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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)



Album der Poesien.
Warnung vor dem Rhein.

An den Rhein, an den Rhein, zieh’ nicht an den Rhein,
Mein Sohn, ich rathe Dir gut:
Da geht Dir das Leben zu lieblich ein,
Da blüht Dir zu freudig der Muth.

5
Siehst die Mädchen so frank und die Männer so frei,

Als wär’ es ein adlig Geschlecht:
Gleich bist Du mit glühender Seele dabei,
So dünkt es Dich billig und recht.

Und zu Schiffe, wie grüßen die Burgen so schön

10
Und die Stadt mit dem ewigen Dom!

In den Bergen, wie klimmst Du zu schwindelnden Höh’n
Und blickst hinab in den Strom.

Und im Strome, da tauchet die Nix aus dem Grund,
Und hast Du ihr Lächeln gesehn,

15
Und sang Dir die Lurlei mit bleichem Mund,

Mein Sohn, so ist es geschehn.

Dich bezaubert der Laut, Dich bethört der Schein,
Entzücken faßt Dich und Graus.
Nun singst Du nur immer: Am Rhein, am Rhein,

20
Und kehrst nicht wieder nach Haus.


Karl Simrock.




Mit Victor Emanuel auf der Steinbockjagd.[1]


Der Eindruck, den bei meinem letzten Besuch am königlich italienischen Hofe der ritterliche Monarch auf mich machte, welchen ich seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen, war ein überaus sympathischer. Man stelle sich keinen vom Ceremoniell der Höfe angekränkelten Cavalier unter ihm vor, sondern einen echten Ritter, wie einen mittelalterlichen Haudegen, der den Italienern offenbar durch den Contrast mit ihrem abgerundeten, vorsichtigen, zierlichen Wesen zu gefallen scheint. Er ist, obwohl nur mittelgroß, eine durch seine Körperfülle und untersetzte Statur imposante Gestalt, voll Saft und Kraft, mit blitzenden Augen und schlachtgewohnter Haltung.

Mit ausgestreckten Händen kam er mir entgegen, hieß mich herzlich willkommen und fragte gleich nach Verwandten meines Hauses, die auch ihm bekannt waren.

An demselben Abende noch speiste ich bei Hofe mit mehreren Ministern und Generalen. Der König, als echter Piemontese, knusperte an seinen Grissini (dünne Weinbrodstangen), alle sonstigen Speisen verschmähend. Da Damen sich doch für Häusliches interessiren, so will ich gleich verrathen, was man sich erzählt. Der König, auch in seiner Häuslichkeit Jagd- und Lagergewohnheiten liebend, speist in der Regel allein. Im Zimmer auf- und abgehend, verzehrt er ein Dutzend halbroher Coteletten aus der Faust und trinkt dazu eine Maß herben piemontesischen Rothweins. Wenn er zur Ehre von seltenen Gästen der Tafel beiwohnt, beschäftigt er sich außer der Conversation culinarisch nie anders als in der obenerwähnten Weise.

Der König entließ mich diesen Abend später als die übrigen Gäste und gab mir selbst die nöthigen Rathschläge für den am folgenden Tage anberaumten Aufbruch zur Jagd. Der sympathische Eindruck war also gegenseitig gewesen.

In Viergespannen von englischen Halbblutpferden – trotz seiner Körperlast sind Victor Emanuel’s Reitpferde meist nur Vollblutaraber, deren er herrliche Exemplare vom Sultan und vom Vicekönig von Aegypten zu erhalten pflegt – erreichten wir am folgenden Abend das Jagdschloß in den Grajischen Alpen, die einzige Gebirgsgegend, außer Spanien, wo noch der Steinbock vorkommt, der längst in den savoyischen, schweizerischen und Tiroler Alpen ausgestorben ist. Ohne Victor Emanuel’s Liebhaberei und Waidmannslust würden wohl auch diese edlen Thiere, welche noch in einer Anzahl von sechs- bis achthundert Stück gehegt werden, längst ausgerottet worden sein.

Ich hatte eine Art Treiben erwartet, wie ich sie bei den Gemsjagden des Herzogs Ernst von Coburg in Tirol oder im bairischen Hochlande als Gast des Königs Max mitgemacht; allein nichts von Dem!

Ich werde mich zwar stets der Jagden im Revier des Königs Max am Königssee mit Vergnügen erinnern. Wie geschmackvoll wechselte bei diesem Monarchen der geistige mit dem Naturgenuß! Tags zuvor saßen wir geladenen Gäste noch im berühmten Symposium des Königs, wo die ersten Gelehrten und Dichter den Abend geistig verherrlichten. Gerade war die historische Commission versammelt gewesen, durch deren Einsetzung König Max sich unsterbliche Verdienste um die vaterländische Geschichtsschreibung erworben hat. Da sah ich Ranke und Sybel, dann Liebig, Geibel, Paul Heyse, Kaulbach. Die Unterhaltung wogte um die höchsten Interessen der Menschheit, und König Max leitete sie mit seltenem Tact – ein Glas Rheinwein oder Punsch nicht verschmähend. Am andern Morgen brachen wir nach Berchtesgaden auf. In einer für den König errichteten Hütte im Gebirge ward die Nacht zugebracht, während welcher die Förster und Jäger damit beschäftigt waren, die Gemsen herbeizutreiben. Da wurden oft zwanzig bis dreißig Stück, nicht wenige von des Königs eigener Hand, erlegt. Die Schattenseite dieser Treibjagden aber ist, daß man stundenlang an derselben Stelle verweilen muß und vor Kälte oft schlottert, vor Langeweile oft gähnt, so daß man nicht selten den richtigen Moment verpaßt.

Nichts von alledem bei Victor Emanuel. Wir gingen auf die Pürsch – nur von einigen Adjutanten und Jägern in passender Entfernung von einander begleitet. Ich hatte dem Könige die zwei Zündnadelbüchsen zum Geschenk mitgebracht, die ich aus der königlichen Waffenfabrik erhalten – ein paar Prachtexemplare. Der König hat das Geschenk sehr gnädig aufgenommen und schien vor Ungeduld zu brennen, die Trefflichkeit und Tragweite eines Gewehres zu erproben, dessen Feuergeschwindigkeit über allem Zweifel erhaben steht.

Schon am frühen Morgen vertheilte der König, nach kurzer Rücksprache mit dem Oberförster, die Rollen. Einige Träger wurden mit Lebensmitteln an einen bestimmten Ort im Gebirge vorausgeschickt, wo wir uns nach vollbrachter Jagd treffen sollten. Die Adjutanten schlugen mit einigen Jägern Wege links und rechts ein, während der König, von mir und einem einzigen Büchsenspanner begleitet, einen mittleren Pfad in die Alp hinauf stieg. Victor Emanuel mit einem kurzen schwarzen Sammetwamms bekleidet, ich der oberbairischen Juppe treu, Beide mit der Büchse auf dem Rücken und einem langen Bergstock in der Hand, die Stellhunde uns vorauseilend, so stiegen wir den Felsenpfad hinan, während die Sonne allmählich hinter den Walliser Schneespitzen emporstieg und die Berghörner rings um uns vergoldete. So mühsam der Marsch auch war, so frisch stieg der König trotz seiner Körperfülle voraus. Bald lagen die letzten Wälder hinter uns, die höchsten Alpenweiden wurden durchschritten und ein beschwerliches Klettern begann zwischen Moränen, Schneefeldern, Felsenklippen und herabhängenden Gletscherzungen. Von Zeit zu Zeit, wenn wir momentan still standen, um zu verschnaufen, musterte der König durch einen kleinen Feldstecher die Höhen. Der grelle Pfiff der Murmelthiere ließ sich vernehmen, hier und da sahen wir auch in kurzer

  1. Wir verdanken diese Skizzen den Mittheilungen eines Cavaliers, der längere Zeit am Hofe des Königs von Italien verweilte und dort öfters den königlichen Jagden beiwohnte. Der Artikel liegt schon lange in unserem Redactionspulte, dürfte aber nach dem Besuche des Königs in Wien und Berlin jetzt doppeltes Interesse erregen.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_670.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)