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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Leider wurde des Doctors Kriegslist, vor den Preußen zu warnen und die wildesten Schreier an die gefährlichsten Wachtposten zu empfehlen, von Lichnowsky nicht verstanden, der gerade von diesen Preußen seine Rettung erwartete und eben deshalb gegen seinen Transport nach Hanau protestirte. Hodes, selbst mißtrauisch beobachtet und der äußersten Gefahr ausgesetzt, durfte ihm durch kein Wort, keinen Wink seine wahre Meinung verrathen, ja, er mußte ihn mitunter hart anfahren (wie „Sie sind ganz ruhig! Sie sind Gefangener! Sie haben gar nichts zu opponiren!“) um den Tumultuanten nicht verdächtig zu werden. Diese blieben mehr und mehr der Hanauer Richtung des Zuges zugethan, und schon war man beim achtzehnten Baum (vom Schmidt’schen Garten her links gezählt) angekommen, als plötzlich eine Stimme schrie. „Wann dann d’r Spion doch fortgeführt wäre soll, s’ will ich a’ch ’n Andenke’ von ’m hawwe!“ und eine kräftige Faust fuhr über Lichnowsky’s Schulter, packte ihn fest an der Brust und fuhr mit gewaltigem Ruck zurück, und wie auf Commando riß es nun von allen Seiten an ihm herum, um Stücke von seinen Kleidern zu erhalten. Mit derselben Blitzesschnelle, wie dies geschah, riß der Fürst sich los, floh zum neunzehnten Baum und kehrte da sich trotzig gegen seine Quäler. Plötzlich sprang er mitten in den Haufen, packte das Gewehr eines Freischärlers und rang ihn nieder. Das ward sein Tod. „Zurück! zurück!“ rief’s, der Knäuel wand sich auseinander, drei bis fünf Schüsse fielen, und mit dem Schrei „Herr Jesus“ brach Lichnowsky zusammen. Da kam die wilde Meute wieder herangestürzt, und Jeder suchte dem bereits auf den Tod Verwundeten noch einen Schmerz zu bereiten. Mit Kolben, Knütteln, Säbeln und blanken Fäusten schlugen sie von allen Seiten auf ihn ein. Mit dem rechten Arme versuchte der Fürst noch seinen aus mehreren Wunden blutenden Kopf, nach dem besonders Jeder schlug, zu decken, bis der Arm zerfleischt und zerhackt an ihm niedersank.

Es war geschehen. Die That eines furchtbaren Augenblicks, die ihre Schatten Jahrhunderte weit wirft. Die Wuth des Augenblicks hatte Menschen in Bestien verwandelt, – aber noch menschenunwürdiger war es, daß ein Trupp Bewaffneter auch nach der That sich etwa zwanzig Schritte von dem Todeswunden aufstellte und jede Hülfsleistung für den Verschmachtenden mit dem Tode bedrohte. „Zurück von dem Hund – es ist Lichnowsky – kein’ Hand an ihn gelegt!“ – „Der Verräther, der Spion soll kein Wasser haben!“ – Ein Unmensch hielt dem Unglücklichen noch eine höhnende Strafpredigt. Zwar wurden Solche, die den Daliegenden noch weiter mißhandeln wollten, zurückgehalten, eifriger aber mehrere Hülfebereite vertrieben, bis endlich Dr. Hodes und der Bornheimer Schützenlieutenant Mechanicus Helfrich durch ihren Mannesmuth über die empörende Nichtswürdigkeit siegten. Zugleich riefen mehrere Jungen: „Da kommen Soldaten!“ – „Soldaten! Soldaten!“ wiederholt es, und im nächsten Augenblick flieht Alles auseinander, und so zerstiebt die ganze Rotte nach allen Richtungen.

Zu spät nahte die Rettung – nur um einige Minuten zu spät; denn es kam wirklich im eiligsten Schritt von der Stadt her ein Trupp Soldaten, geführt vom Major Detz, offenbar in Folge einer Benachrichtigung aus dem Bethmann’schen Hause. Ohnmächtig in seinem Blute schwimmend und besonders am Kopf und an beiden Armen schauderhaft verletzt, fanden sie jetzt den, den sie suchten.

Man trug ihn zurück nach dem Schmidt’schen Hause; hier legte Dr. Hodes ihm den ersten nothdürftigen Verband an. Er kam bald wieder zu sich und schon jetzt traf er Bestimmungen über sein Testament und sprach die Worte: „Ich verzeihe meinen Beleidigern und wünsche einen Geistlichen, welcher es sei.“ Auch eine hessische Chevauxlegersabtheilung kam zu seinem Schutze an, mit ihr der Prinz zu Hohenlohe. Als er diesen erkannte, jammerte er: „Ach, Felix!“ Dem Prinzen wurden alle Werthsachen, welche der Fürst trug, eingehändigt, ebenso die des Generals, dessen Leiche über eine Stunde im Graben gelegen hatte und nun ebenfalls in das Schmidt’sche Treibhaus getragen wurde. Zwar soll bei dem wüsten Angriff auf die Kleider Lichnowsky’s ihm die Uhr weggekommen sein. Möglich, daß sie in der wilden Hand geblieben, die den ersten Griff nach der Brust des Verfolgten gethan. Die übrigen bei ihm, wie die bei Auerswald unberührt gefundenen Gegenstände zeugen aber doch ebenso klar gegen die (untersuchungsbehördliche) Annahme, daß es hier auf einen Raubmord abgesehen gewesen, wie der ganze Verlauf der Unthat dagegen spricht, daß sie beplant und von einem Complot begangen worden sei.

Da hier in dem Unglückshause Alles fehlte, was ein so schwer Verwundeter brauchte, vor Allem Lichnowsky selbst noch jetzt fürchtete, noch einmal in die Hände „dieser Cannibalen“ zu fallen, so beeilte man sich, der Einladung des Herrn von Bethmann zu folgen, der eine Blumenbahre und Matratzen zum Transport des Todeswunden hatte herbeischaffen lassen. Die Chevauxlegers deckten den Zug und kehrten dann zur Stadt zurück, während die preußische Infanterie in und bei den Bethmann’schen Gebäuden und Garten postirt worden sein soll.

Es war Abend geworden. In dem schönen Treibhaussaale, in welchem der heitere, von der Gesellschaft verwöhnte und auf Händen getragene Fürst so manche glückliche Stunde verlebt hatte, wurde ihm jetzt am Boden aus Matratzen sein Schmerzenslager zubereitet. Trotz des heftigen Straßenkampfes in der Stadt glückte es doch, einige Aerzte zu erlangen. Eisumschläge wurden ununterbrochen aufgelegt und jede nur mögliche Erleichterung und Erquickung verschafft. Auch Anton hatte von dem Unglücke, das seinem Herrn zugestoßen war, Nachricht erhalten und war mitten durch den Kampf glücklich herzugekommen. Das war dem Fürsten eine große Beruhigung, denn er hatte schon mehrmals nach Anton gefragt. Nun stand er weinend an seinem Lager, denn es ging zu Ende mit seinem Herrn.

Noch war ihm das klare Bewußtsein nicht entschwunden, er änderte sogar insofern seinen letzten Willen, als er die Ernennung seines Bruders zum Universalerben zurücknahm: „Nicht meinen Bruder Karl, sondern die Herzogin Dorothea von Sagan ernenne ich zu meiner Universalerbin, und ich bitte Sie, Herr von Bethmann, sorgen Sie dafür, daß meinem treuen Diener Anton eine lebenslängliche Pension von vierhundert Thalern aus meinem Nachlasse gesichert werde.“

Die Gründe dieser Testamentsänderung waren sehr durchdacht und triftig.

Im weiten hohen Saale brannten nur einige schwache Lichter; man vermied Alles, was die Aufmerksamkeit nach außen hätte erregen können. Die wenigen traurig schweigenden Freunde, die noch das Lager umstanden, im Hintergrunde die leise ab- und zugehenden dunklen Gestalten einiger Hausdiener, dazu einzelne abgerissene Worte und wimmernde Schmerzensseufzer des schon Hinsterbenden und dazu das ferne Donnern und Toben des wilden Straßenkampfes, das war eine furchtbar düstere Scene.

Es war ungefähr zehn Uhr geworden, und nach den allerdings übertriebenen Nachrichten aus der Stadt erschien es den Anwesenden, als ob auch hier nicht mehr genug Sicherheit für den Verwundeten sei, und man kam zu dem Entschlusse, den Fürsten nach dem Hospital zum heiligen Geist bringen zu lassen. Und so geschah es. Der Sterbende wurde noch einmal auf die Trage gelegt und nach jenem Hospital getragen, aber nur um dort in einem kleinen einsamen Zimmer gegen Mitternacht ruhig und ohne Todeskampf zu verscheiden. Alle hatten sie ihn verlassen, nur Anton begleitete ihn auch bis zu diesem Sterbewinkel, und hier war es, wo er im letzten Aufdämmern des Bewußtseins dem treuen Gefährten und Diener seines ruhelosen Lebens die Worte zuflüsterte: „Ach, Anton, Anton, hätte ich Dir gefolgt!“ – „Und vergieb mir meine Schuld …“ waren die letzten noch verständlichen Worte des Fürsten, obgleich die Lippen sich noch oft wie zum Sprechen bewegten, bis der Tod sie für immer schloß.

Beim ersten Grauen des Tages trat, unheimlich und unerwartet, eine lange dunkle Gestalt in das Todtenzimmer, kniete sichtlich tief ergriffen an der Leiche nieder, lange in stummem Hinbrüten verharrend. Dann erhob sie sich und ertheilte dem Todten nach den katholischen Gebräuchen den Segen seiner Kirche. Das war Ketteler, jetzt Bischof, damals Kaplan in Mainz, der herbeigeeilt war in der Hoffnung, den Fürsten noch lebend zu finden und ihm den letzten Trost reichen zu können. Er kam zu spät. Es hatte schon geendet, dieses stürmische, stets übersprudelnde, wildbewegte Leben! Nachdem es so vielen Wechselfällen und mannigfachen Gefahren immer glücklich und unversehrt entronnen war, mußte es enden auf so elende, jammervolle Weise.

Eine Scheinbeerdigung beider Gefallenen wurde einige

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_682.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)