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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

denselben gelehnt, so daß sie ein dichtes Dach und einen darunter befindlichen hohlen Raum bilden, eine Bucht, fast von der Form einer Köthe. In diese Bucht setzte sich unser Vogelsteller. Dann begann er sein Werk, welches sich von der frühern Fangart dadurch unterschied, daß er selbst Vögel aller Art heranlockte, zunächst nicht durch Nachahmung ihrer Stimmen, sondern durch täuschendes Nachahmen des Pfeifens einer Eule. Dies zieht bekanntlich die kleineren Vögel heran, und es übte auch hier eine zauberische Anziehungskraft. Kaum hatte der Alte seinen Eulenruf einige Male ertönen lassen, da fing es an lebendig in den nahen Fichten zu werden. Zuerst kamen jetzt die Goldhähnchen.

„Das sind die Neugierigsten,“ sagte Onkel Heinrich. „Das ganze Thierchen wiegt etwa ein Viertel bis ein halbes Loth und steckt ein Pfund Neugier darin. Schade, daß man sie nicht im Käfige am Leben erhalten kann. Aber woher sollte man das kleine Gewürm nehmen, dessen sie zur Nahrung bedürfen?“

Nächst den Goldhähnchen kamen Meisen und Finken zuerst heran, dann eine Schaar von Buchfinken aus dem nahen Tannenhäu. Ein gelber Zeisig streckte sein Köpfchen mit der schwarzen Platte fast in die Bucht hinein, er schien kaum zu ahnen, daß der trügerische Leim bereits seine Füße fesselte. Neben ihm war ein Zetscher mit rother Haube und rother Brust sein Leidensgefährte. Die bunten Meisen flatterten in großer Zahl umher; sie aber, wie die einfarbigeren Hänflinge schienen vorsichtiger zu sein; sie begnügten sich, aus einiger Entfernung nach der Bucht zu schauen. Dem Eulenrufe waren allmählich Goldhähnchen und Zeisige und Finken genug zum Opfer gefallen.



(Schluß folgt.)




An den Quellen der blauen Isar.
Von Heinrich Noe.


„Die Isar entspringt im Karwendelgebirge,“ sagt eine Inschrift, die zu München am „Thurmwirthshause“ bei der steinernen alten Isarbrücke angebracht ist. Diese Belehrung hat den Vorzug der Kürze, aber völlig wahr ist sie nicht.


Holzfäller im Mittenwalder Walde.
Nach der Natur ausgenommen von G. Sundblad


Denn von den drei Bächen, die im Dorfe Scharnitz angesichts der blau-weißen Grenzpfähle zusammenfließen und die Isar bilden, kommt nur ein einziger aus den Kalkwüsteneien des Karwendel. Und gerade der mittlere von diesen Bächen, eben derjenige, welcher in der Geographie ohne Weiteres als Isar bezeichnet wird, kommt aus dem Hinterauthale, aus der Gegend um die Kastenalpe hervor, welches Thal doch vom Karwendel durch mächtige Jöcher getrennt ist. Und ein dritter Bach bricht dort aus dem Gleirschthal, dessen romanischer Name (glaries Kies, Schotter) an die Jahrhunderte erinnert, in welchen hier nicht der trotzige Baiernstamm, sondern feingliedrige Romanen saßen.

Trotzdem lasse ich mir den Karwendel als Heimath der Isar gern aufschwätzen, denn es ist ein wildschönes Gebirg von großer Ausdehnung, und sein Name, der aus Kar, welches kleine Hochfläche, kurzgrasige Mulden der Felsgiebel bedeutet, und Wändel, der Verkleinerung von Wand, zusammengesetzt ist, scheint mir schon mehr als ein Name; er ist, was man im gelehrten Stil eine Definition nennt. Wenn er mit seinen Geröllhalden und dunkeln Fichtenständen, seinen Alpenrosenflächen und Wasserfällen, seinen Schluchten und Abstürzen dem Flusse, zu welchem er nur ein Dritttheil des Wasservermögens spendet, zu Gevatter steht, so ist es wenigstens ein stattlicher Taufpathe. Die „Kare“ und die „Wände“ dieses Felsenrevieres erheben sich aber aus einem grünen Waldland, in welchem das Summen der Wasser mit dem der Fichtenwipfel um die Wette das Sommerlied des „Alten vom Berge“ begleiten.

Und mitten in diesem grünen Thalboden liegt Mittenwald, zur Zeit, als die Bajuwaren hier gegen die Römer, wie Aventinus erzählt, die Grenze bildeten, wohl „mitten im Walde“, heute aber vom Tann der Alpen durch eine schöne Aue mit Feldern und Wiesen geschieden. Diese Flur ist aber nach jeder Richtung hin bald von Demjenigen durchschritten, der in den harzigen Bergwald oder zu einem hellen Wasser kommen will, und darum sind die Erinnerungen an das Thal vor den Isarquellen von Waldbildern unzertrennlich.

Die Mittenwalder Gegend ist ein großes Waldland. Ueberreste von Urwald, wie sie, selbst den Malern unbekannt, im Oberrißthal gegen den Krotenkopf hin stehen, giebt es hier freilich nicht, und in der allernächsten Umgebung des Marktfleckens ist es sogar schlecht bestellt mit Buchen-, und Fichtenschatten. Wenn man aber eine halbe Stunde weit geht, so gelangt man alsbald in schattige Gewölbe, durch welche Wasser hell zur Isar fließen, moosige Tannensäle, durch deren Lücken überall die stahlgrauen Bergwände hereinschauen.

Die Stämme gleiten auf der Isar als Flöße hinab – ein lustiger Anblick, der nur durch das Andenken an den gelichteten Wald verdüstert wird. Hier treiben die Flößer und die Holzhacker ihr Wesen, und schon in beträchtlicher Entfernung von Mittenwald kann man oft auf der Straße stämmigen Gestalten begegnen, die, das Beil und das zusammengewundene Tau als Kranz auf dem Rücken, von der raschen Floßfahrt, die sie zur Kaiserstadt hinabgetragen hat, mühselig wieder nach mitten im Walde pilgern, um bald

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 686. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_686.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)