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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


haben mag. Jedennoch war von anderen Leuten des Wirklichen und Thatsächlichen noch genug zu hören, was, vollends in die Weite hin durch das Gerücht vergrößert, glauben machen konnte, in der bis dahin so still-ehrbar-langweiligen Stadt an der Ilm sei der Teufel los. Wieland, ein gewiß unverdächtiger Zeuge, denn er „liebte ja“, wie er sagt, den Wolfgang „wie seinen Sohn“ und hatte „eine innige Freude daran“, daß ihm derselbe „so schön über’n Kopf wuchs“, konnte sich doch des brieflichen Stoßseufzers nicht enthalten: „Goethe hat in den ersten Monaten durch seine damalige Art zu sein die meisten skandalisirt und dem diabolus prise über sich gegeben“ – und unser Dichter selber bestätigte diese Censur, indem er in den ersten Monaten von 1776 im kräftigsten Kraftstil an Merck meldete: „Ich treib’s hier freilich toll genug“ – „Ist mir auch sauwohl geworden“ – „Wir machen Teufelszeug.“ Aber der gute Wieland hat obigem Seufzer das Postscript angehängt (24. Juli 1776): „Von dem Augenblicke an, da er decidirt war, sich dem Herzoge und dessen Geschäften zu widmen, hat er mit untadeliger σωφροσύνη (Verständigkeit, Mäßigung) und aller ziemlichen Weltklugheit sich aufgeführt.“

Auf ein Festhalten des Freundes an seiner Seite und in seinem Lande hatte es der Herzog wohl von vornherein abgesehen, und daß Goethe seinerseits der Absicht des Freundes, ihm Amt und Würde zu geben, nicht entgegen und zum Bleiben in Thüringen bald entschlossen war, deutete er schon zu Anfang des Jahres 1776 verständlich genug an, wenn er am 5. Januar an Merck schrieb: „Wirst hoffentlich bald vernehmen, daß ich auch auf dem theatro mundi etwas zu tragiren weiß.“ Und weiterhin: „Ich bin nun in alle Hof- und politischen Händel verwickelt und werde fast nicht wieder wegkommen.“ Er kam nicht wieder weg.

Im Frühjahr bezog er das sogenannte Jägerhaus an der Straße nach dem Belvedere. Bald darauf schenkte ihm Karl August einen von Bertuch erkauften Garten, der am Wege nach Oberweimar am Fuße eines Hügelgeländes, genannt das Horn, gelegen war. Der Dichter schrieb darüber am 17. Mai an Auguste von Stolberg: „Hab’ ein liebes Gärtchen vor’m Thor an der Ilm, schöne Wiesen in einem Thale. Es ist ein altes Häuschen darin, das ich mir repariren lasse.“ In diesem Gartenhause hat er sieben Jahre lang im Sommer und meist auch im Winter gewohnt. Hierher hat er sich aus dem Weltgedränge gerettet, sich selbst und sein Bestes, Eigenstes. Hier wurde der Egmont geschrieben und die Iphigenie (in erster Form) gedichtet, hier quollen ihm viele seiner innigsten Lieder aus dem Herzen, wie jenes unnachahmlich stimmungsvolle Mondlied „Füllest wieder Busch und Thal still mit Nebelglanz“. Im Juni wurde der Dichter bleibend für Weimar gewonnen: der Herzog ernannte ihn, alles Abwinkens von seiten höfischer Petrefacte, als da zum Beispiel der frühere dirigirende Minister Graf Görz und die Oberhofmeisterin Gianini gewesen sind, sowie auch des Stirnrunzelns bureaukratischer Banausier ungeachtet, am 11. Juli zum Geheimen Legationsrath mit Sitz und Stimme im Cabinett und einem Jahrgehalt von tausendzweihundert Thalern. Später wurde das „Tragiren auf dem theatro mundi einträglicher. Im September von 1779 wurde Goethe Geheimrath und erhielt zweihundert Thaler Besoldungszulage, etwas später eine weitere Zulage von vierhundert, endlich vom Jahre 1816 an die Ministerbesoldung von dreitausend Thalern. Seine auf Betreiben Karl Augusts durch Kaiser Josef den Zweiten mittels Diploms vom 10. April 1782 bewerkstelligte Adelung ist bekanntlich nicht nur ohne, sondern wider Wunsch und Willen des Dichters in’s Werk gesetzt worden. Es stießen sich eben verschiedene mehr oder weniger petreficirte Herren und Damen bei Hofe an dem „bürgerlichen“ Geheimrath. Als der Dichter schwarz auf weiß gelesen, daß er jetzo glücklich ausgebürgert und eingejunkert sei, schickte er das Diplom an Lotte von Stein und schrieb dazu: „Ich bin so wunderbar gebaut, daß ich mir gar nichts dabei denken kann.“ Können Sie sich etwas dabei denken, meine Damen? Ich meinerseits gestehe bescheidentlich, ich kann mir nichts dabei denken, absolut nichts als dieses, daß die menschliche Narrethei vom Anfang an da war und bis an das Ende aller Dinge da sein wird. …

Doch halt! wir sind ja im Galopp, so zu sagen, der Zeit vorausgeeilt und müssen wieder umlenken, um doch nicht gar zu rasch über Weimars lustige Zeit hinwegzuhuschen, obzwar es überflüssig, länger dabei zu verweilen, maßen ja verschiedene mehr oder weniger dicke Bücher über den Gegenstand geschrieben, gedruckt und hoffentlich auch gelesen worden sind. …

Während der ersten Wochen, Monate, meinetwegen auch Jahre von Goethe’s Aufenthalt in Weimar ging es bei Hofe – um für Burschikoses einen burschikosen Ausdruck zu gebrauchen – kreuzfidel genug her. Doch aber nicht so toll, daß dem guten Klopstock in Hamburg, wie er im März von 1776 an unsern Dichter schrieb, Angst zu werden brauchte, der junge Herzog werde sich zu Tode trinken; auch nicht so toll, daß die Haare des Herrn Doctor Zimmermann in Hannover, wie dieser Herr an den inzwischen auf Goethe’s Betreiben nach Weimar berufenen Herder meldete, nöthig gehabt hätten, vor lauter Entsetzen darob „sich senkrecht in die Höhe zu richten“. Es wurde allerdings auf den Schauplätzen des Kraftgenietreibens, als da waren die Lustschlösser Belvedere, Ettersburg, Tieffurt, das Dorf Stützerbach, auch Dornburg, Ilmenau und Lauchstädt, viel bunte und lärmende Zigeunerei aufgeführt; es wurde rasend geritten, gejagt und gehetzt, weit über Durst poculirt, überlaut gesungen und jubilirt, nächtelang mit Bauermädchen im Tanze gesprungen und tage- und nächtelang mit Mädchen aller Stände „gemiselt“, das heißt geliebelt, denn die guten Dinger heißen im kraftgenialischen Rothwelsch „Misels“. Aber der Wolfgang, von dem in einem Knittelversbrief eines von der Geniebande (Kammerherr von Einsiedel) dazumal geschrieben stand:

„Mit seinen Schriften unsinnsvoll
Macht er die halbe Welt jetzt toll,
Schreibt ein Buch von ein’m albern Tropf,
Der heiler Haut sich schießt vor’n Kopf;
Meint Wunder, was er ausgedacht,
Wenn er einem Mädel Herzweh macht;
Parodirt sich drauf als Doctor Faust,
Daß ’m Teufel selber vor ihm graus’t –“

ja, der Wolfgang hat in seinem vorhin bereits angezogenen Gedicht „Ilmenau“ mit Recht darauf hingewiesen, daß in all der übermüthigen Lustigkeit der Jagden, Schlittenfahrten, Trinkgelage, Maskeraden, Possenspiele und Liebschaften doch das edlere Element immer wieder obenauf kam: –

„Unbändig schwelgt der Geist in ihrer Mitten
Und durch die Rohheit fühl’ ich edle Sitten.“

Zu Zeiten überwältigte den Dichter die Empfindung, daß er doch eigentlich „für diese Welt nicht gemacht sei“, wie er seinem Tagebuche anvertraute, das heißt nicht für diese Welt geräuschvoller Zerstreuungen und buntwechselnder Liebesränke und galanter Schwänke. Er flüchtete sich dann aus derselben zu seiner großen Flamme, Lotte von Stein, von welcher noch mehr zu sagen sein wird, oder er verschloß sich in sein Gartenhaus, oder er packte plötzlich seinen Mantelsack, setzte sich zu Pferde und ritt einsam in die Welt hinein. So im Winter von 1777 nach dem Harz, von wo er den Hymnus „Harzreise im Winter“ mit heimbrachte, in welchem ein beklommenes Dichterherz seinen Sorgen in erhabenen Bildern Luft machte. Was Goethe über diesen winterlichen Ritt äußerte, ist insbesondere auch darum denkwürdig, weil es zeigt, wie innig dieser Pöbelhasser das Volk verstand und liebte: – „Wie sehr ich wieder auf diesem dunkeln Zuge – ich war vierzehn Tage allein und kein Mensch wußte, wo ich war – Liebe zu der Klasse von Menschen gekriegt habe, die man die niedere nennt, die aber gewiß für Gott die höchste ist! Da sind doch alle Tugenden beisammen: Beschränktheit, Genügsamkeit, gerader Sinn, Treue, Freude über das leidlichste Gute, Harmlosigkeit, dulden, dulden, ausharren!“ … Im nächsten Frühjahr finden wir unseren Wanderer auf einem ganz anderen Schauplatz. Am 8. December war er „über anderthalb Ellen hohen Schnee“ auf dem Brocken gestanden; jetzt, da er den Herzog nach Berlin begleitet hatte, ging er neugierig in Potsdam und Sanssouci herum, allwo damals noch der große Alte mit dem Krückenstockscepter waltete. „Ich guckte nur drein – schrieb Goethe an Frau von Stein – wie das Kind in Schön-Raritätenkasten. Aber es sind mir tausend Lichter aufgegangen. Und dem alten Fritz bin ich recht nah worden; da hab’ ich sein Wesen gesehen, sein Gold, Silber, Marmor, Affen, Papageien und zerrissene Vorhänge und hab’ über den großen Menschen seine eigenen Lumpenhunde räsonniren hören.“

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