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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Schulen, Kaufläden, Mühlen, Fabriken und Schiffszimmereien mischen sich unter die Wohnhäuser, und endlich schließt sich ein Dorf an das andere, jedes eine Stätte blühender Landwirtschaft und regsamer Industrie und Ausgangspunkt einer gewinnbringenden Schifffahrt.

Das Beispiel, das die Holländer und nach ihnen die Ostfriesen gegeben, blieb anderwärts nicht unbeachtet. Auch in Oldenburg hat die Regierung schon seit längerer Zeit begonnen, die Moore des Landes durch Canäle zu erschließen, und namentlich ist es ein Unternehmen dieser Art, auf das bereits viel Geld und Mühe verwandt ist. Westlich von Oldenburg, fast unmittelbar von der schiffbaren Hunte bis zu den schiffbaren Nebenflüssen der Ems erstreckt sich ein ausgedehntes Moor, das bisher in sich unzugänglich war und zugleich eine unüberwindliche Schranke des Verkehrs zwischen den umliegenden, zum Theil fruchtbaren Gegenden bildete. Ein Hunte-Ems-Canal, der das Moor durchschneiden und die Schifffahrtsstraßen der Hunte-Weser mit denen der Ems und ihrer Nebenflüsse verbinden soll, ist seit zwei Jahrzehnten in Angriff genommen; aber von dem Canale, der etwa vier Meilen lang wird, sind kaum die äußersten Strecken hergestellt, und es ist schwer abzusehen, wann das Werk, in der bisherigen Weise fortgesetzt, zu Ende gebracht werden mag. Die bisherige Weise ist aber die, daß man von den Enden aus zunächst das Moor entwässert, eine lange, langweilige und ermüdende Arbeit, und dann das trockene oder doch halbtrockene Moor fortschafft. Die holländischen Canäle sind nicht schneller entstanden; aber man ist solch langsamer Schritte nicht mehr gewohnt und war fast im Begriff, die Geduld zu verlieren. Da wurde die Aufmerksamkeit eines Mannes, welcher trotz seiner eingreifendsten Thätigkeit bei vielen großen industriellen und finanziellen Unternehmungen in allen Theilen Deutschlands dem Gedeihen seines Geburtslandes Oldenburg die regste Theilnahme bewahrt hat, des Geheimen Finanzraths Siebold in Frankfurt am Main, auf eine Erfindung gelenkt, welche nicht nur eine massenhafte und billige Torfgewinnung aus dem Innern des Moores, sondern auch eine Beschleunigung des Canalbaues zu ermöglichen versprach. Es war dies eine Maschine, welche, auf dem Wasser schwimmend, den Torf aus dem Moore aushebt, ihn zu Torfbrei zerkeinert und diesen Brei auf das benachbarte Moor zur weitern Bearbeitung ausschüttet. Indem sie diese Geschäfte besorgt, hebt sie gleichzeitig einen Canal aus, denn der Raum, aus welchem sie den Torf hervorholt, ist zugleich dem Bette des Canals hinzugefügt. In Canada erfunden, ist die Maschine in England, Frankreich, Amerika und verschiedenen deutschen Staaten patentirt, aber abgesehen von Canada wohl nur erst in Oldenburg in Thätigkeit gesetzt. Und dies Letztere ist eben das Verdienst des Herrn Siebold. Auf seine Anregung trat im vorigen Jahre eine „Gesellschaft für Canal- und Wasserbauten“ zusammen, deren erstes Unternehmen die Verwerthung jener Maschine in der Linie des Hunte-Ems-Canals geworden ist –

Hatte ich es mich zwei Jahrzehnte hindurch nicht verdrießen lassen, die Arbeiten am Hunte-Ems-Canal, so langsam sie auch fortrückten, mit Theilnahme zu verfolgen, so mußte diese neue Erfindung mein Interesse auf’s Lebhafteste in Anspruch nehmen, und deshalb war es, daß ich trotz Sonnenbrand den stundenlangen Weg auf dem bebenden, elastischen Moore nicht scheute. Die Tage des Moorbrennens waren vorüber, und am unbewölken Himmel stieg die Sonne höher und höher. Die Luftschichten über dem Boden geriethen in jene flimmernde, wellenförmige Bewegung, für die der Volksmund den Ausdruck hat: „die Sommer-“ oder auch „die Wetterkatzen laufen,“ ein Zeichen von der Kraft der Sonnenstrahlen, die ich freilich unmittelbar hinreichend empfand. Da endlich tauchte am Horizonte ein seltsames Gebilde auf, ein dampfendes Ungeheuer mit lang-ausgestreckten Armen – es war das canalbauende Maschinenschiff. Obwohl längst erwartet, behielt der Anblick doch etwas Ueberraschendes, Frappantes, gerade weil die rauchende, ächzende Maschine mitten in der Wildniß zu ihrer Umgebung einen so schroffen Gegensatz bildete. Die wenigen Menschen, welche auf dem Schiffe und neben ihm auf dem Moore beschäftigt waren, konnten in ihrer geräuschlosen Thätigkeit den Eindruck nicht stören; aber der blinkende Wasserstreifen, den das Schiff hinter sich gezogen hatte, eben der Canal, den es sich selbst in das Moor hineingebaut, war wie ein Stück jungen frischen Lebens, das aus der beweglichen, verkehrsfreien Welt sich in die Einöde den Zugang erzwang.

Die Besichtigung der Maschine und ihrer Arbeitsstätte ist nicht ohne Weiteres gestattet; aber eine Erlaubnißkarte des gefälligen Herrn Consuls Haußmann, eines der Directoren der Gesellschaft, verschaffte mir ungehinderten Zutritt und die Möglichkeit, eine Skizze der arbeitenden Maschine zu entwerfen, zu deren Erklärung es nur weniger Worte bedürfen wird. Vorn am Schiffe heben zwei mächtige Schraubenbohrer im Fortrücken, wobei für die Spitzen der Bohrer kleine Gräben ausgegraben werden, das Moor aus und bringen es in den vordern Schiffsraum. Von hier aus wird es durch ein Paternosterwerk, den Elevator, emporgehoben und in einen Behälter geschüttet, in welchem es zwischen rotirenden und feststehenden Messern unter Zuführung von Wasser zerkleinert und innig gemengt wird. Der so gewonnene Brei fließt durch den langen Seitenarm, eine Rinne, in welcher die Zerkleinerung und Mengung mittelst rotirender und feststehender Messer fortgesetzt wird, ab auf das zur Seite liegende Moor, und zwar nicht blos an dem äußern Ende, sondern auch vorher durch hier und da angebrachte Klappen, welche man nach Belieben öffnen und schließen kann. Der kürzere Arm auf der andern Seite des Schiffes dient nur dazu, es im Gleichgewichte zu erhalten.

Die Moorfläche, auf welche der Brei ausgeschüttet wird, ist vorher von Arbeitern geschlichtet und gedichtet. Der Brei selbst wird ebenfalls zu einer gleichmäßig ausgebreiteten Schicht geebnet, wobei die Arbeiter sich kleiner, mit Stielen versehener Bretter bedienen, während zu seiner Ausbreitung über die Länge der Ausflußrinne hinaus die Hülfe von Pferden erforderlich ist. Hat er demnächst nach Aufsaugung seiner Feuchtigkeit durch den Boden sowie durch die Luft eine gewisse Consistenz erhalten, so wird er durch besondere Maschinen in „Soden“ zerschnitten, die sodann, wie auch mit anderem Torf geschieht, in kleine Haufen übereinander gelegt werden, um vollends auszutrocknen. Ist dies geschehen, so ist der Torf, der von ganz besonders guter Qualität sein soll, zum Verkauf fertig.

Das Maschinenschiff hebt in einer Stunde einen Canal von zwanzig Fuß Breite und reichlich sechs Fuß Tiefe auf eine Länge von fünfzehn Fuß aus. Das ist freilich keineswegs ein Bett, wie es der Hunte-Ems-Canal braucht. An der jetzigen Arbeitsstätte liegt das Moor zwölf Fuß tief, an vielen Stellen weit tiefer, und das Schiff muß also, so zu sagen, zwei Canäle unter einander ausgraben, ehe es nur an den Sand kommt, aus welchem endlich der eigentliche Schifffahrts-Canal ausgehoben werden muß. Die Sohlbreite des Schifffahrts-Canals soll nach den vorliegenden Plänen vorläufig auf zwanzig Fuß beschränkt werden; es leuchtet aber ein, daß die obere Weite an der Oberfläche des Moores eine weit beträchtlichere sein muß. Dem vom Schiffe ausgehobenen Canale muß mindestens noch ein zweiter, wahrscheinlich müssen ihm noch mehrere zur Seite gelegt werden. Das Alles wissen die Unternehmer, und das Alles hindert auch nicht, daß diese Art von Canalisation, wenn sie nicht aus andern Ursachen scheitern sollte, die bisher angewandte an Raschheit des Erfolges erheblich übertreffen wird, zumal da es sehr wohl thunlich ist und auch in der Absicht der Unternehmer liegt, die Zahl der Maschinenschiffe zu vermehren.

Die bisherige Methode arbeitete, wie schon angedeutet, vom trockenen Sande aus und wollte das Moor als trockene Masse bezwingen; dem aber widersetzte sich die Natur des Moores auf das Hartnäckigste. Ein „wasserstrotzender Riesenschwamm“, mußte es von dem Wasser befreit werden, ehe man zu Torfgewinn oder Anbau tiefer hineinschneiden konnte. Ein ganzes System größerer und kleinerer Gräben, gleichsam ein Vorbild des demnächstigen Canalnetzes, mußte angelegt werden, um das Wasser allmählich abzuzapfen. Und oft schien eines Jahres Arbeit durch einen nassen Winter wieder zerstört, indem der weiche „hochgetürmte Schlamm“ die breiten Gräben wieder füllte und die Ränder derselben so nahe zusammendrückte, daß kaum noch eine schmale Spalte übrig blieb. Diese Entwässerung, kostspielig und zeitraubend, mußte das Ausgraben des eigentlichen Canals und die Torffabrikation im Großen vorbereiten; nur in verhältnißmäßig trockenem Moore war die eine wie die andere Arbeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 597. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_597.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)