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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

noch heute die Spuren einer Malerei im Innern des Hauses erinnern sollen. Gegen Ende des nämlichen Jahrhunderts, als Khalil, Sultan von Aegypten, sich Palästinas bemächtigte, wurde die von der heiligen Helena gegründete Capelle niedergebrannt und die Spuren des Christenthums überhaupt nach Möglichkeit vertilgt. Da geschah nun das Wunder. Eine Gottheit, die nicht im Stande war, das Land gegen die Ungläubigen zu schützen und den Mord zahlloser Christen zu verhindern, hatte gleichwohl Engel zur Verfügung, deren Kraft hinreichte, das Haus durch die Luft über Meere und Berge an die kroatische Küste zu tragen.

Wenn im Versetzen aus einem muselmännischen Lande in ein christliches der Beweggrund erkannt wird, das Haus vor unreinen Berührungen zu schützen, so läßt sich doch in dem abermaligen Weiterschleppen desselben ein zureichender Grund nicht mehr erkennen. Die Freude der Männer und Weiber von Tersato dauerte nicht viel länger als drei Jahre. Denn am 10. December 1294 erschienen wieder die Engel und trugen es hinüber an die Küste des alten Picenum, der heutigen „Marken“, in einen Wald, der etwa vier Miglien von der damals, unter den Hohenstaufen, bedeutenden Stadt Recanati entfernt liegt. – Bei dieser Gelegenheit wiederholte sich das Wunder von Bethlehem. Da die Uebertragung in der Nacht vor sich ging, bemerkten Hirten in tiefer Finsterniß ein Licht. Sie gingen der Stelle zu und fanden ein von überirdischem Glanze erhelltes Haus.

Als es Tag wurde, holten die Hirten Leute herbei und nun wiederholten sich die Auftritte des Staunens und der Verwunderung von der „Ebene“ der Meerwalachen. Doch mag es auch hier nicht an Zweiflern gefehlt haben, denn die heilige Jungfrau hielt es für nöthig, abermals schlafenden Menschen zu erscheinen und ihnen die Echtheit des Gebäudes auseinanderzusetzen. Die beiden Schläfer waren der heilige Nicolaus von Tolentino, der damals als Augustinermönch zu Recanati lebte, und der andere ein Waldbruder, genannt Fra Paolo della Selva, der in einer Wildniß, Montorso (Bärenberg) geheißen, in seiner Einsiedelei hauste. Der Erfolg des heiligen Hauses war hier ein viel größerer als drüben in Kroatien, wozu wohl die vielen volkreichen Städte der Nachbarschaft beigetragen haben. Tag und Nacht war das Haus umlagert. Tausende schliefen auf dem Erdboden im Walde. Aus weiter Ferne soll man den Lärm der Heulenden, Betenden und Lobpreisenden gehört haben.

Aber der böse Feind schläft nicht. Er war, wie Horatius Tursellinus, Priester der Gesellschaft Jesu, im ersten Buche seiner Lauretanischen Geschichten uns schildert, eifersüchtig auf den geistigen Segen, der von dem Gnadenorte ausging, und trachtete in seiner Weise, die Frommen davon abzuhalten. – Da sich das Haus nunmehr in einem Walde befand, der einer reichen Dame von Recanati, Signora Laureta, gehörte, so war dem Teufel nichts bequemer, als Räuberbanden herzustellen, die den Pilgrimen, welche oft reiche Geschenke mit sich führten, auflauerten und sie plünderten. In Italien hatte ja der Teufel in solcher Angelegenheit leichtes Spiel. Wegen dieser Gefahren blieben die Pilgrime aus und das heilige Haus verlassen. Doch soll dies mit besonderer Bewilligung der Vorsehung geschehen sein, um Veranlassung zu einem neuen Wunder zu finden. Ein Weltkind möchte dagegen in solchem Hin- und Hergescheuchtwerden einen Mangel an Voraussicht von Seiten der himmlischen Beschützerin des Gebäudes sehen können. Diese Meinung fände weiteren Grund in den folgenden Schicksalen desselben.

Acht Monate nach der Ankunft im Walde flog das heilige Haus wieder fort, diesmal aber nicht weit, auf einen sonnigen Hügel, der sich gegen Recanati hinabsenkt. Besitzer dieses Hügels waren zwei Brüder aus der eben genannten Stadt, welche über die Erscheinung auf ihrem Grundstücke außerordentlich erfreut waren. Aber auch hier dauerte die Herrlichkeit nicht lange. Als die beiden Brüder, welche bisher in Eintracht gelebt hatten, die reichen Gaben sahen, welche herbeigetragen wurden, entstanden Zwistigkeiten zwischen ihnen, die bis zu lebensgefährlichen Drohungen ausarteten. Unter solchen Umständen flog das Haus wieder davon und zwar auf den Platz, auf dem es noch heute steht, Loretto bei Ancona. Es ist wieder ein Hügel mit schöner Aussicht über das nahe Meer. Trotz der Eroberung des Kirchenstaates durch die verfluchten Gewalthaber Italiens ist es dort geblieben. Die heilige Jungfrau, welche einst wegen des Streites zweier schäbigen Wälschen ihren Wohnort wechselte, hat heutzutage von ihrem Hügel aus unbewegt den Kanonendonner von Castel Fidardo mit angehört, dessen Schlachtfeld man von hier aus sieht. Die Zeit der Wunder ist für Italien vorüber.

Wie sieht nun das heilige Haus eigentlich aus? Es steht in einem großen Dome und verhält sich zu dessen Raum wie ein Altar zu einer Kirche. Ein weißes Marmorfutteral, mit Wundern plastischer Kunst bedeckt, liegt wie ein Futteral darüber; so erscheint es, vergleichsweise gesprochen, wie eine kleine in eine größere eingeschachtelte Büchse, welch’ letztere wiederum unter einem mächtigen Behälter steht. Wollen wir die Herrlichkeiten der Kunst, von denen meinen Lesern Manches aus Vasari bekannt sein wird, außer Acht lassen, so empfangen wir beim Eintreten durch das Marmorfutteral in den Backsteinraum als welchen sich das vielgereiste Gebäude ausweist, sofort den Eindruck des Blendwerkes. Es brennt eine Lampe darin, welche das Dunkel zu zerstreuen hat, das in einem so ummauerten Raume ohne künstliches Licht herrschen würde. Im Flimmerschein dieser Lampe fällt zu allernächst das Bildniß der heiligen Jungfrau in die Augen, vom Evangelist Lucas aus Cedernholz geschnitzt. Von diesem Bildniß sind die Umrisse unter Edelsteinen und Gold verborgen, so daß man sich über die künstlerische Begabung des Apostels kein Urtheil bilden kann. Ein Trödler muß in Ekstase gerathen. Die Anhäufung von Brillanten, Smaragden, Topasen, Hyacinthen, Sapphiren und Perlen ist beispiellos. Zu dieser Ausstellung von Steinen haben auch deutsche Fürsten, insbesondere der König Anton Clemens von Sachsen, hunderte von Granen Diamanten beigetragen. Das Bildniß gleißt und glitzert von den Farben, welche die Erdgeister den harten Steinen mitgetheilt haben. So blitzt es roth und grün, blau und veilchenfarben durch den Raum, vor dessen Thüre die Wächter mit gezogenem Säbel auf- und abschreiten.

„Kein heiligerer Ort ist auf dem Erdkreis, wo Titan in die Wogen fällt oder sich aus ihnen erbebt,“ sagt eine Inschrift. Der Mönch, ein Deutscher, reicht uns den heiligen Eßnapf, ein Geschirr aus Thon, zum Kuß – überall umgeben uns Wunder, und dennoch will sich kein Gefühl regen, welches uns mit Scheu durchdränge. Es kommt uns vor, als ob die Menge von Edelsteinen und Gold nur Menschen von niedrigem Sinne zu ergreifen vermöchte, wie etwa diejenigen, welche draußen in das breite Marmorgesims, welches unten unter dem Futterale herumläuft, nach und nach im Laufe der Jahrhunderte durch kniefälliges Herumrutschen um das Haus eine tiefe Furche eingegraben haben, und als ob die Gläubigkeit und Demuth des Priesters nicht echter seien, als der Schrank des Hauses, in welchem die heilige Jungfrau die Bibel und die Apostel die Hostie verwahrten, oder der Hausanzug derselben, welcher gezeigt wird. Unter den Gegenständen, welche das von der Ampel und den Edelsteinen durchblitzte Dunkel zu unterscheiden gestattet, ist mir auch ein Stein aufgefallen, der auf die Unfehlbarkeit der Nachfolger Petri kein gutes Licht wirft. Papst Pius der Fünfte hatte dem Bischof von Coimbra Johann Suarez durch ein Breve erlaubt, einen Stein aus der Mauer herausnehmen und behalten zu dürfen. Kaum befand er sich aber in seinem Besitze, als ihm die heilige Jungfrau befahl, denselben sofort zurückzuerstatten. Jetzt ist er durch ein Eisenplättchen in der Wand befestigt.

Ich konnte es nicht lange in der dicken Luft aushalten. Ich ging ungerührt wieder zur Thüre hinaus, in den Dom hinein, in welchem einige Mönche auf Tischen Ablaßzettel schrieben, und überschritt die Schwelle der großen Bronzethore. Auf Piazza della Madonna und auf der langen Straße, die von ihr bis zu dem Aussichtspunkte führt, von welchem aus man in die Felder und auf die Hügel von Castel Fidardo schaut, war freilich noch keine Erholung von den widerlichen Eindrücken zu finden. Da waren gepuderte Damen, die zum Fenster herausschauten, numerirte Bettler mit Blechtafeln und unnumerirte Wegelagerer, schwarze Säue, die sich herumtummelten, und ein Geruch, daß ich es begriffen hätte, wenn die Madonna mit ihrem Hause vor meinen Augen durch die hohen Lüfte davon geflogen wäre.

Mich ekelte dieses ganze Treiben an, und ich ging wieder hinaus in die helle Nacht. Man bemerkt in dem heutigen Leben wohl die treibende Kraft einer neuen Zeit, die sich dem Lichte zuwendet, aber die Gründe sehen noch todt aus. Noch immer läuft die Menschheit lieber den Ampeln in dunkeln Zauberkammern nach, als dem Glanze des großen Gestirns. Ich hatte mir vorgenommen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 637. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_637.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)