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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Hierauf erhebt er sich und trinkt das verschmähte Stück dem Burkard vor. Indem fühlt er, wie ihm der erzürnte Herteneck mit dem Barett in das Gesicht schlägt. Frischlin ist nicht so grob gewesen wie der Vogt, hat ihm den Rücken zugedreht und den Saal verlassen. Es war vorauszusehen, daß die Rohheit dieses würdigen Vertreters der Aristokratie von Frischlin nicht unbenutzt bleiben würde. Die Flugschrift, welche kurz darauf erscheint, ist nicht sowohl Rache für diesen speciellen Fall, als vielmehr ein Herzenserguß, zu dem der Schlag des Vogts ihm willkommene Gelegenheit gewesen war. Der gesammte württembergische Adel war äußerst aufgebracht; man soll Meuchelmörder für Frischlin gedungen haben, und zwei der edlen Junker sind mit Musketen auf sein Haus eingestürmt. Nicodemus mußte wohl oder übel Tübingen verlassen und eine Rectorstelle in Laubach beziehen.

Jetzt nimmt er wieder einmal die Gelehrtenwelt auf’s Korn und läßt den Adel etwas verschnaufen. Ein Streit mit dem Professor Crusius in Tübingen wird wieder aufgenommen. Hierbei ereifert er sich so, daß er stracks nach Tübingen zurückreist, um seinen Gegner besser zur Hand zu haben, und auch dort bleibt, obwohl man ihm hartnäckig jede Anstellung an der Universität verweigert. Um nur das Leben zu fristen, studirt er nebenbei Medicin, bringt es zum Doctor und prakticirt und streitet nach Herzenslust. Aber es soll ihm nicht gelingen, hier wieder festen Fuß zu fassen – die alten Basen in Tübingen erzählten sich böse Geschichten von ihm –, und auf Befehl des Herzogs muß er Stadt und Land verlassen.

So zog nun Frischlin, aus der Heimath ausgestoßen, durch das deutsche Land und hielt, wie die fahrenden Bänkelsänger, seine Schriften auf den Märkten feil. Reich an Entbehrungen, ist es doch ein freies und lustiges Leben gewesen, das er auf seinen Wanderungen genossen hat. Im grünen Walde entstanden seine kunstgerechten lateinischen Gedichte, beim Weine im Wirthshause die Dramen, und Abends im Dachstübchen der Herberge mag manch gelahrtes, bissiges Büchlein geschrieben sein. Bis nach Böhmen ist er über Wittenberg und Leipzig gekommen; er war auch eine Zeitlang in Braunschweig ansässig, hat sich aber dann nach Frankfurt zurückgewandt, wo er eine Druckerei zu errichten gedachte. Dazu war jedoch Geld nöthig, und er that deshalb an den Herzog von Württemberg die unterthänigste Bitte, ihm doch die in der Heimath noch ausstehenden Erbgüter seiner Frau auszuliefern. Das Gesuch ward ihm abgeschlagen, da man es nicht für gut hielt, einem so gefährlichen Unternehmen, wie eine Buchdruckerei in Frischlin’s Hand sei, noch hülfreich zu sein und sich selbst eine ganze Reihe von Gewittern über dem Haupte zusammenzuziehen. Der arg verletzte Frischlin schrieb nun eine Streitschrift nach der anderen, die alle von Gleichgesinnten förmlich verschlungen wurden, seine Gegner aber auf’s Aeußerste erbitterten.

So kam es, daß er einst, als er auf einer Reise in Mainz übernachtete, von einem württembergischen Vogte überfallen, dann erst von einem Kerker zum andern gebracht und endlich mit verbundenen Augen auf die Veste Hohen-Urach transportirt wurde. Ist man durch das erste Thor der Burg auf die vordere Terrasse gelangt, so kommt man in einen ziemlich engen, düsteren Gang, der auf den oberen Schloßhof führt. In diesem Gange links ist eine niedrige Thür, durch die man in das Gemach kommt, in das sie den Dichter einschlossen. Durch ein einziges schmales Fenster gelangte das Tageslicht in den niedrigen dumpfen Raum, jetzt freilich noch durch eine Oeffnung an der Decke, die Todespforte Frischlin’s. Man sieht noch an Spuren, daß dort in der Ecke ein Ofen gestanden hat und die Oeffnung jedenfalls zum Auffangen und Ableiten des Rauches bestimmt war. In der Nacht vor dem St. Andreastage 1590 – so berichten die Chroniken – brach Frischlin eine Platte aus dem Ofen, klomm durch den geräumigen Innenraum desselben zum Rauchfange empor, schlüpfte durch dessen Oeffnung und stand nun oben im Freien auf einem Mauervorsprunge. Es war heller Mondenschein. Unter sich sah er die Felsen weiß und hell am Gemäuer hervorklimmen, sie schienen ihm hinreichend nahe, und nun befestigte er an der Mauer das Seil, welches er aus dem Linnenzeuge seines Bettes geknüpft hatte. Er hatte die Höhe falsch abgeschätzt, das Seil reichte nicht zu und riß noch dazu, ehe er das Ende erreichte. Am Morgen fanden die Burgleute den entseelten Leichnam Frischlin’s an den Felszacken hängend.

Die Leute in der Umgegend wissen noch viel von dem unglücklichen Dichter zu erzählen. Dort, wo er an den Felsen zerschellt ist, keimt in mondheller Winternacht eine große Pflanze hervor, die schnell eine wunderbar bleichleuchtende Blüthe entwickelt, aber noch in derselben Nacht in ihrem eigenen Dufte vergeht. Merkwürdiger Weise verweben sie die Geschichte Frischlin’s mit der des gleichfalls vom Adel arg mißhandelten Schubart; ein alter Mann im Städtchen Urach erzählte uns:

„Der Schubart auf dem Hohen-Aschperg ischt sei Freund g’si und an den hot er viel Briefe g’schriebe.“

Von den edeln Grafen zu Hohen-Urach wußte man nichts zu berichten, auch von den württembergischen Fürsten, die zu Frischlin’s Zeiten die Burg besaßen, weiß Niemand zu sagen – den edeln, volksfreundlichen Eberhard natürlich ausgenommen; gerade hundert Jahre aber nach Frischlin’s Tode sei mit dem Pulverthurme der größte Theil der Gebäude in die Luft gesprengt und seit der Zeit sei Hohen-Urach Ruine.

Im Jahre 1755 ward auf dem Kirchhof zu Urach ein eichener Sarg aufgegraben, in welchem der zerschlagene Leichnam, sonst noch unversehrt, eine Papierrolle in der linken Hand und in ein Gelehrten-Staatskleid eingehüllt, gefunden wurde. Er hatte also doch ein ehrendes Begräbniß erhalten, wenn anders die Zeugen sich in ihrem Funde nicht getäuscht haben. So erzählt Gustav Schwab.

K. St.




Das Opfer eines wilden Tages.
Vor fünfundzwanzig Jahren in Frankfurt a. M.
(Schluß.)


Dennoch würde an Auerswald dieser erste Sturm schadlos vorüber gegangen sein, wenn er als Großvater mit dem Kindchen auf dem Schooß auf dem Kanapee gesessen hätte, wo noch außerdem unter diesem und dem Schlafrock die verrätherischen Sporen zu verbergen gewesen wären. Denn aller Haß suchte nur Lichnowsky, und selbst unter diesen Verfolgern waren noch Leute von Besinnung, denn als der Schlüssel zum Speicher nicht gleich zur Hand war, rief ein baumstarker Kerl den Seinen zu: „Man braucht nicht so schnell die Axt, um Thüren einzuschlagen, wir sind ja keine Soldaten!“ und zu Schmidt gewendet: „Suchen Sie nur den Schlüssel, er wird sich schon finden.“

Und er fand sich; Fräulein Pfalz hatte ihn unter das Kanapee geworfen. In demselben Augenblick durchfuhr Frau Schmidt wie ein Blitz der Gedanke an die Möglichkeit der Rettung ihres Schützlings im Keller. Sie eilte hinab. Unter dem Wasserfaß im Waschhaus war ein Wasserloch; es war jetzt leer. Dort war ein Mensch geborgen. Aber als sie den Raum betrat, hatte eine Schaar der Verfolger schon das Faß entfernt und suchte im Wasserloch. Da ging die verzweifelnde Frau zurück, durch den Keller, und an dem Verschlage sprach sie fast tonlos, aber für Lichnowsky hörbar genug: „Ach, jetzt ist Alles verloren!“

In demselben Augenblick mußten Beide den Jubel einer rauhen Stimme vom Speicher herab hören: „M’r hawwe A’n!“ (Wir haben Einen.)

Man hatte ihn! Der alte Mann wurde die Hühnerstiege hinab gezerrt und geworfen, er blutete aus Stirn und Nase, man stieß ihn die Treppen hinab und zum Hause hinaus auf die Terrasse. „Ihr habt nach uns geschossen!“ – „Ihr habt nach uns gestochen!“ – „Der Hund muß sterben – er muß standrechtlich behandelt werden, wie unsere Brüder in Frankfurt!“ So brüllte es durcheinander unter Stößen und Schlägen auf den Unglücklichen, der an einen der Verfolger sich anklammerte und laut jammerte: „Schont mich! Ich bin Familienvater, ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_680.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)