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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


mir, und that’s auch richtig, indem ich mich so fest vor ein Bild in der Ausstellung hinpflanzte, daß man mich kaum davon loszureißen vermochte. So weit gut! Doch nun verfällt Prinzessin Hedwig auf den Gedanken, mit Passion zu zeichnen. Was bleibt mir übrig, als ebenfalls mich der bildenden Kunst zu widmen? Denn eingehende Gespräche hierüber sind die einzigen, welche die Dame zu fesseln vermögen. Dazu sind nun Sie der Mann, Herr Impach; lehren Sie mich die Anfänge! Das Resultat ist mir gleichgültig, wenn ich nur einige technische Kunstgriffe wegbekomme.“

„Sie erweisen mir zu viel Ehre, wenn Sie glauben, ich könnte Ihnen die Kunst auf diese Art beibringen,“ sprach ich kühl.

„Mein Gott, man weiß ja, daß Sie es sind, welcher der Prinzessin diese Kunstmanie beigebracht; wenden Sie bei mir dieselben Mittel an, welche bei ihr so gute Resultate erzielten!“

„Wissen Sie, daß ich abreise?“

„Sie reisen? Wohl gar mit dem Herzog und Prinzessin Hedwig? Ha, ha, ha! Warum hat man mir das verschwiegen, warum überhaupt nicht davon gesprochen?“

Ich würdigte den Grafen keiner Antwort, und er mußte einsehen, daß ihm das Recht zu fragen hier nicht zukam. Gute Miene zum bösen Spiele machend, sprach er endlich:

„Sie müssen irgendwo mit ehernen Banden gefesselt sein, sonst getrauten Sie sich nicht in die Nähe einer Schönheit wie Prinzessin Hedwig. Sind Sie verheirathet?“

„Nein!“ antwortete ich, zum ersten Male aufblickend. Des Grafen Gesicht hatte einen wunderbar schadenfrohen, hämischen Ausdruck angenommen, einen Ausdruck, als ob er etwa sagen wollte: „Na warte nur, bis ich die Zügel in die Hand bekomme! Dann weise ich Dir schon die Thür!“

Da er diese Zeit aber doch nicht als schon angebrochen erachten konnte und ich im Augenblicke mich der größern Gunst erfreue, nahm er mit cameradschaftlicher Bewegung meine Hand, drückte sie heftig und wünschte mir eine recht glückliche und genußreiche Reise.

„Wiedersehen,“ schloß er, „werden wir uns viel eher, als Sie es glauben; denn sobald ich nur kann, eile ich auf Flügeln des Dampfes Euch Kunstfreunden nach. Hoffentlich hat sich die Prinzessin bis dahin satt gesehen und ist etwas, das meinem Geschmacke minder widerstrebt, en vogue.“

Noch einen Händedruck, und ich war, Gott sei Dank, allein.

Nein, Gottfried, ich schwöre Dir’s bei allen Göttern, dieser Mensch darf Hedwig nicht sein nennen; ihm schenkt sie sich nicht. Wohlverstanden, hütet er sich sehr, sich ihr zu zeigen, wie ich die Ehre hatte ihn kennen zu lernen. Ist sie gegenwärtig, so ist Graf Werdau immer nur in Ekstase.

Wie ich sie kenne, muß am Probestein ihres Geistes dieser Mensch als Knecht erkannt werden. Siehst Du, Gottfried, wüßte ich das nicht so sicher, wie ich an mein Dasein glaube, ich liebte sie nicht mit dieser Alles verzehrenden, vielleicht Alles vernichtenden Liebe. Ich habe deshalb nicht die geringste Angst vor diesem stürmischen Bewerber, und die Andern stellen es zu ungeschickt an, um jemals ihre Gunst zu gewinnen. Sie müßte denn eine Conventionsheirath eingehen, und dessen halte ich sie nicht fähig. Wenn aber doch! Ach, Gottfried, so lange die Reise dauert, wird wohl mein Glück noch aushalten. So lange wird mir sie Keiner rauben.

Ich höre einen Wagen in’s Thor rollen – sie ist’s, schnell muß ich auf den Vorplatz eilen, von wo ich ihre Gestalt ungesehen beobachten kann, ihre Stimme vielleicht höre, und wäre es auch nur ein sanftes: Gute Nacht, Ernst! Ich denke mir den Walter dazu. Noch nie hat sie meinen Namen ausgesprochen. Warum sollte sie auch? … Kannst Du Dir die Seligkeit vorstellen, mit ihr unter einem Dache zu schlafen?

Dein Walter.

9.
Florenz.

          Süße Amalie!

Ich habe eine erste, einzige, eine Zauberwoche in Dante’s und Raphael’s Vaterland, in der wunderholden Blumenstadt verlebt. Wie in einem goldenen Traum flogen die Stunden dahin, Alles nur Freude, nur Entzücken. Nie noch in meinem Leben war ich auch nur einen Moment so glücklich, wie ich es hier acht Tage lang sein durfte. Wäre mein Traum nicht vorüber und die Wirklichkeit einigermaßen wieder vorhanden, Du bekämst vielleicht noch lange keinen Brief. Wie ich in Abwesenheit meines Bruders so selig sein konnte, begreife ich heute noch nicht, denn daheim wurden mir die Stunden oft endlos lang, wenn er im Abgeordnetenhause saß, oder ihn sonstige Beschäftigungen von mir fern hielten. Aber Du weißt ja noch gar nicht, wie es kam, daß er mich auf so lange verließ. Laß Dir Alles erzählen.

Trotz Cousine Dorothea’s schrecklicher Umständlichkeit gelang es uns doch, am bestimmten Tage die Residenz zu verlassen. Ueber den Brenner und Mailand sollte es ohne viel Aufenhalt nach Turin gehen. Ernst hatte beschlossen, nur seinen Secretair, einen Kammerdiener und meine Fanny, die auch für Cousine Dorothea hinreicht, mitzunehmen. Im Waggon hatte Ernst seinem Secretair viele Briefe zu dictiren, wozu er sich denn mit diesem abseits setzte. So waren Herr Impach und ich auf Cousine Dorothea’s Gesellschaft angewiesen. Wenn Du sie nicht kenntest, die gute Cousine, es wäre mir rein unmöglich, Dir ihre Aufführung zu beschreiben. Herrn Impach’s ritterliche Artigkeit gegen eine alte Dame schreibt sie einzig und allein ihren Reizen zu; sie wirft ihm so viele zarte Blicke und vielbedeutende Worte hin, daß dieses jungen Mannes Zartgefühl dazu gehört, um seiner Heiterkeit Einhalt zu thun. Hätte er ein einziges Mal gelacht, ich müßte sicherlich mit lachen, aber meine Achtung für ihn hätte dann nicht zugenommen, wie sie es wirklich gethan.

Als wir uns vorbereiteten, die Nacht in der Eisenbahn zuzubringen, kam Ernst mit seiner rührenden Sorgfalt und hüllte mich in Pelze und Tücher, als wenn ich noch sein kleines Kind gewesen. Cousine Dorothea wollte, wie ich, von einem Bette nichts wissen, und nachdem sie sich’s behaglich gemacht, winkte sie den eben einsteigenden Maler, mit einer Miene, als verschenkte sie ein Königreich, an den Platz ihr zur Seite. Herr Impach nahm ihn mit einer Verbeugung an, die nur die gute Cousine für Ernst halten konnte. Als wir abfuhren, bückte ich mich nach meinem Schemel, der mir gar zu niedrig vorkam. Trotz dieses Mangels befanden sich meine Füße ohne mein Zuthun später in einer angenehmen, weil erhöheten Lage. Erst am nächsten Morgen entdeckte ich die mir bis dahin unerklärliche Ursache dieser Metamorphose: der junge Maler hatte seine Füße unbemerkt unter das Schemelchen geschoben und dasselbe dann die ganze Nacht hindurch in dieser erhöheten Stellung erhalten. Er hat gewiß kein Auge zuthun können, der Aermste! Wohl wissend, daß ich ihm dadurch den größten Gefallen erwies, schwieg ich über die ganze Geschichte.

Den folgenden Tag brachten wir in einem reizenden Thälchen zu, dessen Name mir entfallen. Ernst hatte Briefe erhalten, Cousinchen Dorothea mußte von der Anstrengung des vergangenen Tages ausruhen; mir blieb also nichts übrig, als vom Balcon des Bauernwirthshäuschens aus sehnsüchtig die Berge zu betrachten, welche im Kranze herumlagen und die ich um die Welt gern bestiegen hätte. Ich mag schließlich recht traurig ausgesehen haben, eine unverzeihliche Sünde, denn Sonnenschein und die rötlich-gelben Blätter einer noch nicht entlaubten Weinrebe umgaben mich an diesem herrlichen Wintertage.

Da trat Ernst zu mir: „Traurig, Schwesterchen? Bist wie der Vogel im Käfig, den der Sonnenschein hinauslockt in’s Freie. Aber sieh, Herz, ich kann Dir nicht helfen, denn ehe die Post abgeht, müssen gewisse Geschäfte erledigt sein. Warum willst Du nicht die Begleitung Herrn Impach’s annehmen, der mich eben frug, ob ich ihn nicht nöthig hätte, da er in diesem Falle eine kleine Excursion in die Berge machen wolle?“

„Darf ich, Ernst?“ war mein freudiger Ausruf, und wie ein Reh flog ich davon, um von Fanny Pelzjacke und Hut zu verlangen. Als ich wieder in’s Wohnzimmer trat, um von Ernst Abschied zu nehmen, stand Herr Impach schon, mit meinem Sonnenschirm und einem Plaid bewaffnet, an der Thür.

Wie Dir den wonnevollen Gang in die Berge schildern? Auf ungebahnten Wegen, über Steingeröll und kurze Grasstrecken allmählich höher steigend, erreichten wir den Kamm eines Berges. Auf des jungen Malers Geheiß hatte ich während der zwei Stunden langen Steigung mich nicht umgesehen. Jetzt lag ein Anblick vor mir, wie ich ihn noch niemals genossen.

Mein Bischen Kunststudium hat mich nicht allein das von Menschenhand geschaffene Bild genießen gelehrt, nein, auch von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 624. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_624.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)