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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Bürgerthum kläglich verkrähwinkelt, der Adel entweder wüst verkrautjunkert oder im schlimmsten Sinne verfranzos’t. Es gab einzelne bürgerliche, es gab auch einzelne adelige Kreise, wo ein edlerer Sinn und ein eifriges Bildungsstreben daheim; aber solche Kreise waren leicht zu zählen. Nur gerecht ist es daher, zu sagen, daß zu jener Zeit an deutschen Höfen, auf welche das Beispiel Friedrichs des Großen, wie später Josefs des Zweiten, denn doch nicht ohne Einwirkung blieb, ein gut Stück deutscher Kulturarbeit gethan wurde, insofern derartige Höfe Mittelpunkte und Rückhalte abgaben für die gleichzeitigen Bildungstendenzen und zwar – was ebenfalls günstig wirkte – häufig untereinander rivalisirende und wetteifernde Mittelpunkte und Rückhalte. Nun war aber der weimarische Hof ohne alle Frage ein solcher, ein richtiger Kulturhof so zu sagen. Schon die Herzogin Amalie, Karl August’s Mutter, hatte ihn dazu zu machen gestrebt, und zwar dadurch, daß sie Männer wie Wieland und Knebel, das heißt ausgesprochene Träger des Aufklärungsgeistes der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, zu Erziehern ihrer Söhne berief. Keine prächtige, aber eine höchst liebenswürdige und anziehende Erscheinung, diese Herzogin Amalia, welche noch als Dreiundvierzigjährige griechisch lernte, um mit dem guten Papa Wieland den Grazienlümmel Aristophanes lesen zu können, leichtlebig, warmherzig, liberal und human, eine Humoristin, die gern jung war mit jungen und froh mit fröhlichen Leuten, selbst auf die Gefahr hin, daß Worte flogen, welche weit mehr aristophanisch oder auch mephistophelisch als hofmäßig und etiketteglatt klangen. Wesentlich anders geartet war die Schwiegertochter der verwittweten Fürstin, Luise von Hessen, ernst, hochgestimmt, sehr gottesgnadenthümlich-bewußt, prinzeßlich eingeschnürt und zugeknöpft, ohne rechtes Talent für Liebe und Freundschaft, eine einsame Natur, aber grundgut, pflichttreu und später in schweren, in napoleonischen Prüfungszeiten einen Muth bewährend, wie ihn eben nur wahrhaft edle Frauen bewähren können. Die Fassung und Würde, womit die Herzogin Luise am 15. Oktober von 1806 dem in seiner Wachtstubenmanier roh sie anrasselnden Sieger von Jena entgegengetreten ist, umgeben ihre Gestalt mit einem nie erbleichenden historischen Nimbus. Nur allzu viele deutsche Weiber – ich sage sehr absichtlich Weiber und nicht Frauen – haben in jenen Schmachzeiten dem französischen Uebermuth und der französischen Zuchtlosigkeit gegenüber die eigene Würde und die ihres Landes schmählich preisgegeben; aber diese Würde wurde in ruhmvoller Weise gewahrt und behauptet durch Frauen, wie Luise von Preußen, Luise von Weimar und jene Luise von der Recke, welche zu Erfurt (1808) dem allmächtigen Empereur Achtung vor ihrem Patriotismus abzwang.

Vaterländisches Fühlen, das war der Punkt, worin die Herzogin Luise mit ihrem Gemahl zusammenstimmte. Sonst gingen ihre Anschauungen und Stimmungen weit auseinander. Karl August ist eigentlich ein ewiger Student gewesen, und als er starb, starb ein „bemoos’tes Haupt“. Es war ein wesentlich genialer Zug, ein Erbtheil von seiner Mutter her, in dem Herzog und dieser Zug hat bis zuletzt vorgehalten. In jungen Jahren sprühte ihm das Kraftgenie gleichsam aus allen Poren und dieser fürstliche Stürmer und Dränger hätte nur statt auf einem Thrönlein auf einem Throne zu sitzen gebraucht, um die Welt von sich reden zu machen und zwar sehr. Dieses, das heißt den peinlichen Widerspruch zwischen dem großen Wollen und dem kleinen Können seines herzoglichen Freundes hat Goethe unter dem „engen Schicksal“ verstanden, wenn er und zwar noch im Jahre 1783, wo doch die Weimarer Kraftgeniezeit schon vorüber war, in der tiefbewegten Rhapsodie „Ilmenau“ von Karl August sagte:

„Ein edles Herz, vom Wege der Natur
Durch enges Schicksal abgeleitet,
Das ahnungsvoll, nun auf der rechten Spur,
Bald mit sich selbst und bald mit Zauberschatten streitet,
Und was ihm das Geschick durch die Geburt geschenkt,
Mit Müh’ und Schweiß erst zu erringen denkt.
Kein liebevolles Wort kann seinen Geist enthüllen
Und kein Gesang die hohen Wogen stillen.
Gewiß ihm geben auch die Jahre
Die rechte Richtung seiner Kraft;
Noch ist bei tiefer Neigung für das Wahre
Ihm Irrthum eine Leidenschaft.“

Freilich, wie und wo hätte im damaligen Deutschland Karl August die „rechte Richtung seiner Kraft“ finden können? Etwa im preußischen Militärdienst? Nun ja, er that bekanntlich als preußischer General im Unglücksjahre 1806 seine Pflicht so rühmlich wie wenige; aber was konnte er bei Lage der Sachen Ersprießliches ausrichten? Nichts. Mehr allerdings konnte er thun und that er, indem er später seinen Hof zu einem der Herde machte, worauf das Feuer der Vaterlandsliebe, die Glut des Hasses der Fremd- und Zwingherrschaft unablässig-treu genährt und geschürt wurde.

Zur Zeit, von welcher hier zuvörderst die Rede, war Karl August noch ein Unband von Jüngling, zwar schon verheiratet, aber mit einer Frau, welche ihm nicht wahlverwandt und die sich gegen die mit Goethe’s Ankunft am Hofe aufgethane Geniewirthschaft entschieden ablehnend verhielt, während ihre Schwiegermutter gutlaunig darauf einging. Die Herzogin Luise mag seltsam dazu gesehen haben, daß ihr Herr Gemahl die Werthertracht seines dichterlichen Gastes annahm, worauf natürlich auch die Herren vom Hofe, die Wedel, Einsiedel, Seckendorf und wie sie sonst hießen, in Wertherfräcken herumliefen. Denn Karl August – so hat Goethe in alten Tagen zum Eckermann gesagt – war „eine dämonische Natur“ und „das Dämonische war in ihm in dem Maße vorhanden, daß niemand ihm widerstehen konnte“. Kein Wunder daher, daß auf Betreiben des jungen Fürsten das Wertherthum und der Faustismus für eine Weile – und zwar für eine nicht ganz kleine Weile – am Hofe von Weimar, welches, als Stadt genommen, dazumal noch ein gar armsälig Nest gewesen, Trumpf und Mode wurden. Die Mode ist aber, wie weltbekannt, für die Frauen allzeit und überall eine Päpstin, deren Unfehlbarkeit nicht erst durch irgendein Blödsinns-Conventikel, genannt Concilium Vaticanum, dogmatisirt zu werden braucht. Ganz in der Ordnung also, daß es auch in dem Damenkreis der Weimarer „Welt“ – man zählte zu diesem Kreise Lotte von Stein, Luise von Imhof, die Gräfin Werthern, die bucklige, will sagen witzige Thusnelda von Göchhausen, die Kammerpräsidentin von Kalb, dann auch Lotte von Kalb, die hellenisch-schöne Sängerin Corona Schröter – zu werthern und zu fausten begann, mehr oder weniger merklich, mehr oder weniger naiv oder bewußt, mitunter wohl auch mehr oder weniger bedenklich. Denn so ganz ohne Verwüstungen ging der Sturm keineswegs vorüber. Schiller und Jean Paul sahen, als sie zum erstenmal in die Gegend kamen, noch die deutlichen Spuren und haben sich, jener gegen Körner, dieser gegen Otto, auch deutlich genug darüber geäußert …

Wohl, „wie ein Stern“, also ging unser Wolfgang am Hofe von Weimar auf, mit seinem Gestrale und Geleuchte Männlein und Weiblein gleichermaßen bezaubernd. Papa Wieland, der kurz zuvor von dem Ankömmling so scharf satirisch gemaßregelte Papa Wieland, war einer der ersten von ihm Bezauberten. Schon drei Tage nach Goethe’s Ankunft schrieb der Verfasser der Abderiten an Jakobi: „Oh, bester Bruder, was soll ich Dir sagen? Wie ganz der Mensch beim ersten Anblick nach meinem Herzen war! Wie verliebt ich in ihn wurde, da ich an der Seite des herrlichen Jünglings zu Tische saß! Alles, was ich Ihnen nach mehr als einer Krisis, die in mir diese Tage über vorging, jetzt von der Sache sagen kann, ist dies: Seit dem heutigen Morgen ist meine Seele so voll von Goethe wie ein Thautropfen von der Morgensonne.“ Gerade zwei Monate später hat Wieland, nachdem der Wolfgang im Schlosse Stetten bei Erfurt (Eigenthum einer Frau von Bechtoldsheim) ihn und alle entzückt hatte, an die Schloßbesitzerin eine Epistel in Versen gerichtet, worin es von dem „herrlichen Jüngling“ hieß:

„Und als wir nun so um und um
Eins in dem andern glücklich waren
Wie Geister im Elysium:
Auf einmal stand in unsrer Milte
Ein Zaubrer! Aber denke nicht,
Er kam mit unglückschwangerem Gesicht
Auf einem Drachen angeritten.
Ein schöner Hexenmeister es war
Mit einem schwarzen Augenpaar,
Zaubernden Augen mit Götterblicken,
Gleich mächtig, zu tödten und zu entzücken.
So trat er unter uns, herrlich und hehr,
Ein echter Geisterkönig, daher
Und niemand fragte: Wer ist denn der?
Wir fühlten beim ersten Blick: ’s war er!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 588. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_588.JPG&oldid=- (Version vom 7.1.2019)