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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Jetzt versuchte Werdau aus freiem Stande auf den Renner zu springen. Es gelang zu unserm freudigen Erstaunen; allein in demselben Augenblicke, als der Reiter nach dem Zügel haschte, fing unser Ali an zu bocken, und ehe es dem Grafen gelungen war, die Bügel zu finden, schlug das Thier hinten aus und stieg so rasch darauf bolzengerade in die Höhe, daß Werdau in der nächsten Secunde am Boden lag.

Ich glaubte schon, Ali sei zum Hofe hinaus, denn die Stallknechte eilten herbei, um ihn heimzulocken, als ich hinter mir sein Gewieher hörte, während eine Hand ihm besänftigend den Hals streichelte. Es war Herr Impach, der das Pferd, als es an ihm vorbei wollte, beim Zügel ergriffen und dem es nun gelang, es zu beruhigen. Mein Bruder ritt zu ihm, und nach ein paar Worten, die sie wechselten, sah ich, wie der Maler mit einem Satze sich auf Ali geschwungen hatte, der sich zwar bäumte, dem es aber nicht gelang, seinen Reiter abzuwerfen. Werdau, den die Reitknechte des Staubes entledigten, murmelte etwas in den Bart, bequemte sich aber schließlich doch, ein anderes Pferd zu besteigen.

Wer hätte gedacht, daß dieser Musensohn ein besserer Reiter als Graf von Werdau! Selbstverständlich ritt er nun mit und zwar bat ihn Ernst, mit dem jungen Fürsten Arsent den Zug anzuführen, damit er das Pferd in Augenschein nehmen könne. Ich hatte geglaubt, ein Maler könne sich nur, die Palette in der Hand, gut ausnehmen, mußte jedoch zugeben, daß die kräftige, biegsame Gestalt Herrn Impach’s den Stutzer an seiner Seite bedeutend in den Schatten stellte. Dieser ist ein Grundherr, den sein Vater in die Residenz geschickt hat, um seinem Schlosse eine Herrin zu suchen. Zu dieser Würde scheint er mich auserlesen zu haben, wenn ich die mannigfachen in seinen Gesprächen enthaltenen Anspielungen so deuten darf. Er ist stets am glücklichsten, wenn Herr von Werdau nicht zugegen, da er sich diesem nicht gewachsen fühlt, was bei den anderen jungen Leuten, die unser Haus frequentiren, nicht der Fall ist.

Wir suchten sobald als möglich zur Stadt hinaus in den Park zu kommen, die beiden Obengenannten voran, mein Bruder und Werdau zu meinen Seiten, die Anderen hinterdrein. Ich bekam das Schrittreiten bald satt und schlug den Herren vor, den Park im Galopp zu durchmessen. Darauf schien unser Ali gewartet zu haben, denn er gab durch kühne Lançaden seine Freude kund. Da mein Pferd von dieser Lebhaftigkeit angesteckt zu werden drohte, blieb Herr Impach mit meinem Bruder zurück. Ich ritt allein mit Herrn von Werdau voraus und freute mich so recht von Herzen des schönen Abends, der gesunden Bewegung. Vielleicht trug das Vorgefühl des kommenden Balles auch das Seinige dazu bei. Destoweniger konnte ich das lange Gesicht an meiner Seite vertragen.

„Noch immer betrübt, daß Ihnen Ali einen Korb gegeben?“ rief ich Werdau zu.

„Ja!“ war die Erwiderung, welche er mir in ärgerlicher Stimme gab. „Denn aus einer Anzahl solch kleiner Körbe könnte leicht ein großer Korb werden, der mich dann in Verzweiflung stürzen würde.“

„Wenn Sie auch nicht der Reiter sind, für den man Sie gehalten, so bleiben Ihnen noch andere Eigenschaften genug, um sich vor einem so häßlichen Dinge sicher zu stellen. Sehen Sie nur die Scheu, die Sie dem armen Arsent einflößen!“

„Ein schönes Verdienst! Doch haben Sie Recht, wenn Sie nicht erlauben, daß in Ihrer den ganzen Tag über heißersehnten Nähe üble Laune bestehen könne. Wenn ich Sie so leicht dahinfliegen sehe, die weiße Straußenfeder im Winde, werde ich an meine Knabenträume von Armida und Chlorinde gemahnt.“

„Dies ist das erste directe Compliment, das Sie mir machen, Graf. Sie wissen, daß ich auf solche nichts erwidere; muß ich glauben, daß Sie mit Ihrer guten Laune auch Ihr guter Geschmack in solchen Dingen verließ?“

„Ich fühle mich so eigenthümlich bewegt – der Wald, Ihre ungestörte Nähe, der goldige Abendhimmel, welcher durch die Baumlücken strahlt, vielleicht auch die Reaction meiner Anwandelung von vorhin. Sie wissen, wie wenig ich Schwärmer bin, und dennoch schämte ich mich jetzt der Sprache eines Dichters nicht, um Ihnen darzuthun, wie wild bewegt es in mir aussieht. Ach, könnte ich jetzt eine That für Sie vollbringen, Gefahren überstehen, Sie sicher durch eine Welt von Flammen bringen –“

„Bitte, sparen Sie das, bis sich die Gelegenheit dazu bietet!“ unterbrach ich den Redestrom, indem ich mein Pferd anhielt. „Sehen Sie einstweilen lieber, wie wir gut durch diese Stelle kommen; die jungen Buchen drängen sich auch gar zu unbescheiden auf unseren Weg.“

Der Graf gab sich nun Mühe, die Aeste, ohne abzusteigen, zu entfernen. Es gelang ihm auch, bis auf ein junges Bäumchen, das sich eigensinnig in den Weg bog und ihn gänzlich versperrte. Jetzt waren auch die Anderen nachgekommen, und Werdau, der fürchten mußte, Jemand wolle ihm zuvorkommen, ergriff die junge Buche mit starker Hand und lud mich mit höflicher Handbewegung ein, nun durchzureiten.

War das Bäumchen doch zu stark für seine Muskelkraft, oder machte ihn ein Rest übler Laune ungeschickt – kurz, das elastische Stämmchen entglitt seiner Hand, mein Pferd bäumte auf und schnellte sich mit einem Male vorwärts, so daß ich im Nu zehn Schritte weit voraus war. Um bei Ernst jeder Angst vorzubeugen, lachte ich laut auf, sobald mein Pferd zum Stehen kam, und griff dann an mein Haupt, um zu sehen, ob ich unverletzt durchgekommen. Alles war glücklich abgegangen; nur meinen Hut hatte ich in der Affaire verloren. Die weiße Feder derselben wehte richtig von einer Fichte herab, deren unterer Ast wahrscheinlich, vom Buchenstämmchen niedergehalten, mit diesem in die Luft geschnellt war.

Mit ängstlichen Fragen versammelte sich Alles um mich, Ernst ganz bleich vor Schrecken. Der Graf machte Miene, sein Pferd vor mir zum Knieen zu bringen, gab jedoch den abenteuerlichen Plan auf, als ihm Ernst zurief:

„Er thut’s nicht. Ist stolz wie ein Spanier.“

Nutzlose Versuche wurden nun zur Wiedererlangung des Hutes gemacht, die mich zu dem Entschlusse führten, mein Taschentuch unter das Kinn zu binden. Wäre es nur nicht gar so klein gewesen! Aber ich konnte doch keinem der Herren zumuthen, den glatten Stamm der Fichte zu erklettern, und mit der Reitpeitsche war das flatternde Ding nicht zu erreichen. Wir kehrten nun unsere Pferde, um auf dem nächsten Wege heimzureiten, als mich etwas trieb, den Kopf zu wenden; es war wohl kaum die Sehnsucht nach meiner untreuen Kopfbedeckung! Da stand am Fuße der Fichte Ali mit seinem Reiter und funkelte unheimlich mit den Augen, während er die Ohren zurückschlug. Was war dem Thiere nur? Bald sollten wir es erfahren. Der verwegene junge Mann, dem sein Leben sehr feil zu sein scheint, drückte dem wilden Pferde die Sporen in die Weichen, daß dieses, nachdem es verschiedene Male sich gewehrt, einen Satz in die Luft that. In demselben Moment stand der Reiter aufrecht in den Bügeln und ergriff mit sicherer Hand den unglücklichen Hut, während Ali auch schon im Galopp davonsprengte. Alles das geschah viel schneller, als ich es erzählen kann; wir standen nicht wenig Angst aus, bis der junge Mann nach wenigen Momenten auf dem schäumenden Ali zurückkehrte und mit um Vergebung flehenden Augen mir meinen Hut überreichte. Ich senkte Haupt und Reitpeitsche und wußte nicht, wie ich danken sollte. Ernst ergriff das Wort:

„Nur Ihre große Jugend kann entschuldigen, daß Sie auf so wildem Pferde diese tollen Streiche ausführen,“ sprach er mit väterlichem Tone. Dann auf ihn zureitend, drückte er ihm die Hand. „Ich kann, was Sie gethan, bewundern, aber nicht billigen. Meine etwas scharfen Worte mag die Angst entschuldigen, die ich um Sie ausstehen mußte. Meiner Schwester muß es unangenehm sein, die unschuldige Ursache dieses gefährlichen, zum Glücke gut abgelaufenen Wagestücks gegeben zu haben. Entschuldigen Sie sich nur bei mir!“ schloß er lachend. Herr Impach saß da, wie ein ausgescholtener Schuljunge. Ich winke ihn an meine Seite, und stillschweigend schlugen wir den Heimweg ein. Es war nicht so leicht, Amalie, das rechte Wort zu finden einem Manne gegenüber, der gerade sein Leben für meinen Hut gewagt hatte.

Zum Glück begann er: „Ihr Herr Bruder hat Recht. Ich führte mich auf wie ein Lateinschüler, dessen Renommée von Muth und Unverzagtheit noch nicht so feststeht, daß er nicht jede Gelegenheit ergreifen müßte, um diese zu beweisen. Werden Sie mir Glauben schenken, wenn ich Sie versichere, daß nichts von Alledem mir in den Sinn kam, als ich die Feder im Winde flattern sah? Ich bemerkte, wie Ihr Tuch nicht ausreichend war,

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