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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


den Hof gemacht hatte – von der Revolution. Dann ging es eine Weile recht toll in diesem Hause zu; die Parteien spielten hier ihr „Kämmerchenvermiethen“. Vom Abgange des einen Ministers bis zum Einzuge des andern, seines Nachfolgers, brauchten nicht einmal frische Kerzen auf die Kronleuchter gesteckt zu werden. Das Princip der Stabilität war einzig durch den Portier vertreten, bis Felix Schwarzenberg mit seinem Pallasch kam, diese militärisch-aristokratische neue Auflage des seligen oder vielmehr unseligen Thugut. Dann brach für das Haus wieder eine Zeit an, wo man nicht jeden Monat eine andere Equipage mit anderer Livrée durch das Portal fahren sah, wo die aus den Fugen gegangene Zeit wieder eingerenkt wurde, wo Schmerling und dann Rechberg und zuletzt Beust die Vertreter der auswärtigen Mächte in den Salons empfingen, und wenn man jetzt des Morgens gegen zehn Uhr die Löwelstraße passirt, so kann man den Grafen Andrassy in leichter Sommertoilette von dem Gärtchen, wo er an schönen Sommermorgen frühstückt, nach seinen Amtsgemächern gehen sehen, um dort den Vortrag seines Sectionschefs entgegen zu nehmen.

An den Abenden macht die Gräfin Julius Andrassy geb. Gräfin Kendesy an demselben Platze zwischen den beiden Marmorsäulen die Honneurs, an welchem der alte Fürst Metternich Tag für Tag nach dem Diner seinen Whist zu machen pflegte.

Die Gräfin ist eine Siebenbürgerin. In ihrem Aeußern ist deutsches Sachsenblut ganz unverkennbar. Sie hat den zarten rosigen Teint und das aschblonde Haar einer Niederdeutschen, jedoch die großen lebendigen geistvollen Augen und die feine graciöse Gestalt scheinen Product ihres Adoptivvaterlandes Ungarn zu sein. Sie spricht das Deutsche, wie alle Siebenbürgerinnen, sehr rein, wenn auch mit scharfem Accent, und in ihrem ganzen Wesen, in ihrem Sprechen, ihrem Lächeln, ihren Blicken, den weichen Linien ihrer Bewegungen liegt ein unendlicher Liebreiz, ein bezaubernder Ausdruck des echt Weiblichen ausgegossen. Das Alter jeder Frau richtet sich nach den Empfindungen, die von ihr auf Andere ausgehen; darnach ist die Gräfin in jenem unbestimmbaren Stadium ewiger Jugend. Ihr Liebreiz ist ein zwingendes Verbot, den Gothaer Kalender nicht zu befragen. Wenn sie einst fünfzig Jahre alt sein wird, wird man sie noch für fünfundzwanzig halten. Dabei ist sie die glücklichste Gattin, die ihren Mann anbetet, ihren Kindern die zärtlichste, sorgsamste Mutter, Eigenschaften, die nicht ausschließen, daß sie am Abende in ihrem Salon die vollendetste Weltdame sein kann. Um sie stehen die Damen in weitem Kreise, zunächst die des diplomatischen Corps. Da ist Madame de Banneville, die Gemahlin des französischen Botschafters, das Urbild einer Französin des zweiten Empire, klein, brunett, lebendig, und wie jede Persönlichkeit der Ausdruck einer Farbe, so ist sie auf Kirschroth angelegt. Da ist in der Nähe die Gräfin Dönhoff, eine Prinzessin Campo Reale aus Florenz, die Verehrerin der deutschen musikalischen Richtung Richard Wagner’s. Diese kleine, schöne, graziöse Frau mit dem blassen Antlitze und den großen Augen, mit der jungen geistigen Lebendigkeit des Südens im Ausdrucke und im Wesen ihrer Persönlichkeit, sie war es, die den deutschen Componisten einst in Paris mit der Fürstin Metternich bekannt gemacht und die Aufführung des „Tannhäuser“ in der großen Oper zu Paris in Folge einer Wette der Fürstin Metternich mit dem Kaiser Napoleon veranlaßt hatte. Sie hält das Banner Richard Wagner’s gegenüber romanischer Musik noch immer tapfer aufrecht, und aus dem geistvollen und schönen Haupte sprechen alle Eigenschaften dafür, daß sie im Vereine mit der Baronin von Schleinitz in Berlin die Sache des modernen Reformators zu einem triumphirenden Ende führen werde. Sie steht mit ihrer Sympathie für seine Werke nicht allein in diesem Salon; sie hat noch eine sehr mächtige Bundesgenossin in der Gemahlin des einflußreichsten Mannes in der ganzen österreichisch-ungarischen Monarchie, des ersten Oberhofmeisters des Kaisers, des Fürsten Constantin zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Die Fürstin ist die Tochter jener Fürstin Wittgenstein, die so lange Zeit ein inniges Freundschaftsverhältniß mit Liszt unterhalten hatte; sie war als Prinzessin Marie Wittgenstein der ideale Mittelpunkt des damaligen Weimarer Musenkreises, von Dichtern wie Geibel als Fee Abunda besungen, von Kaulbach als solche gemalt – nun eine hohe vornehme Gestalt, von jenem brunetten Ausdrucke, der auf erhöhte Nervosität deutet, dabei im Sprechen und Sichbewegen voll geistiger Superiorität und an diesem Abende in reiche gelbe und braunrothe Atlasgewänder gekleidet. Unter den preußischen Damen bemerkt man die schöne Gräfin Eugenie von Fürstenberg-Stammheim, vom Rheinlande, eine volle imponirende Erscheinung mit wahrhaft katholischen Augen; sie ist eine geborene Oesterreicherin, eine Tochter aus dem Hause Auersperg, und wenn sich confessionelle und nationale Unterschiede in Persönlichkeiten darstellen lassen, so möchte im Gegensatze hierzu eine Frau aus einer der ersten Bürgerfamilien Berlins, Frau Ravené, ein geborenes Fräulein voll Kusserow von der Ostsee, durch ihre lichten hellen Augen, ihr volles blondes Haar und ihre zarte Gestalt eine protestantische Erscheinung zu nennen sein.

Wo etwa achtzig Damen in zwei großen Salons, alte und junge, versammelt sind, da kann man wohl keine Kirchhofsstille erwarten – um so weniger, je lebhafter, voller und natürlicher sich das südliche Naturell giebt. Das lacht und spricht mit dem Munde, den Augen und Händen; das schwirrt und rauscht und glänzt in diesen Räumen, wie ein von der Abendsonne beglänzter Wasserfall, der sich über Felsentrümmer stürzt. Ein Herr in ungarischer Husarenuniform muß sich durch diese ellenlangen Schleppen, durch dieses Meer von Garnirungen einen Weg bahnen – und wehe ihm, wenn er das Unglück hätte, eine einzige dieser Falbeln oder Blumen mit seinen Sporenstiefeln zu knicken! Unauslöschlicher Haß würde ihm geschworen, viel mehr, als wenn er der feudal-föderalistischen Partei in Oesterreich den Daumen auf’s Auge drückte – er, der Leiter der Geschicke der österreichisch-ungarischen Monarchie, der Minister des kaiserlichen Hauses und der Auswärtigen Angelegenheiten, Graf Andrassy – dieser scharfgezeichnete Typus seines Landes mit der zähen Widerstandskraft in der geschmeidigen Gestalt, mit der geistigen Ueberlegenheit und der kalten Ruhe in dem so leidenschaftlich gezeichneten Gesichte. Er giebt der Gräfin einen Wink, und sie folgt ihm durch die Salons hindurch bis zum Ausgang derselben, bis an die Treppe, auf deren Absätzen rechts und links ungarische Husaren in lichtgelber, mit Silber verschnürter Livrée und hellgrauen Pelzmützen aufgestellt sind.

Durch ein Glockenzeichen war der Herr des Hauses verständigt worden, daß eine Persönlichkeit aus der kaiserlichen Familie oder aus einem souveränen Hause im Anzuge sei, und derartige vornehme Herrschaften müssen vom Hausherrn am Fuß der Treppe, von den Damen des Hauses auf dem obersten Podeste empfangen werden. Zwei Kammerdiener in schwarzem Anzuge, Schuhen und Strümpfen, mit silbernen Armleuchtern in der Hand, gehen voran bis zum Eingang in die Salons, und am Arme des Grafen oder der Gräfin betritt die betreffende Fürstlichkeit die Gesellschaftsräume. So muß an diesem Abende das gräfliche Paar sehr oft diesen Weg machen – der Besuch der deutschen Kaiserin in Wien markirt die Höhe der Weltausstellungssaison, und es ist so viel fürstlicher Besuch am kaiserlichen Hofe, daß es hier – um scherzhaft zu reden – auf eine Ausstellung von Fürstlichkeiten abgesehen zu sein scheint.

Die Gräfin hat ihren Gast mit Uniform oder Robe in ihren mit rothem Atlas decorirten Salon eingeführt. Ihr Gemahl ist im ersten Saale gleichsam auf Vorposten. Der stattliche Raum ist von dem männlichen Theile der Gesellschaft dicht gefüllt. An dieses Gemach stoßen zwar noch zwei größere Säle, ein länglicher Tanzsaal, der aber heute nicht seinem eigentlichen Zwecke zu dienen scheint, und weiter ein reich mit Blumen und dunkelrothen Sammetvorhängen drapirtes Gemach – aber diese Gemächer sind noch leer; die Gesellschaft der geladenen Herren drängt sich lieber im ersten Salon zusammen, durch diesen müssen auch die Damen ihren Eintritt nehmen – und der Reiz eines derartigen Abends liegt ja zumeist im Schauen. Unter den Herren ist die Uniform in Minderheit, nur die militärische ist vertreten; sonst herrscht die Uniform der civilisirten Erde, die weiße Binde und der schwarze Frack, wenn auch mit den verschiedenartigsten Kreuzen, Sternen und Bändern geschmückt und ausgezeichnet. Da sind sämmtliche Collegen Andrassy’s, das heißt die beiden Reichshälften gemeinsamen und die österreichischen Minister; bald drückt er Adolf Auersperg die Hand; bald tritt er dann zu der Gruppe Banhans, Glaser und Unger, begrüßt im Vorbeigehen einige Diplomaten und läßt sich später Mitglieder verschiedener Weltausstellungs-Commissionen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 631. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_631.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)