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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


daß es mithin ein richtiger Broukolake wäre. Das war der immer wiederkehrende Vers.

Endlich kam man auf die Idee, das Herz des Todten zu verbrennen, der nach dieser Operation nicht vernünftiger als vorher wurde. Man klagte ihn immer noch an, die Leute des Nachts zu prügeln, die Thüren einzuschlagen, die Kleider zu zerreißen, Flaschen und Krüge zu leeren. Es war ein sehr aufgeräumter Todter. Ich glaube, er schonte einzig das Haus des Consuls, bei welchem wir wohnten. Der Verstand schien allgemein zerrüttet zu sein; es war eine wahre Gehirnkrankheit, ebenso gefährlich wie der Wahnsinn und die Wuthkrankheit. Man sah ganze Familien ihre Häuser verlassen, ihre Betten auf den Marktplatz tragen, um dort die Nacht zuzubringen; die Vernünftigsten begaben sich auf das Land.

Die für das öffentliche Wohl eifrigsten Bürger der Stadt versicherten, daß man den wesentlichsten Punkt der Ceremonie verfehlt habe. Man hätte, sagten sie, die Messe erst nach der Entnahme des Herzens feiern müssen. Sie behaupteten, daß man mit dieser Vorsicht nicht verfehlt haben würde, den Teufel zu überraschen, und ohne Zweifel würde er sich gehütet haben, zurückzukehren; da man aber mit der Messe angefangen, hätte er Zeit gehabt, nachher wieder in den Körper einzuschlüpfen. Man machte inzwischen während dreier Tage und dreier Nächte Processionen in der Stadt, nöthigte die Popen, zu fasten, entschloß sich, während der Nacht Wachen zu stellen, und arretirte dabei einige Vagabonden, die sicherlich an dieser allgemeinen Unordnung Schuld hatten. Aber man ließ sie allzu schnell wieder frei, und sie konnten zwei Tage darauf auf’s Neue beginnen, die Weinkrüge Derer zu leeren, die ihr Haus über Nacht verlassen hatten, und sich so für ihr Fasten im Gefängnisse entschädigen. Man war mithin genöthigt, von Neuem seine Zuflucht zum Gebete zu nehmen.

Eines Morgens, als man gewisse Gebete hersagte, nachdem man eine Anzahl nackter Degen auf das Grab des Leichnams, den man täglich drei- bis viermal nach dem Wunsche irgend eines Ankömmlings ausscharrte, gelegt hatte, fiel es einem Albanesen, der sich zu Mykoni befand, ein, mit Doctormiene zu sagen, sich zu diesem Zwecke der Christendegen zu bedienen, sei lächerlich. ‚Sehet Ihr denn nicht, Ihr armen Leute,‘ setzte er hinzu, ‚daß das Stichblatt dieser Degen, da es mit dem Griffe ein Kreuz bildet, den Teufel hindert, aus diesem Körper zu gehen? Warum bedient Ihr Euch nicht lieber türkischer Säbel?‘ Der Rath diente zu nichts; der Broukolake wurde darum nicht fügsamer, und man wußte schließlich nicht mehr, welchem Heiligen man sich widmen sollte, bis man endlich einstimmig beschloß, den Körper gänzlich zu verbrennen, da sie dem Teufel immer noch zutrauten, daß er darin hause. Man präparirte demnach einen Scheiterhaufen mit Theer auf dem äußersten Vorsprunge der Insel St. Georges und die Ueberreste des Leichnams wurden am 1. Januar 1701 verbrannt. Seitdem hörte man nicht mehr reden von dem Broukolaken. Man begnügte sich zu sagen, daß man diesmal den Teufel richtig erwischt habe, und machte Spottlieder auf ihn.“

„Im ganzen Archipel,“ fügte Tournefort diesem Berichte hinzu, „ist man überzeugt, daß der Teufel nur die Leichname der Anhänger des griechischen Bekenntnisses belebt. Die Bewohner der Insel Santorin hatten eine Angst vor dieser Art von Gespenstern; diejenigen von Mykoni fürchteten, nachdem ihre Visionen zerstreut waren, die Verfolgungen der Türken und des Bischofs von Tina. Kein Priester wollte sich auf Saint Georges einfinden, als man den Leichnam verbrannte, aus Furcht, daß der Bischof ein Strafgeld von ihnen fordern würde, weil man ohne seine Erlaubniß den Todten ausgescharrt und verbrannt habe. Was die Türken anbetrifft, so ist es gewiß, daß sie bei ihrem nächsten Besuche nicht verfehlten, sich von der Gemeinde Mykoni das Blut dieses armen Spukes bezahlen zu lassen, der in jeder Beziehung der Abscheu und Schrecken seines Landes war.“

Dieser Bericht zeigt genugsam, daß die Vampyre eine förmliche Leidenschaft der Griechen bildeten, daß man aber Unrecht gehabt hat, sich in anderen Ländern mit ihnen zu beschäftigen. Unter der slavischen Bevölkerung Oesterreichs haben sie viel Lärm gemacht und ebenso zeitweise in Polen; Preußen ist das äußerste Land Europas, bis zu welchem sie vorgedrungen sind. In Frankreich und England haben die Vampyre zu keiner Zeit Glück gemacht, außer in der Literatur. Fragt man aber, woher Görres, Perty und Consorten die Ueberzeugung geschöpft haben, daß die Vampyre zu den grausigsten Räthseln der Welt zählten, daß jemals so etwas wie ein Vampyr existirt habe, so muß man sagen, sie haben ihr Urtheil aus Volkssagen geschöpft, die wenig Vertrauen verdienen, oder aus Vorkommnissen, die sich auf sehr natürliche Verhältnisse zurückführen lassen. Aus so unverbürgten Nachrichten ein System des Aberglaubens, abenteuerlicher als dieser selber, zurecht machen, das ist mehr als Beschränktheit, das ist Gewissenlosigkeit.

Carus Sterne.


Das Kind hat keine Mutter mehr.

Auch dieses Kind hat Rosenwangen,
Und heiter lacht sein frischer Mund,
Doch giebt ein sehnendes Verlangen
Sich oft in seinem Auge kund.

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Es sucht, als ob ihm etwas fehle,

Als laste ein Verhängniß schwer
Noch unbewußt auf seiner Seele:
Das Kind hat keine Mutter mehr.

An ihrem Sarg hat es gesessen,

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Der Blumen spielend sich gefreut

Und bald die Todte schon vergessen,
Das Leben hat ihr Bild verstreut;
Nur wenn das Kind im Schlaf geborgen,
Stellt sie ein Traum verklärt ihm dar,

15
Und froh erzählt es dann am Morgen,

Daß seine Mutter bei ihm war.

Du armes Kind, es schlägt die Stunde,
Daß Du Dein Unglück ganz verstehst
Und an der aufgeriss’nen Wunde

20
Verblutend fast zu Grunde gehst;

Dann fühlst Du, daß in Deinem Leben
Die allerschönste Stelle leer,
Und tief macht Dich das Wort erbeben:
Ich habe keine Mutter mehr!

25
Doch nahen einst die trüben Tage,

Dann tröste ihr Gedächtniß Dich,
Sie hat gefleht, daß ohne Klage
Das Glück der Kindheit Dir verstrich;
Als Deine Mutter Dich verlassen,

30
Nahm sie mit sich auch Deinen Schmerz,

Denn könntest Du ihn schon erfassen,
Zerbrochen wär’ Dein kleines Herz.

Und Alles kommt mit warmem Triebe
Entgegen Dir an jedem Ort,

35
Das ist der Heimgegang’nen Liebe –

Sie wirbt für Dich bei Andern fort,
Nie soll ein rauhes Wort Dich schrecken,
Sie schwebt, ein Engel, um Dich her
Und flüstert, Mitleid Dir zu wecken:

40
Das Kind hat keine Mutter mehr!
Albert Traeger.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_600.JPG&oldid=- (Version vom 31.7.2018)