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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Tage später mit vielem Pompe und unter einer außergewöhnlichen Theilnahme auf dem Kirchhofe bei Frankfurt in Scene gesetzt. In Wirklichkeit aber sind die irdischen Ueberreste des Fürsten getheilt worden. Sein Herz wurde in eine reiche silberne Kapsel verschlossen und kam nach Sagan, wo es noch jetzt neben dem Sarkophag der Herzogin Dorothea in der dortigen Parkkirche aufbewahrt wird. Sein Körper ruht in einer kleinen Dorfkirche bei Schloß Grätz in Mähren neben seinen Vorfahren in der fürstlichen Familiengruft. Eine Ausbesserung des Sarges machte es vor einigen Jahren nothwendig, denselben zu öffnen, und es erregte ein erschütterndes Erstaunen bei allen Anwesenden, als man die Züge des Fürsten noch vollständig kenntlich und wenig verändert fand.

Wir wollen es unterlassen, auch von dem über die Theilnehmer an dem Verbrechen verhängten Processe und ihrer Bestrafung zu erzählen. Es ist ein Vierteljahrhundert darüber hingegangen, und große versöhnende Ereignisse liegen zwischen damals und heute. Aber ein Dichterwort aus jenen wilden Tagen hat noch bis heute seine versöhnende Kraft bewahrt; es spricht das gerechte Gefühl jener Zeit aus und soll – auch dem todten Dichter Richard Georg Spiller von Hauenschild, genannt Max Waldau, zu Ehren – diese Erinnerungen schließen:


Ein Cypressenreis für Felix Lichnowsky.
Ratibor 1848.

In meiner Feinde Reihen stand sein Leben,
Und seine Bahn war mir ein feindlich Gleis;
Den Heldenlorbeer kann ich ihm nicht geben,
Doch seinem Sarge ein Cypressenreis. –

Es ist ein alt Gesetz, aus grauen Zeiten:
– Die Freiheit trägt ein blutumsäumt Gewand, –
Sie taucht empor, ein Stern, aus wildem Streiten,
Blut tüncht ihr Kleid, – doch rein ist ihre Hand.

Ich sagt’ es oft und muß beim Wort beharren:
So lang’ brutale Kraft der Freiheit wehrt
Und tausend Schlünde ihr entgegenstarren,
So lang’ ist alles Heil im Kampf, im Schwert.

Doch offner Kampf, die Brust dem Feind geboten,
Ein ehrlich Würfeln und ein ehrlich Feld,
Wo Ehre bleibt den Siegern und den Todten,
Ein ernster Kampf, ein Kampf um eine Welt.

Weh’ aber, wenn entmenschte Mörderrotten
In’s heil’ge Antlitz schlagen die Natur!
Das Thier giebt Tod, – doch seines Opfers spotten
Das kann es nie –, so freveln Teufel nur!

Und doppelt Weh’, wenn in der Freiheit Namen
Ruchloser Mord sein scheußlich Haupt erhebt,
Und wenn mit ihrem dreimal heil’gen Rahmen
Schandbubenthat sich zu umgehen strebt!

Ich liebt’ ihn nicht … und muß ihn doch beklagen,
Den Mann von scharfem Geist und gold’nem Mund;
Sie haben einen selt’nen Mann erschlagen,
Und wie? Bei Gott, bei Gott! wie einen Hund!

An solchem Grab muß alle Feindschaft enden,
Und an der Grube schmilzt des Hasses Eis;
Den Heldenlorbeer kann ich ihm nicht spenden,
Doch seinem Sarge ein Cypressenreis.




Heinrich der Vogelsteller
Harzer Herbstskizze.


Ein köstlicher Herbsttag, der sich Licht und Glanz und Wärme von dem Frühlinge entlehnt zu haben schien, zog uns wieder hinaus in den Wald, hinauf in die Berge. Unser Ziel war diesmal das weitbekannte, schöne, stille, friedenathmende Thal von Treseburg.

So ein warmer Herbsttag eignet sich mehr als jede andere Zeit zu einer Harzwanderung, und wie er uns die Ferne in seltener Klarheit vor die Augen führte, so zeigte er uns auch die näheren Berge und Wälder in ihrem prächtigsten Gewande. Denn nie, selbst nicht in den buntesten Blüthentagen des Frühlings, zeigen die Wälder des Harzes nur die Hälfte der wahrhaft entzückenden Farbenpracht, mit denen der Herbst sie schmückt. Das ist ein Reichthum und eine Ueppigkeit an Farben, wie wir sie sonst nur aus den Bilderbüchern unserer Kindheit kennen oder allenfalls aus den Panoramen der Messen und Märkte, in den grellen und bunten Bildern transatlantischer Waldungen. Alle Farben, welche nur der phantasiereiche Maler in excentrischen Augenblicken ersinnen kann und die man auf der Leinwand für unnatürlich, für eine Verirrung des Künstlers halten würde, stellen sich hier vor das Auge. Vom brennenden Purpurroth bis zum weichsten, mildesten Maiengrün, vom dunkeln Sammetbraun bis zum grellen Flammengelb erscheinen in tausendfältigen Farben und Farbenabstufungen und Uebergängen dieselben Blätter, welche noch vor wenig Wochen alle gleichmäßig in schlichtes Grün gekleidet waren.

Auch unsere Wanderung zeigte uns den Wald in solch prächtigem Herbstschmucke; am frappantesten aber an dem mit Recht wegen seiner wundervollen Aussicht gepriesenen Tunnel Wilhelmsblick, wo eine besondere Veranlassung uns zwang, ein wenig zu rasten. Denn unsere Wanderung galt nicht den Reizen der Natur allein. Wir, d. h. mein Freund, ein grundgelehrter Doctor der Philosophie, eifriger Historiker und Lehrer an einem fern in der Ebene liegenden Gymnasium, der wenig von Berg und Wald, von Pflanzen- und Thierleben kannte, und ich und dazu von jedem ein Sohn, wollten namentlich die verschiedenen Arten des Fischfanges und des Vogelfanges ausüben sehen und, soweit es möglich, selbst ausüben helfen.

Heute galt es dem Vogelfange. Steinmeyer, der weitbekannte liebenswürdige Wirth im „Weißen Hirsch“ zu Treseburg, hatte einen alten Vogelsteller, den Heinrich Sonntag, veranlaßt, sich uns zur Verfügung zu stellen, und uns nach dem Wilhelmsblick beschieden, wo derselbe uns erwarten würde, um uns in die Geheimnisse seiner Kunst einzuweihen. Er war noch nicht dort, und wir benutzten die Zeit, um ungestört den unaussprechlichen Reiz dieses Punktes zu genießen. Welch ein Blick auf den Kranz von Bergen und in die Thäler, welche die Bode in ununterbrochenen Krümmungen vor uns aufschloß, und auf den runden Tannenhügel unter uns im Thale, und drüben auf den Felskoloß, der die Reste der Treseburg trägt, eines ehemaligen Jagdschlosses der alten deutschen Kaiser!

Der alten deutschen Kaiser! Mußte nicht bei unserem heutigen Zwecke einer derselben recht lebhaft vor unsere Seele treten? Der erste Heinrich, Heinrich der Vogelsteller, hatte er wohl nicht auch hier bei seinem Jagdschlosse sich am Vogelfange ergötzt, hier seine Leimruthen gelegt, hier seine Netze gezogen? – Und mehr noch – der Gedanke wirkte elektrisch auf meinen Gefährten, den Historiker – war nicht vielleicht hier in dem einsamen Waldthale, welches bis vor Kurzem so ganz abgeschieden geblieben war von der übrigen Welt, war nicht vielleicht hier in den Bewohnern noch irgend eine Erinnerung an den kaiserlichen Vogelsteller lebendig geblieben? Es war wohl der Mühe werth, im Volke danach zu forschen; es kam auf eine Anfrage an. Dort am Wege der alte Kuhhirt, der hatte wohl manches Jahr über sein greises Haupt dahingehen sehen, seine Jugend fiel wohl in eine Zeit, wo die Traditionen noch in den Waldhütten eine Stätte fanden, vielleicht hatte der als Knabe noch mancher Sage gelauscht, die vom Kaiser erzählte.

Wir winkten ihm; er kam, trotz eines lahmen Beines und trotz seiner siebenzig Jahre, rüstig heran, neugierig, was wir von ihm begehren möchten. Bei unserer fast schüchternen Frage, ob er wohl je von Heinrich dem Vogelsteller gehört habe und ob es wohl hier noch Leute gebe, die etwas von ihm wissen, zog ein selbstzufriedenes Lächeln über sein vielgefurchtes Antlitz. „Da kommt Ihr bei mir gerade an den rechten Mann; zwar jedes Kind konntet Ihr fragen, und jedes Kind konnte Euch von ihm erzählen, aber doch nicht so wie der alte Herschelmann. Was wollt Ihr denn über ihn wissen, soll ich seinen Lebenslauf erzählen, oder über seine Jagdlust, seinen Vogelfang?“

Das war eine freudige Ueberraschung für uns, und besonders für den Doctor, dessen Gesicht hell erglänzte. Also doch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_683.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)