegangen waren, denn er gehörte zu jener Sorte von Männern, die nicht nach Hause gehen können, ohne noch in ein Wirthshaus einzukehren, und wenn das Souper, von dem sie kommen, noch so vortrefflich war und noch so lange dauerte. Und wenn Robert Fürst aus dem Schlosse des Königs gekommen sein würde, es wäre ihm ein und dasselbe gewesen. Er würde das gleiche Verlangen gehabt haben nach seinem Schlaftrunk mit dem qualmigen Duft der Kneipe und dem süßen, den Schlaf so schön vorbereitenden monotonen Getöse, das man nur in einem besuchten Wirthshause hören kann.

Bald hatten wir Alles, was er wünschte, zu unserer Disposition. Wir saßen bei einem Glase Kitzinger, brannten unsre zweite Cigarre an, und ich wollte eben eine Frage an ihn richten, als er mir von selbst entgegenkam, indem er, aus einem tiefen Nachdenken auffahrend, sagte: „Das war eine nette Scene – mit dem Jungen! Nicht?“

Ich gab stillschweigend meine Zustimmung.

„Würde man einem Romanschreiber so etwas glauben?“ fuhr er nach einer kurzen Pause fort.

„Vielleicht – vielleicht auch nicht,“ antwortete ich; „es kommt darauf an, wie es gemacht ist.“

„Und wie hübsch ist der ganze Vorgang, wenn man ihn objectiv betrachtet! Mitten in Glück und Freude und Hoffen hinein wirft die schwere Zunge eines betrunkenen Knaben diesen Schatten kommender Ereignisse. Sahen Sie, wie Eduard erbleichte, wie boshaft die Stimme der Braut klang und wie er es fühlte? Wahrhaftig! ich bin neugierig, wie die Geschichte verlaufen wird und was eigentlich dahintersteckt.“

Ich bekannte mich zu derselben Schwäche, und bat ihn, da wir doch auf die kommenden Ereignisse geduldig warten mußten, mir etwas von den vergangenen zu erzählen, das etwa geeignet wäre, in das kleine Drama einzugreifen, dessen Prolog so unerwartet unsere Neugier erregt hatte.

„Von der Familie der Braut weiß ich nur sehr weniges zu erzählen,“ sagte er kurz; „sie ist sehr respectabel. Der Vater hatte eine renommirte Fabrik von Gummiwaaren, und starb vor einem Jahre etwa. Sie sollen reich sein. Die Mutter setzte das Geschäft fort, um es für einen Sohn zu erhalten, der sich zu weiterer kaufmännischer Ausbildung in England befindet. Die Braut singt sehr hübsch und soll auch niedlich zeichnen. Das ist Alles, was ich weiß.“

„Und Eduard Sandow und seine Mutter, die Kriegsräthin –“ sagte ich, „von denen weiß ich eigentlich so gut wie nichts.“

„Da ist eine ziemliche Menge hübscher Details für einen Roman vorhanden, aber wer fragt darnach heute?“ fiel der Schöngeist nachdenkend ein; „Handlung, mit der Holzaxt zugehauene Handlung, das ist der Götze unseres heutigen Lesepublicums.“

„Sie wollen genöthigt sein, wie ein Frauenzimmer, das ist das Ganze,“ sagte ich ärgerlich; „Sie wissen, daß Sie gut erzählen, und daß ich kein Freund roher Effecte bin.“

„Ja, Sie,“ antwortete er, „aber die Anderen!“ dann lehnte er sich in seinen Stuhl zurück und begann heftig dampfend:

„Meine Tante ist eine kreuzbrave, prächtige Frau mit einem echt deutschen Gemüth. Sie würde es sich niemals verzeihen, wenn Sie heut bei ihr zu Tische gewesen wären, ohne morgen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 692. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_692.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)