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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Das Liebespaar entzog sich demselben durch eine schleunige Flucht nach Paris und ging von da, nachdem der Herzog unterdessen volljährig geworden war und die Regierung angetreten hatte, nach Braunschweig. Von dieser sogenannten Regierung, die auch nicht lange dauerte, obwohl noch immer viel zu lange für das arme schwer geprüfte Land, und die mit einer schimpflichen Absetzung und Vertreibung endigte, brauche ich hier wohl nicht weiter zu reden.

Miß Colville wurde bald nach ihrer Ankunft in Braunschweig zu einer Gräfin Colmar erhoben, bezog das Schloß Wendessen und hielt dort einen kleinen Hofstaat. Dort gebar sie ihm auch eine Tochter, die ebengenannte Gräfin Civry. Das Kind, wie man dies später aus den öffentlichen Gerichtsverhandlungen erfuhr, wurde von dem Hofprediger Westphal getauft, noch dazu aus dem großen goldenen Familientaufbecken des herzoglichen Hauses, und der Bruder des Herzogs, der noch jetzt regierende Herzog Wilhelm, stand bei ihr Gevatter. Mit der Liebe des leichtsinnigen und flatterhaften Herzogs, der fast nur mit Schauspielerinnen und Tänzerinnen umging, war es indeß bald vorbei. Die Mutter ging mit ihrer Tochter und einer sehr anständigen Rente, man sagt von zehntausend Thalern, wieder nach England zurück, führte aber dort ein sehr unstetes Leben. Die Tochter schien gleichfalls viel von dem Naturell des Vaters geerbt zu haben, denn ihre Erziehung machte Allen viel zu schaffen. Einmal soll sie sogar heimlich aus dem Institut entwichen sein, noch dazu in Matrosenkeidung, um sich nach Amerika einzuschiffen. Später zog sie mit ihrer Mutter nach Paris, wo sie katholisch wurde und den Grafen Civry heirathete, einen Cavalier ohne Vermögen, wie es deren in Paris so viele giebt – Alles gegen den ausdrücklichen Willen des Herzogs. Dieser entzog darauf der Mutter die Rente, und nun wurde der Schwiegersohn klagbar. Das scandalsüchtige Pariser Publicum freute sich natürlich sehr auf diesen Proceß, der viel pikante Einzelheiten versprach und auch brachte.

An romantischen Gegensätzen fehlte es wenigstens nicht dabei: Auf der einen Seite der Diamantenherzog in seinem rosenrothen, goldvergitterten Palais, von Lakaien und Dienern und einem asiatischen Luxus umgeben, in vierspänniger über und über versilberter Carosse im Bois de Boulogne spazierenfahrend, und das üppige Pariser Leben in seiner ganzen Fülle genießend – und auf der andern seine Tochter, mit ihrer alternden und längst verblühten Mutter, ihrem mittellosen Gatten und sechs oder gar acht Kindern, alle zusammen in einer ärmlichen Miethswohnung untergebracht, die noch dazu – war es Zufall oder Absicht? – ganz in der Nähe der herzoglichen Villa lag, und dabei kaum das nothdürftige Brod im Hause. Man erzählte, daß die Kaiserin, als sie von der traurigen Lage der unglücklichen Familie gehört, einen Kammerherrn hingeschickt habe mit einer beträchtlichen Geldsumme, um doch wenigstens der äußersten Noth vorzubeugen. Andere behaupten freilich auch wieder, es laufe ein Bischen Komödie mit unter, um die öffentliche Meinung zu bestechen. Ein Dramatiker wollte sogar für die Boulevardtheater ein Stück daraus machen, das gewiß gezogen hätte. Dazu kam es übrigens nicht. Der Herzog, dem an der öffentlichen Meinung, um die er sich in seinem ganzen Leben nicht viel bekümmert hatte, auch hier wenig gelegen war, zeigte sich sehr hart und unerbittlich. Endlich, nachdem man genugsam hin und her processirt und der Klatschsucht reichliche Nahrung gegeben hatte, mußte er doch nachgeben und einen Vergleich eingehen, der seiner Familie, was die Kläger doch jedenfalls waren, eine einigermaßen anständige Existenz sicherte. Ob und wie dieselben in seinem Testamente bedacht worden sind, weiß man noch nicht; interessant wäre es aber jedenfalls, dies zu erfahren.

Der Herzog, der durch diesen Proceß den letzten Rest seines guten Rufes eingebüßt hatte, ging (natürlich mit seinen Diamanten) auf Reisen, wie er gewöhnlich zu thun pflegte, wenn er durch irgend einen Scandal die allgemeine Aufmerksamkeit allzusehr auf sich gezogen hatte. Dann wurde er vergessen und man sprach nicht mehr von ihm.

Ueberhaupt hatte er in den letzten Jahren vor dem Sturz des Kaiserreichs so ziemlich ausgewirthschaftet; man sah ihn wohl noch umherkutschiren mit zwei knirpsartigen Dienern hinter sich, die, wenn sie sich unbemerkt glaubten, Fratzen und Gesichter schnitten; er erschien auch wohl noch in seiner Loge in der Großen oder in der Italienischen Oper, auch mit der obligaten decolletirten Begleitung, und gleichfalls noch dann und wann auf den Bällen der demi-monde, wo ihn die Hauptheldinnen mit Du und mit gros duc anredeten und sich an seinen Arm hängten, um ihm einen Brillantring abzuschwatzen, den er ihnen dann mit widrigem Lächeln unter die Augen hielt, sich jedoch wohl hütete, ihn abzuziehen – aber er war alt und abgenutzt geworden, obwohl er sich noch immer ebenso geckenhaft kleidete, wie vor zwanzig und dreißig Jahren, geschminkt und angemalt, mit falschen Zähnen, rabenschwarz gefärbtem Bart und der sprüchwörtlich gewordenen schwarzseidenen Lockenperrücke … doch genug des kläglichen Bildes! Wir hatten, wenn wir ihm zufällig begegneten, kaum mehr ein mitleidiges Lächeln für ihn, wohl aber überkam uns das schmerzliche Gefühl des tiefverletzten Nationalstolzes angesichts einer solchen Verkommenheit.

Beim Ausbruch des Krieges 1870 rüstete er sich gleichfalls, Paris zu verlassen, bevor ihn ein directer Ausweisungsbefehl treffe, der wohl nicht ausgeblieben wäre. Aber auch bei dieser Gelegenheit spielte er eine kümmerliche Rolle, oder richtiger gar keine. Was lag ihm bei seinen großen Reichthümern näher, als den armen ausgewiesenen Deutschen, die noch Wochen lang in den Straßen von Paris elend und halbverhungert umherzogen, thatkräftig zu helfen und ihnen die Mittel zur Rückkehr in ihre Heimath zu verschaffen? Er hätte sich damit einen Gotteslohn verdienen und manchen Flecken aus seiner Vergangenheit auslöschen können. Und es waren doch seine Landsleute, wie er selbst nie aufgehört hatte, sich als einen souverainen deutschen Fürsten zu betrachten, der sein Anrecht auf die Krone keineswegs verloren. Aber nichts von allem Dem. Er war nur ängstlich besorgt, seine eigenen Schätze zu retten. Vielleicht hatte er ein instinctives Vorgefühl von den gewaltigen Erfolgen der deutschen Waffen. Er ließ Tag und Nacht packen; was nicht niet- und nagelfest war, wurde mitgenommen und in die Schweiz geschickt, die er zu seinem Aufenthaltsorte gewählt hatte, denn weder in Belgien noch in Deutschland schien es ihm recht geheuer. Seine Diamanten trug er selbst in der bekannten rothen Maroquintasche, mit der man ihn schon früher so oft hatte reisen sehen. So kam er in Genf an, froh, seine Person und seine Schätze in Sicherheit zu wissen, aber auch hier legte er während des Krieges gleichgültig und unthätig die Hände in den Schooß und schien sich um nichts zu bekümmern. Mir wenigstens ist nicht bekannt geworden, daß er sich irgendwie an der großen patriotischen Bewegung, die durch ganz Deutschland zog, wenn auch nur mit einem seinem Range und Reichthum entsprechenden Beitrage betheiligt hätte, und sein Name müßte in erster Reihe stehen; und doch kämpften seine eigenen Landeskinder den schrecklichen Kampf mit, und mancher ehrliche, gute Braunschweiger mag sein Leben auf dem Schlachtfelde gelassen haben, wie einst – ich möchte es hier noch einmal wiederholen – seine glorreichen Väter.[1]

Als nach dem Frieden die Commune in Paris ihr Unwesen trieb, hatte sie es auch auf das rosenrothe Palais des Exherzogs abgesehen und dasselbe als Nationaleigenthum erklärt. Eine Art General logirte auch während einiger Wochen darin und wollte es dann zu einem Hospital für Verwundete einrichten, aber das Einrücken der Versailler ließ dieses Project nicht zur Ausführung kommen.

Später, als Ruhe und Ordnung wiederhergestellt waren, kehrte auch der Herzog nach Paris zurück, aber nur zu flüchtigem Aufenthalt, der hauptsächlich zum Zweck hatte, seine vielerwähnte phantastische Villa und seine sonstigen Pariser Liegenschaften zu veräußern. Da ihm dies nicht glückte und er auch sonst an dem jetzigen Leben in Paris, was sehr begreiflich war, keinen Geschmack fand, ging er wieder nach Genf, wo er sich definitiv niederließ. Dort ist er denn auch gestorben und hat namentlich durch sein Testament noch einmal die Aufmerksamkeit des großen Publicums auf sich gezogen. Ob er über sein bedeutendes, auf wenigstens fünfundzwanzig Millionen Franken geschätztes Vermögen nicht edler und besser hätte verfügen können, so zum Beispiel zu gemeinnützigen, volksthümlichen Stiftungen in seinem Vaterlande, wollen wir hier ununtersucht lassen; hoffentlich wird aber die Stadt Genf einen nobleren Gebrauch davon machen, als es der Erblasser bei seinen Lebzeiten gethan. Daß der

  1. Auch des edlen und hochherzigen Prinzen Leopold von Braunschweig dürfen wir hier wohl gedenken, der im Jahre 1785 zu Frankfurt in den Fluthen der Oder, als ein Opfer seiner Menschenliebe, den Tod fand.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 605. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_605.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)