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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Entfernung einen jener drolligen Thiere vor seiner Höhle Männchen machen, vor den heraneilenden Hunden aber wieder verschwinden. Wir verschmähten natürlich dies niedere Wild, um nicht durch unzeitige Schüsse unsere Jagd zu verderben.

Wir zogen eine Halde hinan, die hier und da von Rinnen durchzogen war, in welchen Schneewehen dichte Spuren hinterlassen hatten. Auf einer derselben fanden wir Trittspuren und Losung, welche der Jäger sofort für die frische Fährte einer kürzlich darüber geeilten Steinbockkuppel erklärte. Wir setzten am Rande des Schnees die Stellhunde darauf, welche sofort im raschen Gange uns aufwärts führten. Wieder waren wir eine Stunde gestiegen.

Da plötzlich winkte mich der König zu sich heran und reichte mir das Fernrohr, auf einige dunkle Punkte deutend, welche sich auf einer Felsspitze zwischen einer Moräne und einem Gletschervorsprung zeigten. Ein Blick durch das Glas entdeckte mir das erste Hochwild. Es waren drei Steinböcke, welche auf einer grünen Oase der Felsenzinne weideten. Trotz der großen Entfernung konnte ich doch bemerken, wie der vorderste den Schmuck der meterlangen, handbreiten Hörner herumwarf und die Umgegend mißtrauisch zu mustern schien. Die Thiere mochten das durch unser Klettern verursachte Geräusch rollender Steine vernommen haben. Doch hatten sie uns offenbar noch nicht bemerkt. Es galt ihnen jetzt den Wind abzugewinnen. Der König befahl dem uns begleitenden Jäger in einem Bogen die Böcke zu umschleichen und durch Geräusch sie uns entgegenzutreiben, die wir auf der anderen Seite allmählich, uns möglichst hinter Felsen versteckend, oft auf allen Vieren kriechend, zu ihnen vorsichtig emporklommen. Der Jäger hatte die überaus schwierige Aufgabe, in einer Felsenrunse, einem sogenannten Kamin, emporzuklettern. Nach einer halben Stunde, die wir in unseren wechselnden Verstecken mit großer Ungeduld zubrachten, in steter Furcht, daß ein unvorsichtig gelöster und herabrollender Stein unser Nahen verrathen, die Thiere warnen und unsere Jagd vereiteln möchte, sahen wir den Jäger von Zeit zu Zeit mit dem Kopfe am Rande der Runse hervortauchen, mehr und mehr dem Flecke sich nähernd, wo die Steinböcke grasten. Endlich waren wir nahe genug an der Felsenwand, um uns einen Standpunkt wählen zu können. Die Stelle zeigte sich uns günstiger, als wir anfangs geglaubt; denn der Felsenvorsprung, auf welchem die Thiere standen und an dessen nördlichem Absturz der Jäger hinaufklomm, während wir uns von der Ostseite näherten, war, wie sich bei unserer Annäherung zeigte, durch eine zwanzig Fuß breite Kluft nach Süden und Westen vom Gletscher getrennt, während nur die nördliche Seite mit der Moräne zusammenhing. Des Königs von der Anstrengung und der Bergluft geröthetes Gesicht strahlte förmlich, als er diese Sachlage wahrnahm.

„Machen Sie sich schußfertig!“ flüsterte er mir zu. „Die Entfernung ist zwar ansehnlich, aber für die Kugel zu erreichen. Wahren Sie Ihre deutsche Schützenehre!“

Noch eine kurze vorsichtige Kletterei; dann stieß der König durch ein kleines Instrument, ähnlich unseren Rehbocklockpfeifen, einen eigenthümlichen Ton aus. Ein paar Secunden darauf sah ich die Köpfe der Steinböcke oben am Rande der Klippe sich vorstrecken, in demselben Momente tönte von der anderen Seite ein Schrei, und in jähem, gewaltigem Satze flog das vorderste der Thiere über die Schlucht, in der Richtung nach dem Gletscher. Der König war wie der Blitz der Bewegung mit der Büchse gefolgt, ein Knall donnerte durch die Berge und der Steinbock kollerte, als er den Boden erreichte, die Schlucht herab. Mein darauffolgender Schuß traf den zweiten Bock, der dem ersten auf dem Fuße gefolgt war. Derselbe raffte sich aber wieder auf und machte Miene den Gletscherrand zu erklimmen, den der dritte Steinbock in ungeheurem Satze wirklich erreicht hatte. Bereits aber sandten ihnen unsere Hinterlader die tödtlichen Schüsse nach. Die beiden letzten Thiere waren so dicht aneinander und rafften sich so oft nach dem Zusammensturze wieder auf, daß erst mehrere Kugeln ihrem Leben ein Ende machten.

Von der Freude über das Jagdglück und die seltenen Thiere wie berauscht, sprang ich in wilden Sätzen die Schlucht hinauf zum ersten Steinbock, mehrmals ausgleitend und die Hände blutig ritzend, während der König langsamer folgte. Als nun auch der Jäger, von den Schüssen angelockt, wieder herabgeklettert war und die verendeten Thiere mit Lebensgefahr herabgebracht hatte, wollte der König, großmüthig wie immer, mir die Ehre des Tages zuschreiben, das heißt, da er nicht leugnen konnte, den ersten glücklichen Schuß gethan zu haben, mir die Erlegung der anderen zwei Steinböcke beimessen, obgleich er selbst mehrere Schüsse darauf abgefeuert. Da ich dies nicht gelten ließ, so wurde zur Untersuchung der Schußwunden geschritten. Allein des Monarchen Großmuth war nicht zu besiegen.

Mir wurden also zwei Steinböcke zugesprochen, welche der König selbst ausstopfen lassen und mir verehren will. Prächtige Thiere, diese Steinböcke! Sie sind kleiner als die Gemsen, aber trotz der gewaltigen Hörner, welche in etwas nach auswärts schiefem Bogen vom Scheitel nach dem Rücken geworfen sind, noch schnellkräftiger als jene. Ihr Fell ist nicht, wie das der Gemsen, braun, sondern grau und zottiger.

Nachdem der König befohlen, die Thiere auszuweiden, sandte er den Jäger um Träger zur Bergung der Jagdbeute. Er selbst führte mich bergab, dem Stelldichein zu. Wie den genußreichen Rückweg schildern? Durch schneebedeckte Runsen, im Sonnenglanze strahlende Alpen, die wieder abwechselten mit Fichten- und Tannenwäldern, ging es fort unter ernsten und heiteren Gesprächen. Manchmal mußten wir eine Schlucht passiren, durch die wir uns die Hand reichen mußten, und wo nur noch ein Fleckchen blauen Himmels sichtbar war. Einmal wehte uns der eisige Hauch der Gletscher, einmal die warmen Lüfte des Südens an. Während ich allmählich große Müdigkeit und Erschöpfung spürte, schritt der königliche Jäger immer kühn und unermüdet voran. Ich war froh, als wir endlich, von der sinkenden Sonne beleuchtet, in einer Lichtung von der versammelten Jagdgesellschaft mit fröhlichem Jubelruf begrüßt wurden.

Um ein riesiges Feuer, das ein Kreis von trockenem Moos, mit Decken belegt, umgab, saßen die Gäste Victor Emanuel’s, lauter fröhliche Gestalten, welche bei seinem Anblicke auf die Füße sprangen. Nun wurden die herbeigeschafften Speisen und Weine ausgepackt und Alle lagerten sich wieder um das Feuer.

„So wie ich Sie kenne, lieber W.,“ hub der König an, „werden Sie die Nase nicht rümpfen, wenn wir Sie als guten Schützen senza complimenti behandeln, Hier angefaßt! Gleiche Schützen, gleiche Theile!“

Mit diesen Worten hatte der Monarch einen Kapaun aus dem Korbe mit der Faust an einem Beine ergriffen, und hielt ihn mir zum Halbpart hin. Ich mußte das andere Bein ergreifen und nun riß der König das Geflügel lachend entzwei mit den Worten: „Nun einen tüchtigen Tummler unsers Rothweins, das schmeckt besser, als alle Eure dîners parés!“

Das meine Jagd mit Victor Emanuel. Man kann sich der ritterlichen Waidmanns-Rüstigkeit des Königs auch für sein Volk nur freuen, denn noch allemal war ein solch gekrönter Nimrod auch auf dem Thron mehr werth, als der weichliche Stubenhocker im Purpur.



Goethe.
Sein Leben und Dichten in Vorträgen für Frauen geschildert.
Von Johannes Scherr.
XII.

Die „lustige Zeit“ von Weimar! Nun ja, das war sie, obzwar der vielberufene „Magister Ubique“, der gute Hofrath K. A Böttiger, das Klatschen der „abscheulich großen“ Parforcekarbatschen, womit der Wolfgang und sein herzoglicher Dutzbruder auf dem Marktplatze der Stadt „stundenlang“ um die Wette geknallt haben sollen, item noch viel anderes Geklatsche – als da zum Beispiel die Werthertrachtkostenrubrik für zu- und abwandernde Genies, welche des Herzogs Schatzmeister Bertuch in seinen Rechnungen gehabt – wohl nur mit seinen höchsteigenen, sehr gelahrten, über mehr als billig langen Ohren gehört

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 672. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_672.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)