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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Frack, mit weißer Cravatte und lichtgelben Handschuhen auf meinem Platze in der ersten Rangloge. Die Vorstellung hatte bereits begonnen, als sich die Thür der einen Prosceniumsloge sehr lärmend öffnete und ein Herr mit einer Dame hereintrat, die Beide sofort alle Augen, d. h. alle Operngläser, auf sich zogen. Die Dame war eine schöne Blondine in reicher rother Sammttoilette, aber sehr stark decolletirt, so stark, daß es selbst für Paris auffiel, und Hals, Busen und Arme mit den kostbarsten Diamanten geschmückt. Ein Flimmern und Blitzen wie Regenbogenstrahlen bei jeder Bewegung. Eine Königin hätte nicht prächtiger und imposanter aussehen können. Es war auch eine Königin, aber eine aus der demi-monde, eine Finette, Rosette oder Lisette vom jardin Mabille oder vom château des fleurs, wie ich von einem Nachbar erfuhr. Die Erscheinung ihres Begleiters war fast noch auffallender und hatte etwas frappant Aehnliches mit einem Schauspieler oder Balletmeister. Hochroth geschminkt, eine schwarzseidene Lockenperrücke, hellgrüne Handschuhe und die ganze übrige Toilette dem entsprechend. Dabei alle Finger mit funkelnden Brillantringen besteckt, auf der Brust einen fast handgroßen Brillantstern und die Hemden- und Westenknöpfe gleichfalls aus kostbaren Edelsteinen. Ein ganzer Juwelierladen. Auch hier half mir mein Nachbar als guter Cicerone: Es war der Herzog Karl von Braunschweig.

So sah er also aus, der Mann, dessen Vater bei Quatrebras und dessen Großvater bei Auerstädt den Heldentod für das Vaterland gestorben waren, und von dessen Vorfahren noch sonst so mancher ruhmvoll in den Blättern der deutschen Geschichte verzeichnet stand – ein Abenteurer und Komödiant, als Narr herausgeputzt und an der Seite einer Courtisane, die morgen mit der Sittenpolizei in Collision kommen konnte, wenn sie auf irgend einem öffentlichen Balle im Cancan die Beine etwas allzu hoch fliegen ließ. Es klingt hart, aber es ist wahrlich mit keiner Silbe übertrieben. Die Damen in den Logen schauten nur schüchtern und verlegen nach dem zweideutigen Paare hinüber; die Herren im Parquet und Parterre lorgnettirten dagegen die Donna sehr ungenirt, und der Herzog ließ sich von einem goldgestickten, gepuderten Lakaien ein Opernglas reichen, groß und lang wie ein Doppelfernrohr, das er auf die Logenbrüstung setzte und, unbekümmert um das, was auf der Bühne vorging, damit das gesammte Publicum zu mustern begann. Dabei schien er aber zugleich ängstlich jede Bewegung seiner Begleiterin zu überwachen, denn die Diamanten, die sie trug, waren die seinigen, und man behauptete, daß er bei solchen Gelegenheiten seiner jedesmaligen Dame (und er wechselte sehr oft mit ihnen) schon im Vorzimmer seiner Loge, gleich nach Beendigung der Vorstellung, den Schmuck wieder abnahm und ihn in die Taschen steckte, um sicher zu sein, daß ihm nichts gestohlen würde. Dennoch soll ihm einst eine solche „Dame“ einen kostbaren Solitaire entwendet haben, und es soll ihm, trotz aller Nachforschungen, nicht gelungen sein, wieder zu seinem Eigenthum zu kommen. „Er hat den Stein eben auf dieselbe Weise verloren, wie er in den Besitz desselben gelangt war,“ sagte man lachend im Publicum und gönnte ihm gern den kleinen Verlust. Aber es sollte ihm noch Schlimmeres passiren.

Eines Morgens, es war zu Anfang der sechziger Jahre, ging auf einmal durch ganz Paris das Gerücht von einem großartigen Diamantendiebstahl in der herzoglichen Villa. Der Herzog fand, als er spät in der Nacht nach Hause kam, sein Schlafzimmer offen und das Schatzgewölbe erbrochen; eine Menge der kostbarsten Steine fehlten, und kleinere Diamanten lagen überall auf dem Boden verstreut. Sein Leibkammerdiener, ein Engländer, Namens Shaw, der erst vor wenig Wochen in seine Dienste getreten war, sich aber schnell das ganz besondere Vertrauen seines Herrn erworben hatte, war verschwunden, und auf diesen fiel natürlich sofort der Verdacht. Man kann sich das Entsetzen und die Wuth Seiner Hoheit leicht vorstellen; im ersten Moment wollte er die ganze übrige Dienerschaft über die Klinge springen lassen, aber er besann sich doch eines Besseren und fuhr schleunigst zum Polizeipräfecten Piétri, den er aus dem Bette holte. Dieser ließ sogleich den Telegraphen nach allen Richtungen der Windrose spielen; Shaw hatte freilich einen Vorsprung von sechs oder acht Stunden, aber er wurde trotzdem in Hâvre eingeholt und arretirt, und zwar gerade in dem Augenblick, wo er sich an Bord eines amerikanischen Dampfers begeben wollte. Die Diamanten, im Werth von mehr als einer Million, hatte er noch sämmtlich in der Tasche. Er wurde nach Paris zurückgebracht – der Herzog war ihm sogar, in seiner Herzensangst um die gestohlenen Lieblinge, bis Rouen entgegengereist – und später von den Assisen zu fünfzehnjähriger Zwangsarbeit in Cayenne verurtheilt; eine Strafe, die man allgemein zu hart fand.[1] Einzelne Pariser Journale besprachen auch bei dieser Gelegenheit wieder den befremdlichen Ursprung der Diamanten, das heißt das Besitzrecht des Herzogs auf dieselben, und verlangten, die kaiserliche Regierung solle die Edelsteine dem braunschweigischen Staatsschatz wieder zustellen lassen, was natürlich nicht geschah; denn ein solcher Schritt hätte zu allen möglichen diplomatischen und politischen Verwickelungen Veranlassung geben können.

Der Herzog sah sich also wieder im Besitz seiner Steine, von denen er seit jener Zeit die kostbarsten stets in einem Ledergürtel auf dem bloßen Körper getragen haben … soll, will ich doch vorsichtshalber hinzusetzen, denn eine andere Garantie als das allgemeine Gerücht habe ich nicht dafür. Wenn es aber wahr ist, so war Seine Hoheit, wenn Hochdieselben über die Boulevards spazierten oder kutschirten, immer gegen zwei Millionen Franken und mehr werth. –

In den Tuilerien war der Herzog kein gerngesehener Gast, obwohl ihm der Kaiser Napoleon persönlich sehr freundlich gesinnt war. Diese Freundschaft datirte von London her, wo der Herzog gleichfalls ein Hôtel besaß, das er namentlich in den Jahren 1845 bis 1847 häufig bewohnte. Um jene Zeit hielt sich bekanntlich auch der Prinz Louis Napoleon nach seiner Flucht aus Ham in London auf, und es ging ihm und seinen Parteigängern, was ebenso bekannt ist, pecuniär nicht glänzend. Da griff denn der Herzog mit mancher Fünfhundertpfundnote dem Prätendenten unter die Arme, im Grunde bei keiner andern Sicherheit für die Rückzahlung, als der, daß vielleicht dereinst der Prinz den französischen Thron besteigen würde, eine Möglichkeit, die damals sehr zweifelhaft erschien. Als aber das für unmöglich Gehaltene geschehen und der Prinz zuerst Präsident der Republik und darauf Kaiser geworden war, bewahrte er dem Herzog stets eine dankbare Gesinnung und schützte ihn auch oft indirect bei den vielfachen scandalösen Processen, die derselbe vor den Pariser Gerichten auszufechten hatte.

Processe gehörten nämlich neben der Pflege und Sorge für seine Diamanten zu den Hauptbeschäftigungen des Herzogs, und wenn es sich nur um einen rückgängig zu machenden Pferdekauf handelte, oder um einen fortgeschickten Koch oder Lakaien, so wurde sofort processirt. Aber auch andere, weit peinlichere Processe hatte der Herzog in Menge, wo er nicht der klagende, sondern der verklagte Theil war. Die meisten wurden ihm von ehemaligen Geliebten gemacht, denen er, nach ihrer Aussage, Gott weiß was versprochen und später nicht gehalten hatte und die ihn dann, schon des Scandals wegen, verklagten. Für das Kaffeehauspublicum der Boulevards waren dies stets willkommene Geschichten. Oft mag der Herzog auch bei solchen Gelegenheiten ausgebeutet oder gemißbraucht worden sein. Aber auch dann hatte er sich doch schließlich immer wieder selbst die Schuld beizumessen, weil er sich sein ganzes Leben lang stets nur in dieser „interlopen Welt“ bewegt hatte.

Am meisten Aufsehen machte sein Proceß im Jahre 1863 gegen seine eigene Tochter, die Gräfin Civry und deren Mutter. Die letztgenannte Dame war die erste Geliebte des Herzogs gewesen, die derselbe in London, als er noch unter der strengen Vormundschaft seines Oheims, des Königs Georg des Vierten, stand, kennen gelernt hatte. Miß Colville war damals eine gefeierte Schönheit in den Kreisen der vernehmen Welt, und sie soll den jungen Herzog lange haben schmachten und seufzen lassen; wie man behauptet, auf Anrathen ihrer Familie, die ein legitimes Ehebündniß verlangte. Endlich erhörte sie ihn doch, auch ohne ein solches. Als aber der Vormund von dem Liebeshandel hörte, ward er sehr böse und drohte mit seinem königlichen Zorne.

  1. Shaw kam schon im folgenden Jahre bei einem Fluchtversuch um’s Leben. Er hatte in der Verbrechercolonie mit dem Banknotenfälscher Gâtebourse „Freundschaft“ geschlossen, und Beide bemächtigten sich eines Tages eines leeren Bootes, das sich zufällig am Strande befand, und noch dazu bei schlechtem Wetter. Die armen Teufel hatten vermuthlich auf irgend ein mitleidiges Schiff gerechnet, aber ihre Hoffnung mußte betrogen worden sein, denn schon am nächsten Abend wurden Beide als Leichen wieder am Ufer aufgefischt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_604.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)