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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


19.

Ich zittere dermaßen vor Aufregung, Amalie, daß ich nicht weiß, ob die Feder meinem Geiste wird als Dolmetscher dienen, ob Du die wankenden Zeichen wirst entziffern können.

Ich hatte gebebt, Ernst beim Frühstück zu begegnen. Da ließ er zum Glück sich entschuldigen und blieb auf seinem Studierzimmer. Kaum war ich Cousine Dorothea glücklich losgeworden, als ich wankenden Trittes den Weg zur Bibliothek, wo Ernst sich befand, einschlug. Ich öffnete und glaubte am besten Muth zu erlangen, wenn ich sofort den Grund meines Kommens erkläre. Ernst schritt im Zimmer auf und ab; er hatte mein Eintreten überhört und wandte mir noch den Rücken, als ich schon rief:

„Ich bringe fröhliche Botschaft zum Guten Morgen, Ernst.“

Als er sich umwandte, sah ich, daß es ihm Mühe kostete, mich mit dem gewöhnlichen Lächeln zu empfangen; er hielt einen Brief in den Händen und sprach, nachdem er mir die Stirn geküßt: „Ich war nicht so glücklich wie Du, meine Hedwig. Schändliches, Unglaubliches mußte ich aus diesem Briefe vernehmen.“

„Ernst, Du machst mir Angst; darf ich erfahren, was er enthält?“

„Jawohl mußt Du es erfahren, mein Kind, auch wenn es Dir nur als Warnung gilt, fernerhin dem ersten Besten zu trauen.“

„Meine Nachricht lehrt das Gegentheil!“

Er achtete nicht viel auf meine Worte; mit verfinsterter Stirn blickte er wieder auf den Brief; kurze Ausrufungen, die Empörung, Aerger, Erstaunen ausdrückten, waren Alles, was ich eine Zeit lang vernahm. Dies war kaum der Moment, um mit meiner Nachricht herauszurücken. Ich mußte günstigere Stunden abwarten. Wenn wir lieben, Amalie, machen wir alle Diplomaten der Erde zu Schande.

„Kannst Du’s glauben, Hedwig,“ begann endlich der Bruder, noch immer starr auf das Blatt Papier blickend, „daß Werdau, in den ich solches Vertrauen setzte, den ich oft meinen besten Freund nannte, eine Schändlichkeit begehen konnte, wie sie selten vorkommt?“

Ich wollte ihn unterbrechen, doch ungehindert fuhr er fort:

„Ich bekomme heute Morgen einen Brief vom alten Baron Gerhardt, worin er sich der ärgsten Ausdrücke bedient, um seines Neffen Betragen zu schildern. Sein anderer Neffe, Werdau’s Mitbewerber um des reichen Onkels Vermögen, bekam, wer weiß auf welche Art, Wind von dem Auftritte der vorigen Woche. Glücklicher als ich, spürte er der Sache auf den Grund und entlarvte Werdau, der eine Schändlichkeit begangen, welche mich berechtigt, ihn, einen Edelmann, mit den niedrigsten Namen zu bezeichnen. Hörst Du, Hedwig, ein Edelmann – und Betrüger, Schwindler, Dieb!“

Jetzt blickte Ernst auf und begegnete meinen freudestrahlenden Augen.

„Das ist eben meine gute Nachricht!“ rief ich freudig aus. „Was geht aus der ganzen Geschichte hervor, als daß Impach, der Dir Dein Vertrauen auf die Menschheit geraubt hatte, rein und edel vor uns dasteht?“

„Wie doch so ein kleiner Optimist gleich die gute Seite eines Unglücks erspäht und dem traurigsten Ereigniß eine Freude abgewinnt! Impach war mir bei der Sache gar nicht in den Sinn gekommen; ich gestehe es zu meiner Beschämung. Dem jungen Manne geschah allerdings grausam Unrecht und er hat sein Unglück edel getragen. Ihm muß eine eclatante Rechtfertigung werden. Alles, was wir für ihn thun können, ist nicht zuviel. Wenn wir nur gleich Etwas wüßten, das ihn glücklich machte!“

„Ernst, ich weiß Etwas, das ihn über alle Maßen glücklich machen würde.“

„Sprich, Du schlaues Kätzchen,“ war Ernst’s lächelnde Erwiderung.

Amalie, Du kennst Deinen Hasenfuß und kannst Dir denken, wie mein Herz pochte; ich konnte es hören wie einen Hammer. Die Kniee wanken mir; vor den Augen tanzten goldene Sternchen einen rasenden Reigen; doch ich nahm den ganzen Muth meines Lebens zusammen und trat aufrecht vor Ernst hin, mit erhobenem Haupte sprechend:

„So habe ich die Ehre, Herzog Ernst von Waldemberg, Sie um die Hand Ihrer Schwester Hedwig für den Künstler Walter Impach zu bitten.“

Wie die Sonne, plötzlich untergehend, eine Landschaft in grauer Beleuchtung erscheinen läßt, so wich von meinem Antlitz das schelmische Lächeln, jeder Funke von Freude. Ernst stand, als ich schon geendet, noch mit vorgebogenem Oberkörper, die Augen weit hervorschießend, bleich, wie leblos da. Sein ganzes Leben schien sich in den Hörorganen zu concentriren. Endlich sich ermannend, frug er leise:

„Soll das Dein Ernst sein, Hedwig, Unglückliche?“

Ich konnte nur nicken, dann den Platz an seiner Seite einnehmen, den er mir, sich niederlassend, anwies.

„Hättest Du den Mangel an Leichtsinn und Flatterhaftigkeit, der unserer Race eigen, nicht auch geerbt, ich würde Deinen wahnsinnigen Worten so wenig Aufmerksamkeit schenken, als sie verdienen. Da ich Dich jedoch kenne und wohl weiß, daß Du verständigen Vorstellungen noch stets Gehör verliehen, so will ich Dir andeuten, wohin Du Dich verirrt, und Dich auf rechte Wege zurückführen.“

Ihm die Hand drückend, schüttelte ich traurig den Kopf, wagte jedoch nicht, ihn zu unterbrechen.

„Jeder Mensch,“ sprach er jetzt ernsthaft, „jeder Mensch erbt von seinen Eltern einen Theil des Wesens, des Geschmacks, der Liebhabereien, die diese wieder als Erbtheil von den Großeltern mit auf die Welt brachten. Erziehung, Umgebung, Bildung vervollständigen dieses Erbtheil und drücken dem Menschen einen Charakter auf, gegen den dieser, sträube er sich auch noch so sehr, niemals ganz aufkommen kann. Eine Verpflanzung in fremde Gewohnheiten führt fast stets das Unglück des Betreffenden herbei. Du bist im Schooße des Reichthums aufgezogen, das verwöhnte, verhätschelte Kind Derjenigen, die nun einmal auf der Welt den ersten Platz einnehmen. Impach kanntest Du nur, insofern er sich Deiner Umgebung fügte, hast ihn bewundern, lieben gelernt, so lange er ein Mitglied Deiner Welt bildete. Den Roman, der in diesem Köpfchen entstand, wird die Welt nicht verstehen – sie wird kühl sagen: ‚Eine Waldemberg hat sich in einen hübschen Kerl von Maler vernarrt!‘ Sie wird die Achseln zucken und Dir den Rücken wenden – denn daß sie mit Dir den jungen Mann, der einmal nicht zu ihr gehört, an ihre Seite stelle, kannst Du ihr nicht zumuthen. Eine solche Heirath, Hedwig, ist nicht nur eine Unmöglichkeit, sie ist der Grundstein zum unglückseligsten Zustande, den ich mir auf Erden denken kann.“

Ich ließ ihn nicht ausreden. „Ernst,“ sagte ich, „ich mache Dir keine Vorwürfe, aber entsinne Dich der Worte: ‚Ein Künstler ist Jedermanns Gleichen!‘ Als Du das sprachst, legtest Du das erste Samenkorn zu einem Baume, den Du nun so leicht zu entwurzeln glaubst.“

„Nicht so solltest Du mich verstehen. Der Künstler befindet sich allerdings auf jedes Menschen Höhe – doch nur, wenn er vor seiner Staffelei steht, Hedwig! Im Leben giebt es auch andere Stunden, und dann überschreitet er den Stand, in dem er geboren, um kein Haar breit!“

„Wenn er malt, ist er von selbst Edelmann, zu anderen Zeiten ist er es durch mich!“

„Nicht doch, Hedwig! Nicht er klimmt zu Dir empor, Du steigst zu ihm hinab. Nicht ihn erhöht diese Heirat, Dich erniedrigt sie. Und glaubst Du, daß nicht Stunden kämen, wo Dich’s gereute, daß Du so rasch Dich vergeben? Wenn Du Dich seiner schämen müßtest? Wenn Solche, die bisher eine Ehre darin fanden, Dich begrüßen zu dürfen, sich von Dir abwendeten?“

„Dann müßten sie sich schämen, nicht ich, daß sie so schlecht sind! Aber, Ernst, ich will nichts von ihnen wissen, die den Menschen nicht nach seinem inneren Werte schätzen, mich verachten, wenn ich einem Anderen als ihres Gleichen die Hand reiche. Ich sage Dir’s rund heraus,“ rief ich jetzt aufstehend, „ich will lieber arm wie ein Bauernmädchen sein, als auf Walter verzichten. Was brauche ich, wenn Du mir zur Seite stehst?“

„Raum ist in der kleinsten Hütte
Für ein glücklich liebend Paar!“

parodirte Ernst, sich auch erhebend. „Hedwig, Du weißt ja nicht, was es heißt, arm zu sein – hast Du nur eine Idee, was das Kleid werth, das Du auf dem Boden nach Dir schleppst? Mein Gott, mir ist’s, als spräche ich mit einem unvernünftigen Kinde! Hedwig, an diese Verbindung ist nicht zu denken.“

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