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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


denn? – Ist dies ein erträglicher Seelenzustand, Amalie, wenn man so gar nicht weiß, was man will? Sollte ich altjüngferliche Anlagen haben? Das geht nicht an, denn der Gesellschaft, in der wir leben, müssen wir huldigen, und diese hat die unverheirathete alte Jungfer ein- für allemal dem Lächerlichen preisgegeben. Nun, vielleicht bringe ich andere Ansichten von der Reise mit nach Hause!

Sobald Ernst noch einige Geschäfte besorgt hat, reisen wir. Das wird Anfangs künftiger Woche sein. Einstweilen ist auch das Bild – ein Meisterwerk, Amalie! – beendet. Erwarte also den nächsten Brief mit italienischem Stempel.

Deine Hedwig.




7.

Seinem Schicksale, lieber Gottfried, entrinnt Keiner. Der feste Entschluß, zu fliehen, mir die wahnsinnigsten Gedanken für immer fern zu halten, hatte mir eingegeben, sobald wie immer thunlich zu Dir zu eilen. Nun hast Du mich in Wirklichkeit bald an Deiner Seite! Doch nicht der Versuchung entrinnend, nicht den Stachel bekämpfend, der mein Inneres stets von Neuem zerfleischt, nein – an der Seite der Versuchung selbst!

Ich hatte meinen ganzen Muth zusammengenommen, war sicher, diesmal nicht zu unterliegen, sondern, koste es, was es wolle, mich loszureißen. Um nicht durch ein „Bleiben Sie!“ die Mauern meines festen Entschlusses erschüttern zu lassen, hatte ich nichts von meinem Vorhaben durchblicken lassen, sogar der Annahme, ich würde den Winter in dieser Residenz zubringen, nicht widersprochen. Wenn eine muthige männliche Handlung die Belohnung in sich selbst trägt, so mußte mir die Abreise erleichtert werden – tausend Umstände konnten dazu helfen! Da mußte gerade der einzige unerhörte Fall sich ereignen, der alle Vorsätze zerstiebte! – Doch Du wirst aus meinen Worten nicht klug, ich muß Dich erst aufklären. Der Herzog hat eine italienische Reise mit seiner Schwester beschlossen, und von allen Sterblichen mußten sie gerade mich zu ihrem Begleiter auswählen! Kann ich anders als an ein Fatum glauben, dem nicht mehr zu entrinnen ist, was auch verhängt sei? Wenn schon gute Ausreden mein Hirn durchkreuzten, so verflog Alles wie Wasserstaub in den Wind, als sie vor mich hintrat, mir ihr sanftes Händchen hinhielt und meine Stimme, hörst Du, meine Stimme nachahmend, Worte sprach, die ich ihr vielleicht vor drei Wochen gesagt! Auch Du hättest nicht widerstanden – Du schon gar nicht.

Als ich wieder allein war und mit ihr aller blendende Sonnenglanz aus dem Atelier schwand – da trat die Wirklichkeit so recht unbescheiden in all’ ihrer häßlichen Blöße vor mich hin. Was wird aus mir werden, wenn ich nun täglich, stündlich ihre Nähe ertragen muß, die jetzt schon auf mich wirkt, wie es kein berauschendes Vaterlandslied, keine italienische Nacht auf dem Meere jemals konnten? Vergehen wirst du, wirst ein unwürdiges Geschöpf werden, dessen höchstes Ziel ist, ihr die Schleppe nachtragen zu dürfen. Schöner Lebenszweck eines hochstrebenden Künstlers! – Und in welcher Eigenschaft reisest du denn eigentlich? Welch angenehme Empfindung, wenn auf der Fremdenliste eingetragen wird: „Herzog und Prinzessin Waldemberg mit Gefolge“.

Das Gefolge, edler Walter, bildest du an der Spitze einer Waggonladung von Kammerdienern und -Jungfern. Doch halt! Hier thue ich dem edlen Menschen Unrecht, der nur lieb und gut mit mir schwachsinnigem Kopfe gewesen ist. Nimmt mich der Herzog mit sich, so thut er es auch aufs eine Weise, die mein Ehrgefühl nicht verletzen kann; darauf darf ich zählen. Und wenn Alles gestanden sein soll, Gottfried, ich würde auch mit dem Gefolge zufrieden sein, wenn es die Bedingung wäre, durch die mir in ihrer Nähe zu verweilen vergönnt wäre.

Schwachsinnig, sophistisch, abergläubisch bin ich geworden, Gottfried – und Alles durch diese unselige Liebe! Sage ich mir nicht hundertmal des Tags: „Es hat so sollen sein!“ Eines Dichters Worte, die ich noch dazu umkehren muß, um sie zur Achse zu machen, um die sich mein Leben dreht. Ich habe gekämpft und bin als Besiegter aus allen Schlachten heimgekehrt. Möge nun kommen, was da will! Ich lasse mein Schicksal walten! Vernichtet werde ich durch meine Liebe so wie so, also sei das, was man mir bietet, noch mit voller Freude genossen! Après moi le déluge!

Wenn sie mich nur nicht so holdselig anblickte, manchmal fragend, als sei ich im Stande, ihr des Lebens Räthsel zu lösen, manchmal wehmüthig, als wolle sie mich zum Vertrauten ihrer geheimsten Gedanken machen. Von dem Sturm, den diese Blicke in meinem Herzen erregen (gebe der Himmel, daß niemals ein Strahl herausdringt und ihre Ruhe stört!) – von diesem Sturm hat sie auch nicht die leiseste Ahnung. Und wir sind so viel beisammen. Gottfried, wie hielt ich’s nur bis zu diesem Tage aus? Aber ihre natürliche Hoheit schüchtert mich so ein. Himmel und Erde könnten vergehen und mit ihr Alles, was uns scheidet, ich wagte nicht den Mund zu öffnen.

Sie lernt jetzt zeichnen von mir – ach, die seligen Stunden, in denen ich ihr lehren darf, was mir neben ihr das Liebste. Und wie sie mich darüber ausschilt, daß ich ihre Arbeit nie tadle, Alles schön finde, was sie mit den Feenfingerchen auf’s Papier kritzelt. Wenn ich ihr zeige, wie sie etwas machen soll, nimmt sie mir ungeduldig den Stift aus der Hand, um zu sehen, ob sie’s schon kann. Dabei berührt freilich manchmal ihre Hand die meine, Gottfried! – Ach Gott, was wird noch aus mir?

Morgen Abend reisen wir; ich wurde hier im Palaste einquartiert, um bequemer packen zu können. Ich helfe die letzten Anordnungen treffen. Der Herzog, eine aufrichtige Natur, hat mich nach und nach so liebgewonnen, daß ich sonst nur dem Geschicke dankbar sein könnte, das mir einen so edlen Menschen auf dem Lebenswege begegnen ließ. Seine Freude über das Bild, welches ich seit einigen Tagen beendet, kann ich Dir gar nicht beschreiben. Es ist mir besser gelungen, als ich erwarten durfte, und wird allgemein bewundert. Denke Dir mein Glück über den Platz, der ihm angewiesen wurde: In Hedwig’s Boudoir hängt es zwischen Blattpflanzen und Blumen, und gerade über der Stelle, an der sie meistens sitzt. Der Herzog hat den Ort ausgesucht, weil er auf diese Art, gegenüber Original und Bild, am besten vergleichen kann.

Zum Danke hat er mir die Hand gedrückt und gesprochen: „Sie haben meiner Schwester Wesen verstanden und empfunden. Niemals kann ich Ihnen das genug danken.“

Neben dem Gefühle von Verehrung, das ich für diesen Mann hege, steigen doch auch manchmal Zweifel auf, die ich nur beruhige, wenn ich denke, daß Erziehung und Umgebung den Menschen gänzlich modeln, und er nur das für natürlich hält, was ihm sein Leben lang als solches gezeigt wurde. Ich fühle mich nämlich geneigt, ihn zu fragen: „Haben Sie denn eigentlich, Herr Herzog, keinen Augenblick daran gedacht, wie gefährlich es werden kann, zwei junge Leute, noch dazu durch die Kupplerin Kunst zusammengeführt, so lange bei einander zu lassen? Und wenn im stolzen Vertrauen auf die Macht Ihres Blutes, das nicht fähig ist, zu thun, was ihm nicht von Jugend auf gelehrt wurde, Sie mit Recht von Ihrer Schwester nichts befürchten, haben Sie sich’s überlegt, daß auf der andern Seite keine solchen Schranken bestehen, daß da ein freies Herz schlägt, das nichts von Ungleichheit und Rangunterschied weiß, und dem selbst der Eigenthümer nicht versagen darf, da in helles Feuer aufzulodern, wo sprühende Funken hineinflogen?“

Er achtet mich eben zu sehr, um von mir zu glauben, ich könnte anders als an des Thrones Stufen zu einer Waldemberg aufsehen. – Er hat vielleicht Recht, und ich bin der Narr, aber nun ich’s einmal bin, soll mir auch kein Mensch mein Glück vergällen. Hesperien soll der Schauplatz sein, wo ich Tags über in ihrer Gegenwart Leben und Glück einathmen will, um Nachts dann Mond und Sternen und Dir, einziger Gottfried, von ihr vorzuschwärmen. Ist dann auch mein Untergang nahe, so bin ich doch glücklich gewesen. Darum werde was da will, ich wage es!

Dein Walter.

(Fortsetzung folgt.)



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_610.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)