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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


nach frischen Pistolen, allein jetzt legten sich seine eigenen Secundanten mit allem Ernste in’s Mittel, sich auf den geschriebenen Vertrag berufend, welcher nur dreimaligen Kugelwechsel vorgeschrieben hatte. Sie erklärten das Duell für beendigt und machten, unbekannt mit der tiefen Ursache unseres Zwistes, noch einen Versöhnungsversuch. Werdau stieß ihn mit Wuth zurück, und ich selbst, von der Unmöglichkeit durchdrungen, mit dem Manne je wieder zu verkehren, bewog die Anwesenden, sich mit der gegenseitigen Erklärung zu begnügen, daß wir uns, um unwürdige Scenen zu vermeiden, künftig als nicht vorhanden betrachten würden. Nach einigen Minuten brachte der Secundant meines Gegners die Zusage, und die Aerzte schickten sich nun an, die Wunden zu verbinden.

Die meinige war nur ein Streifschuß, der den fleischigen Theil der Schulter durchbohrt hatte und in ein paar Wochen geheilt sein wird. Werdau wird länger zu laboriren haben. Obgleich seine Leute die Bedeutung der Wunde zu verheimlichen suchten, merkten wir doch so viel, daß die Kugel aus der Hüfte herausgeschnitten werden muß und daß ein Knochen seiner Hand zerschmettert ist.

Und nun wäre der Ort, wenn meine Stimmung es erlaubte, einen Epilog über den Sinn des Duells zu halten. Denn ich bin nach demselben genau so weit, wie vorher. Ich kann nur sagen, daß mich, was da auch komme, mein plötzlicher Entschluß, den Gegner zu schonen, nicht reut. Warum sollte ich meine Hand mit dem Blute eines Elenden beflecken und mein Gewissen noch beschweren, wo meine Seele mehr der Leiden zu tragen hat, als meine Kraft vermag!

Was soll aus mir werden, Freund? Alle meine Lebenshoffnungen sind dahin. Vielleicht bist dennoch Du zu meinem Tröster bestimmt. Sobald meine Wunde geheilt ist, werde ich in Deine Arme eilen.

Auf ewig

Dein Walter.     


16.


     Amalie!

Aus tiefem, ohnmächtigem Schlummer bin ich mit einem Schrei des Entsetzens erwacht. Mein Traum mit seinen Freuden und Leiden ist zerstoben vor dem grellen Licht des Tages, und an seine Stelle eine Wirklichkeit getreten, deren lichteste Seiten mich mit Grauen erfüllen.

Elender, gottloser Betrug geschah in diesem unserem Hause; an der Stelle des Rembrandt’schen Meisterstückes hängt eine Copie von frevelhafter Hand vertauscht. Ich stand dabei, als der Betrug erkannt wurde. Ich sah mit eigenen Augen, wie Walter Impach beim Anblick dieses Bildes todtenbleich wurde; ich hörte mit diesen Ohren, wie er zugestand, daß es von seiner Hand angefertigt worden. Ich sah ihn im Saal umherblicken, ob nicht ein Antlitz zu erspähen wäre, das ihm Beistand verhieß. Auch ich mußte wie mein armer betrogener Bruder glauben, dieser Mensch habe Vertrauen, Gastfreundschaft, was es auf Erden Heiligstes giebt, verrathen und in den Pfuhl des Verbrechens getaucht. Ich bebte an allen Gliedern und konnte die Möglichkeit solcher Heuchelei nicht fassen.

Auf meine Bitte schloß Ernst die peinliche Scene, indem er dem Schuldigen befahl, sich zu entfernen. Meine Augen suchten ihn noch einmal, als er schon auf der Schwelle war; da kehrte er sich, Amalie, und sandte mir einen Blick zu, in dem eine Seele, ein ganzes Menschenleben lag. Es war der Aufschrei eines mißhandelten Geschöpfes, das den einzigen Protest seiner Unschuld durch einen Blick kundthat. Wie Zauber wirkte dieser Blick auf mich. Ich fühlte, daß Erde und Himmel sich vereinigen, die gesammte Menschheit mein Ohr mit den überzeugendsten Gründen bestürmen durfte, um seine Schuld zu beweisen; dennoch hätte ich Allen zum Trotze diesem einen Blicke geglaubt. Er hatte mich nicht nur zum Fürsprecher des jungen Mannes gemacht, – nein, ich selbst war Walter Impach vom Wirbel bis zur Sohle.

Warum soll ich diese ungenügenden Worte brauchen, um Dir meinen Seelenzustand zu schildern, wenn ich mit vier Silben es besser sagen kann als mit einem Buche voll Beschreibungen: „Ich liebe ihn!“

Nicht wie von Engelsstimmen in die Lüfte getragen, erklingen in meinem Falle die drei beseligenden Worte – wie der erste erschütternde Donnerschall eines ausbrechenden Gewitters schlugen sie an mein Herz. Ich fiel wie todt zu Boden. Als ich aus meiner Ohnmacht mich erholt, saß Ernst zu meiner Seite, das Haupt gesenkt, mit beiden Händen eine der meinigen erwärmend.

„Arme Blume,“ sprach er, „über die schon früh der kalte Frost dieser elenden Welt sich ausbreitet! Wie gern hätte ich Dir diesen Auftritt erspart, der Dich gegen Menschen von der Art dieses Nichtswürdigen heiligen Abscheu fassen lassen muß! Doch tröste Dich! Ein solcher Wolf im Schafspelze ist auch mir in meiner reichen Erfahrung noch nicht begegnet.“

Liebe Amalie! nicht wahr, auch Du hättest zum ersten Male dem Bruder kein Wort geglaubt? Ich mußte aber sanft zu Werke gehen, wollte ich wirksam sprechen:

„Steigt Dir gar kein Zweifel an der Schuld des Malers auf? Seine Kunstliebe ist groß, doch kann er das Bild nicht bergen. Warum sollte er es nehmen, wenn er seine Augen nicht daran ergötzen darf?“

„Unschuldiges Täubchen! Nicht von Kunstliebe kann hier die Rede sein. Der Mensch hat als Agent irgend eines anderen Bösewichts um elenden Geldgewinn gehandelt. Er ist arm und kann also leicht durch irgend eine kolossale Summe verblendet worden sein.“

„Der alte Baron Gerhardt?“ wagte ich zu flüstern.

„Pfui, Hedwig! Dein Sinn verwirrt sich in diesem Labyrinth von Schlechtigkeit. Ein Edelmann von echter Race ist solcher Schandthat nicht fähig.“

„Was wirst Du thun?“ preßte mir meine Angst aus.

„Dem jungen Manne kurze Zeit zum Insichgehen gönnen. Wäre blos das Bild im Spiele, ich ließe es fahren und thäte in der Sache nichts mehr. Aber einen Elenden dieser Sorte ungefesselt, ungestraft im Lande umhergehen zu lassen, widerstrebt meinem Gerechtigkeitssinne. Versuche die ganze Geschichte zu vergessen, mein Herz! Auch ich werde mich bemühen, nicht mehr daran zu denken, bis ich muß.“

Meine Stirn küssend, verließ er mich.

Kaum war ich allein, so sprang ich auf; denn der Kampf in meinem Innern erlaubte mir keine Ruhe mehr. Die ganze Geschichte vergessen, Ernst? Das hieße aufhören zu sein, hieße sterben.

Ich überblickte die letzten Monate meines Lebens, das ungestörte Zusammensein mit dem Manne, an dem ich gefrevelt. Ja, gefrevelt, Amalie, denn wie konnte ich nur blind sein für die tausend Beweise seiner Liebe, die ich täglich, stündlich empfing und hinnahm, als gehörten sie zum Leben! Und nun, wie werde ich ohne sie bestehen können, wie seine Entfernung ertragen!

Ich sehe in der schrecklichen Entdeckung, die ich in meinem Herzen machte, die gerechte Strafe für die Arroganz unseres Standes, welchem es ebenso unmöglich däucht, eine seiner Töchter könne in einen bürgerlichen Jüngling sich verlieben wie in einen Schooßhund. Aber warum muß ich des ganzen Standes Vergehen sühnen? Warum muß ich im entsetzlichen, seligen Momente, wo ich sehe, daß ich ihn mit der ganzen Gewalt meiner Seele liebe, ihn zugleich geschmäht, gehöhnt, erniedrigt vor mir dastehen lassen?

Und ich kann nichts in meiner Ohnmacht. Ernst den Blick der Rechtfertigung beschreiben? Solche Sachen lassen sich nur fühlen und nicht sprechen. Alle Gründe sind gegen ihn. Warum hielt er die Copie geheim? Warum erblaßte er zum Tode, als er befragt wurde? Endlich warum reinigt er sich von seiner Schuld nur bei mir?

Amalie, ich rede im Wahnsinne. Er wird wohl wissen, warum das Alles geschah, und ich bin die Thörin, die ihm nicht vertraut, wie das Mädchen dem Manne vertrauen soll, den es liebt.

… Soeben wurde ich im Schreiben durch die Meldung gestört, Fürst Arsent harre im Salon, und da Ernst ausgegangen und Cousine Dorothea über den „schamlosen Heuchler“ den Kopf verloren hat, so mußte ich mich bequemen, ihn zu empfangen. Ich vermochte kaum ein Lächeln auf die Lippen zu rufen und die Worte fehlten mir, als die erste Begrüßung vorüber war. Arsent enthob mich der Mühe, das Gespräch zu führen. Er erzählte – ich verstand ihn kaum, nur hier und da aufgefangene Worte ließen mich den Sinn errathen –, er erzählte, wie sein Vater

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 661. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_661.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)