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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


reicht einer der größten Berliner Concertsäle kaum aus. Immer von Neuem erleben wir hier das Wunder, daß eine der reinsten und strengsten Kunstformen, in denen je die tongestaltende Phantasie sich Genüge gethan, die den Hang nach oberflächlicher Zerstreuung und mühelosem Genuß unerbittlich abwehrt, aus der eng geschlossenen Gemeinschaft der Kenner hinaustritt unter die Massen und von ihnen als ersehnte Festgeberin und Freudenspenderin jubelnd begrüßt wird.

Auch als Componist hat sich unser Künstler hervorgethan, besonders durch sein stimmungsvolles Concert in ungarischer Weise. Die von ihm geleitete Hochschule der Musik erfreut sich des besten Fortganges und Gedeihens. Mit gerechtem Stolz darf sie namentlich auf ihre Leistungen im Gebiete des Violinspiels blicken. Bei Gelegenheit einer öffentlichen Prüfung ihrer Zöglinge zeigte sie sich im Besitz eines Streicherchors, der weit und breit seines Gleichen sucht. Sie gedenkt diese Aufführungen fortzusetzen und mit ihnen ihren regelmäßigen Beitrag zu dem Berliner Concertwesen zu liefern.

Wie Joachim, so ist auch seine um acht Jahre jüngere Gattin ein Kind des österreichischen Kaiserstaates. Sie erhielt ihre musikalische Ausbildung in Wien und trat dort als Amalie Weiß, nur die letzte Hälfte ihres Familiennamens „Schneeweiß“ auf die Bühne mit hinübernehmend, in den Personalverband des Kärnthnerthor-Theaters. Die damalige Direction der kaiserlichen Oper hatte keine glückliche Hand. Wie sie kaum den Mißgriff begangen, Pauline Lucca, in ihren Augen höchstens als lustige Singspielsoubrette verwendbar, in die Ferne ziehen zu lassen, so täuschte sie sich auch diesmal völlig über das Talent der jungen strebsamen Novize. Die Letztere blieb in das sogenannte Vertrautenfach gewiesen, das seinen Vertreterinnen die danklose Pflicht auferlegt, den weiblichen Hauptpersonen stets zur Seite zu sein, ihren Gefühlsergüssen das Stichwort zu geben und sie mit den herkömmlichen Beweisen der Theilnahme zu begleiten. Endlich müde, Jahr für Jahr die Liebesseufzer der Verdischen und Donizettischen Leonore anzuhören, oder als Mutter der Nachtwandlerin bei den gegen die Tochter geschleuderten Anklagen verzweiflungsvoll die Hände zu ringen, folgte unsere Sängerin einem Ruf an die hannoversche Hofbühne, wo sie bald Alles um sich her verdunkelte. Als mustergültige Darstellerin des Orpheus, der Iphigenie, des Fidelio und anderer hochidealer Gestalten wurde sie die vornehmste Stütze des classischen Repertoires. Daß eine solche Primadonna zu ihren warmen Verehrern auch Joachim zählte, war ebenso natürlich, wie daß ihr Ohr mit Entzücken an den vom echten Geist unserer großen deutschen Meister beseelten Klängen seiner Geige hing. Immer enger wurde das Band, das die Beiden umschlang; zuerst nur durch die Macht der Töne geknüpft, vereinigte es allmählich ihre Herzen zum festesten, innigsten Bund der Liebe. Seit ihrer Vermählung hat die Künstlerin der Bühne entsagt und ihren Beruf nur im Concertsaal geübt. Gewöhnlich erscheint sie hier an der Hand ihres Gatten oder im Verein mit Clara Schumann, der ihr geistesverwandten classischen Clavierspielerin. Wie sie zur Zeit der gefeierte Liebling des Berliner Publicums ist, so findet sie allenthalben die Bewunderung auf ihren Wegen. Regelmäßig gehört sie zu den Zierden der großen rheinischen Musikfeste. Einen charakteristischen Grundzug ihres Wesens bildet die Freude am Wohlthun. Nie pflegt sie sich zu versagen, wenn die Kunst zur Almosenbüchse greift, um für die Armen und Verlassenen die Gaben der Liebe zu heischen.

Kein edleres Muster konnte es für Amalie Joachim geben als die Weise des Künstlers, dessen Namen sie trägt. Seinem ununterbrochen auf sie einwirkenden Einfluß mag sie den besten Theil ihres Könnens verdanken. Ihre Stimme verbindet mit dem echten vollgewogenen Altklang den Umfang des Mezzosoprans. Blühend sinnlicher Reiz, strotzende Gesundheit, reinste Plastik sind die Eigenschaften, die den Ton durch sämmtliche Lagen und dynamischen Unterschiede begleiten. Durch ihren unangetasteten Adel thut sich namentlich die Tiefe hervor. Gänzlich frei ist sie von jener gewaltsamen Aufbauschung und Uebertreibung des Brustregisters, die den natürlichen Wuchs des Organs ungefähr ebenso entstellt wie die leidige jetzt endlich aus der Reihe der herrschenden Modethorheiten und Geschmacklosigkeiten verschwundene Crinoline den des Körpers. Und wie das Material, das die Sängerin zu ihren Gebilden verwendet, fleckenlosem Marmor gleicht, so entspricht solchem Charakter auch der Vortrag mit seiner keuschen Innerlichkeit, vornehmen Ruhe und ernsten Größe. Nie leiht er sich zum Spiel mit dem leeren Schein her. Nur das Gehaltvolle, in sich Gediegene zieht ihn an. Seine Aufgaben wählt er entweder aus unsern bis an den Rand gefüllten Schatzkammern des Oratoriums und der classischen Oper oder aus der unversiechlichen Frühlingspracht der Töne, die in der Lyrik Schubert’s, Mendelssohn’s, Schumann’s und ihrer Nachfolger sich entfaltet.

Otto Gumbrecht.




Die Ehezeitung.


Durch die Spalten der periodischen Presse in den Hafen der ehelichen Glückseligkeit einzulaufen, ist auch bei uns in Deutschland ein nicht mehr ungewöhnlicher Weg, bis zu einem eigenen journalistischen Organe jedoch, das sich ausschließlich der Beförderung dieses preiswürdigen Zweckes widmet, haben wir es noch nicht gebracht. Wohl aber darf sich England eines solchen ebenso nützlichen wie interessanten Blattes rühmen. Schon seit einigen Jahren sieht man an den Ecken der Londoner Straßen verwegene junge Burschen postirt, welche, so wie eine nicht durchaus matronenhaft erscheinende Dame des Weges gegangen kommt, diese mit der Frage begrüßen: „Brauchen Sie vielleicht einen Gemahl, Miß? ’s kostet blos drei Pence,“ und der von der wundersamen Anrede Ueberraschten eine Zeitungsnummer vor Augen halten. Wirft sie unwillkürlich einen Blick auf das ihr dargebotene Papier, so liest sie den frappanten Titel: „Organ zur Herbeiführung des häuslichen Glückes, allen den Tausenden heirathsfähiger Männer und Weiber von allen Altern und Ständen gewidmet, die, Dank der kalten Förmlichkeiten der Gesellschaft und den strengen Regeln des Anstandes, weder in der Stadt noch auf dem Lande zusammen kommen können und doch sich gegenseitig glücklich zu machen berufen sind.“ Da das sonderbare Blatt, welches bis jetzt jedenfalls das einzige seiner Gattung geblieben ist, wie schon bemerkt, bereits seit mehreren Jahren besteht, so läßt sich vermuthen, daß der kühne Unternehmer mit der Speculation seine Rechnung gefunden hat. Nach den Angaben der Redaction sind durch ihre Vermittlung bereits mehr als achttausend Ehestandscandidaten und -Candidatinnen zu dem erstrebten Ziele gelangt. Ob damit zugleich zu häuslichem Glücke – das bleibt freilich unerwähnt.

Einige Auszüge aus dem merkwürdigen Producte englischer Betriebsamkeit sind dem Leser wohl nicht unwillkommen; sagt doch der Herausgeber in seinem Programme mit Recht, daß die Institution der Ehe ein Gegenstand des allgemeinen Interesses für die gesammte Menschheit sei.

Wir durchblättern eines der letzten Monatshefte. Da finden wir denn, die wiederholten Inserate ungerechnet, fünfhundertundachtundvierzig Heirathsgesuche abgedruckt; zweihundertvierundneunzig gehen von Candidatinnen und zweihundertvierundfünfzig von Candidaten aus. Das weibliche Geschlecht scheint somit das heirathslustigere und unternehmendere zu sein. Zweihundertunddreiunddreißig der männersuchenden Damen haben zuvor noch nicht die Rosenketten der Ehe getragen, obschon sie den verschiedensten Perioden der Reise angehören, den hoffnungsreichen siebenzehn wie den kritischen vierzig Jahren. Acht haben die Zwanzig noch nicht erreicht, vierzehn sie eben überschritten; dreiundsechszig sahen erst fünfundzwanzig Sommer, einundsechszig zählen von sechsundzwanzig bis dreißig, und sechszig von einunddreißig bis zu neununddreißig Jahren, während neunzehn ihre Vierzig bekennen und acht sogar den Muth haben, sich für noch älter als vierzig anzugeben. Blond verhält sich dabei zu Brünett wie drei zu zwei; als schwarzhaarig schildert sich blos eine einzige der Inserentinnen.

Natürlich ist nicht der Mangel äußerer und innerer Reize daran schuld, daß diese armen Damen noch des Schutzes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 613. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_613.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)