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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

No. 43.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.


Das Ende vom Liede.

Eine Berliner Geschichte von Albert Moedinger (Max Alt).


1.

In der Therbusch’schen Ressource in der Oranienburgerstraße war eine feine Hochzeit. Die Wagen waren in ununterbrochener Reihe eine Viertelstunde lang vorgefahren, und die Weiber und Mädchen der Gegend, und auch solche, die da nur gerade vorüberkamen und es sehr eilig hatten, versperrten den Bürgersteig in dichten Haufen und trennten sich erst von der Stelle eine gute Zeit, nachdem der letzte Wagen den letzten Gast ausgeladen – obgleich ein dichter grauer Novembernebel sich in einen feinen Sprühregen aufgelöst hatte, der ebenso ergiebig auf die über den Kopf gezogenen Tücher der alten Weiber herabrieselte, als er sich auf den Kranz der Braut ergoß, die an dem Arm des Erwählten schnell in den geschmückten Eingang des Hauses hineinhuschte. Der große Saal, in dem schon so viele glückliche Hochzeiten gefeiert waren, erglänzte in seinem schönsten Lichte, und die Tafeln strotzten von bunten Aufsätzen und Blumen, von Kranzkuchen und Confectetageren, die sich in den Wandspiegeln unzählbar vervielfältigten. Braut und Bräutigam – oder richtiger das junge Ehepaar – sahen schön und glücklich aus, obgleich es schien, daß diese beiden Beiworte bei dem Bräutigam stärker in die Augen sprangen. Sie waren sich nicht ähnlich. Er war groß und schlank, sie klein und von anmutiger Rundung. Er war schwarzhaarig und von jener vielgerühmten interessanten Blässe, während aus ihren Zügen Lilien und Rosen in glücklichem Verein sich paarten und ihr reiches Haar einen bezaubernden aschfarbenen Ton hatte. Sie waren sich auch in vielen anderen Punkten nicht ähnlich von denen später noch die Rede sein wird, nur in einem kamen sie zusammen, der ziemlich äußerlicher Natur war: sie besaßen Beide keinen Vater mehr. Von den beiden Müttern räumte die Gesellschaft der Mutter des Bräutigams ziemlich einstimmig den Vorrang ein, und sie nahm ihn in ihrem Rang als Wittwe eines Kriegsrathes als etwas Selbstverständliches hin, umsomehr als sie an ihrer Seite einen Hofstaatssecretär hatte, der zu ihrer Familie gehörte, während die Gegenpartei es nach unerhörten Anstrengungen nur zu einem unbesoldeten Stadtrath als Gast hatte bringen können. War nun der höhere Rang auf dieser Seite, so befand sich das größere Vermögen anerkanntermaßen auf der anderen, und Niemand wird es der verwittweten Fabrikantin Mannstein zum Vorwurf machen, daß sie versucht hatte, den sich ihr bietenden Vorzug etwas stärker zu betonen, als sie unter anderen Umständen gethan haben würde. Die Kellner trugen weiße Halsbinden und eben solche Glacéhandschuhe; das Couvert kostete drei Thaler und der Sect wurde von vornherein servirt für Jeden, der sich ihm ausschließlich widmen wollte.

Ich war mit dem Bräutigam zusammen auf der Schule gewesen, hatte den Umgang mit ihm aber später nicht fortgesetzt, weil uns verschiedene Berufspflichten auseinander führten. Dagegen war ich mit einem seiner Vettern, Namens Robert, genau bekannt. Er war ein Schöngeist, „ohne es nöthig zu haben“, und wir sahen uns regelmäßig bei Künstlerfesten und anderen derartigen Versammlungen. Er hatte den Polterabend durch lebende Bilder verherrlicht, zu welchen er sehr hübsche poetische Erklärungen vortrug, und mir war nach langen Bitten nichts übrig geblieben, als seinen Wunsch zu erfüllen und ihn in Anordnung dieser Bilder zu unterstützen. Auf diese Art erneuerte ich meine Bekanntschaft mit Eduard Sandow, dem Sohne der Kriegsräthin, und sah zum Theil selbst, zum Theil hörte ich von seinem Vetter das, was den Inhalt dieser kleinen Geschichte bildet.

Unter Denen, welche sich entschlossen hatten, sich bei Tafel von vornherein dem Champagner zu widmen, stand ein Bruder der Braut, ein junger Mann von sechszehn Jahren, obenan. Er war einer der Ersten gewesen, den anfänglich herrschenden Zwang in kindischem Uebermut zu durchbrechen, und während der ganzen Dauer des Mahles schallte sein tobendes Gelächter in jede etwa eintretende Pause der Unterhaltung hinein. Er neckte seine Cousinen und deren Freundinnen, die an jenem Ende der Tafel mit ihm saßen, auf jede nur mögliche Art, brachte sie in diesem Augenblicke fast zum Weinen und erregte im nächsten wieder das fröhlichste Gelächter bei ihnen. Er copirte mehrere der Anwesenden mit großem Geschick, was sehr komisch anzusehen war. Die armen kleinen Damen befanden sich in einer sehr schwierigen Lage und schwebten fortwährend in Gefahr, zu einer ungelegenen Zeit loszuplatzen.

Die Tischgesellschaft hatte sich langsam, aber glücklich durch den größeren Theil des überreichen Menus durchgearbeitet und bedurfte augenscheinlich einer kurzen Bewegung, denn der größere Theil wanderte an der Tafel herum, mit dem Glase in der Hand hier und dort ein paar Worte austauschend. Auch Braut und Bräutigam waren unter diesen und widmeten sich, auf kurze Zeit voneinander getrennt, den beiderseitigen Bekannten. Der Bräutigam war in die Gegend gekommen, wo ich mit seinem Vetter Robert saß, und schenkte auch uns einen Augenblick; wir dachten an diese und jene unserer Jugenderinnerungen, und ich hatte unterdeß Gelegenheit, Eduard etwas genauer anzusehen. Er war ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_691.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)