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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Künstliche Haifischbrut in Hamburg.
Von H. Dorner.


Also bis zur künstlichen Brut von Haifischen wären wir nun glücklich gelangt! Da werden wohl nächstens die Walfische daran kommen, denn welch eine Unzahl von Geburten und Bruten sind nicht bis dahin mit mehr oder weniger menschlicher Beihülfe in den jetzt über die ganze civilisirte Welt verbreiteten Zoologischen Gärten bereits gelungen, und was kann uns die Zukunft noch bringen! In London werden Nilpferde, Kasuare und ostindische Fledermäuse geboren, in Marseille und Florenz australische Strauße; in Australien zieht man junge Lachse aus importirten europäischen Eiern, und in Menagerien – um auch diesen Concurrenten gerecht zu werden – läßt man Bastarde zwischen Löwen und Tigern entstehen. Von Giraffen und Riesenkänguruhs bis zu Gazellen und Biberratten, von Straußen und Kasuaren bis zu winzigen Senegalfinken sind mit vielem Glücke die sorgfältigsten, den natürlichsten Verhältnissen so weit als möglich angepaßten Vorrichtungen und Veranstaltungen ersonnen worden, um eine immer doch künstlich zu nennende Fortpflanzung zu Stande zu bringen. Und dennoch haben wir Ursache, auf unsere Herrschaft über die Natur nicht allzu stolz zu sein. Es giebt trotz alledem eine nicht unbedeutende Anzahl von Thieren, welche entweder überhaupt nicht im Stande sind, die Gefangenschaft – und sei sie noch so milde – zu ertragen, oder die bisher noch niemals zu dieser künstlichen Fortpflanzung gebracht werden konnten. Zu den ersteren gehören – von tropischen Thieren abgesehen – auch noch viele europäische Vögel, die Seetaucher, die Steißfüße, mehrere nordische Enten etc., zu den letzteren die Mehrzahl der Papageien und – mit einer oder zwei Ausnahmen – sämmtliche Raubvögel. Die Ursache dieser Mißerfolge liegt meist in dem Mangel eines richtigen Ersatzfutters, in vielen Fällen aber auch in den fehlenden großen Räumen und der schlechten Luft, da an eine ausreichende Ventilation nur selten gedacht wird.

Gewöhnlich denkt man bei dem Namen Haifisch – nicht blos in Erinnerung an den Propheten Jonas, sondern auch an mancherlei mehr oder weniger wahrhaftige Erzählungen von Seeleuten – an menschenfressende Ungeheuer von dreißig, vierzig und mehr Fuß Länge. Wenn die Existenz dieser „Meereshyänen“, unter Umständen auch ihre Gefährlichkeit für die Menschen leider nicht zu leugnen ist, so hat man doch keine Veranlassung, die Vorstellung ihrer Gefährlichkeit auf unsere Aquarien-Haie zu übertragen, von denen uns höchstens der Dorn-Hai mit Hülfe seines starren Rückenstachels eine – übrigens ebenso wenig giftige wie die durch Rattenzähne verursachte – Verletzung beibringen könnte.

In dem neuen Katalog des British Museum führt Günther nicht weniger als hundertachtundzwanzig verschiedene Fischarten auf, die ein Recht auf den Namen Haifisch haben; siebenzehn derselben kommen an den britischen Küsten vor, und drei oder vier der letzteren, die sämmtlich zu den kleineren Arten gehören, werden in unseren Aquarien gehalten. Obgleich also die hier in Betracht kommenden Katzenhaie nicht zu den Riesenformen ihres Geschlechts gehören, so findet man doch an ihnen alle den Haifischen zukommenden Eigenthümlichkeiten und darf sie mit vollem Rechte als Repräsentanten derselben betrachten.

Die Haifische sind, wie die Abbildung lehrt, Thiere, welche auf den ersten Blick vielleicht nur durch die absonderlich gelegene, einem Pferdehufe ähnelnde Mundspalte (siehe die Jungen) von der bekannten Fischform abweichen. Bei etwas genauerer Betrachtung sieht man, daß die Schwanzflosse eine unsymmetrische Form hat, da die obere Hälfte nicht, wie bei den meisten übrigen Fischen, das Spiegelbild der unteren ist, ferner daß sämmtliche Flossen auffallend dick und fleischig erscheinen, daß sich kurz vor der Brustflosse jederseits fünf Kiemenlöcher befinden (das bekannte Neunauge hat deren jederseits sieben) und endlich, daß außer den kurz vor der Mundspalte gelegenen Nasenlöchern noch zwei etwas größere Oeffnungen die sogenannten Spritzlöcher, dicht hinter den Augen vorkommen. Der Katzenhai wird leicht an seiner fleckigen, gelblich graubraun gefärbten Haut von seinen Verwandten unterschieden. Bleiben wir einen Moment bei der Betrachtung seiner körperlichen Eigenthümlichkeiten stehen, so finden sich auch bei ihm die interessanten zahlreichen Zahnreihen in jedem Kiefer, von denen die vorderen sich allmählich abnutzen und in demselben Maße von den vorrückenden Hinterreihen ersetzt werden. Ferner wäre als bemerkenswerthe Eigenthümlichkeit das Vorhandensein zweier beweglicher Augenlider zu erwähnen, die den willkürlichen Verschluß des Auges bewerkstelligen (übrigens nur wenig zur Anwendung kommen) und demselben im Gegensatz zu den sonstigen kreisrunden starren Fischaugen die angenehmere elliptische Form und eine größere Lebendigkeit des Ausdrucks geben. Endlich machen wir noch darauf aufmerksam, daß sich auch in den Spritzlöchern je eine in deutlich wahrnehmbarer Hin- und Herbewegung begriffene Nebenkieme (Pseudobranchie) befindet, in denen die Blutgefäße ein sogenanntes Wundernetz (wie in der Aderhaut unseres Auges bilden.

Und nun von der Fortpflanzung unserer Thiere.

Wie dieselbe bei der Mehrzahl der Fische vor sich geht, braucht kaum erwähnt zu werden. Es ist bekannt, daß sich meist die Eier in enormer Zahl entwickeln, daß dieselben eine winzige Größe haben (beim Aal so äußerst winzig, daß erst das Mikroskop ihr Dasein nachwies), daß sie sämmtlich fast gleichzeitig den Körper des Weibchens verlassen und daß das Männchen über die abgesetzten Eier den als „Milch“ bekannten Befruchtungsstoff ergießt. Wir führen hierauf bezüglich nur eine Beobachtung an, durch welche die Aufmerksamkeit des Männchens auf den richtigen Moment nachgewiesen wird. In einem unserer großen Behälter befindet sich eine Anzahl norwegischer Lippfische, Männchen und Weibchen. Das größte Männchen hat, während wir dies schreiben, einen geräumigen, durch vorspringende Felsen vom übrigen theilweise abgetrennten Platz für sich und eines der trächtigen Weibchen ganz ausschließlich in Anspruch genommen, jagt jeden Eindringling daselbst unerbittlich fort und nähert sich häufig dem bevorzugten Weibchen, an dessen Seite es sich ruhig vor Anker legt und dasselbe sanft streichelt. Es findet also auch bei den Fischen nicht nur der Kampf um’s Dasein, sondern auch die geschlechtliche Zuchtwahl statt, in der Weise, daß stets die stärksten oder muthigsten Männchen zur thätigen Hülfe bei der Fortpflanzung kommen.

Bei den Haifischen ist dasselbe in noch weit entschiedenerer Weise der Fall. Denn diese weichen dadurch von den meisten Fischen in höchst auffälliger Weise ab, daß sie entweder – wie die Mehrzahl unter ihnen – bereits völlig entwickelte Junge zur Welt bringen oder – wie die Katzenhaie – einzelne drei Zoll lange Eier mit beim Laichen bereits vorhandenen Embryonen absetzen. Bei ihnen muß also, wie bei höheren Wirbelthieren, der Befruchtungsvorgang vor dem Eierlegen stattfinden, und derselbe wurde auch in unserem Aquarium (wie auch bei den zu einer ganz verschiedenen Fischgruppe gehörenden Aalmuttern) beobachtet. Unsere zwei Weibchen legten vom 18. Januar bis zum 18. Juli vorigen Jahres fünfunddreißig Eier, von denen acht nach je neunmonatlicher freier Entwickelung ausschlüpften.

Die unter den Augen des beobachtenden Publicums vor sich gehende, allmählich fortschreitende Ausbildung der Thierchen, welche in den durchscheinenden Eihülsen stets deutlich zu erkennen waren, mußte begreiflicher Weise die allgemeine Theilnahme in hohem Grade erregen, denn unter allen natürlichen Vorgängen ist vielleicht kein anderer so interessant und dabei im Ganzen wie in seinem allmählichen Verlaufe so räthselhaft, trotz aller Forschungen so wenig in seinem wahren Wesen erkannt, wie die Entwicklung organisirter Thierformen aus einem anscheinend gleichartigen Stoffe. Auch den gelehrtesten und gründlichsten Zoologen müssen bei seinem Anblick die Lücken menschlicher Forschung auf’s Empfindlichste zum Bewußtsein kommen.

Die Eier, deren verkleinerte Abbildung die Figur zeigt, haben eine Länge von drei, eine Breite von einem Zoll, sind flach viereckig, von gelblichweißer Farbe und zeigen an den vier Ecken anderthalb Fuß lange gedrehte Schnüre, mit denen sie sich an Wasserpflanzen, Felsvorsprüngen etc. befestigen. Die Fischer nennen diese häufig in ihren Netzen sich vorfindenden Gebilde seapurses, Seetaschen, auch wohl Seemäuse. Der Stoff, aus dem die Schale mit ihren Eckschnüren besteht, ist hornartig und sehr zähe;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 601. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_601.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)