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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Als Sergeant Keet nach wenigen Minuten erschien, zog der Mörder einen fünfläufigen Colt-Revolver aus der Tasche mit den Worten: „Ich heiße Frank Hardin Walworth; dies ist der Revolver, mit welchem ich ihn erschoß, weil er drohte, mich und meine Mutter zu erschießen.“ Als die Beamten das Mordzimmer betraten, war Mansfield Walworth bereits eine Leiche. An seiner Person wurde keine Schießwaffe irgend welcher Art gefunden; er war offenbar in vollem Vertrauen auf die friedlichen Absichten seines Erstgeborenen erschienen, um von diesem ohne jegliche Provocation gemeuchelt zu werden. Der Mörder wurde nach dem Tombs-Gefängniß abgeführt, um seinen Proceß zu erwarten, dessen Eröffnung schon berichtet worden ist. –

Am Mittwoch, den 25. Juni, begann die gerichtliche Verhandlung. Diesmal hatte sich die ganze Hardin-Walworth’sche Sippschaft eingefunden. Districtsanwalt Rollins leitete die Anklage mit einer anderthalbstündigen Rede ein, nach welcher das Vernehmen der zahlreichen Zeugen stattfand, aus dem sich der eben berichtete Thatbestand ergab. Der Mörder selbst hatte nichts geleugnet; im Gegentheil, er schien sich mit seiner That eher zu brüsten, als sei sie eine Heldenthat, die ihm, dem natürlichen Beschützer seiner Mutter, zur Pflicht geworden sei. Die Anklage beantragte daher mit Recht, auf Mord im ersten Grade zu erkennen; und hierin wurde sie vom Urtheil aller rechtlich Denkenden im Lande unbedingt unterstützt. Auch im Gerichtssaale waren wohl Wenige, die nicht das strengste Urtheil über einen Mörder gefällt zu sehen wünschten, dessen kaltblütige Ruchlosigkeit jedes Gefühl der Sympathie oder des Mitleids erstickte.

Andere Gedanken und Hoffnungen hatten freilich der Verbrecher und seine aristokratische Familie. Kalt und höhnisch hatten sie das Zeugenverhör vernommen, und als nun ihr berühmter Vertheidiger Charles O’Connor sich erhob, um die Vertheidigung einzuleiten, da verklärten sich ihre gleichgültigen Mienen zu einem triumphirenden Lächeln der Siegesgewißheit. Und Recht zu hoffen hatten sie allerdings. In New-York war seit Jahren kein reicher und angesehener Verbrecher zur gebührenden Strafe verurtheilt worden. Freisprechung, Begnadigung, heimlich begünstigte Flucht hatten noch jeden der Gerechtigkeit entzogen; dafür hatte man ja berühmte Criminalisten, corrupte Richter und weich- und feigherzige Gouverneure und vor Allem Geld, Geld, das die Riegel der Gefängnisse sprengte und den Strick der Henker verzehrte. Zwei dieser gewaltigen Factoren, das Recht zu beugen, hatten ja die Hardin-Walworths: Geld und den ersten Criminalisten des Landes.

Wir wollen die Leser nicht mit dem Detail der nun folgenden Verhandlungen ermüden; nur die Hauptpunkte der Vertheidigung mögen hier folgen.

Zunächst wurde natürlich Alles aufgeboten, den Charakter des älteren Walworth in’s schwärzeste Licht zu stellen, ihn als einen leibhaftigen Dämon auszumalen, die Mutter und Söhne aber als unschuldige Heilige, die durch die Verfolgung des unnatürlichen Gatten und Vaters zuletzt zur Verzweiflung getrieben worden seien. Der nächste Punkt war der bei allen solchen Fällen beliebte, nämlich zu beweisen, der Angeklagte sei unzurechnungsfähig gewesen, als er die That beging. Man erfand für diesen Fall einen „temporären epileptischen Wahnsinn“, an welchem der Sohn schon seit Jahren gelitten habe, dessen Existenz selbverständlich mehrere „berühmte“ Aerzte bereit waren auf ihre medicinische Ehre zu bezeugen. Der dritte Punkt war, zu beweisen, der Mörder, der bei der letzten Zusammenkunft mit seinem Vater einen solchen Anfall bekommen, habe geglaubt, als der Vater die Hand in den Busen steckte, derselbe wolle ihn erschießen; er habe also nur einen Act der Selbstvertheidigung begangen, als er den Vater niederschoß.

Drei und eine halbe Stunde lang plaidirte O’Connor nach Schluß des Verfahrens und bot seine ganze nicht geringe Kunst auf, die Jury günstig für seinen unwürdigen Clienten zu stimmen. Mit welcher Spitzfindigkeit dabei zu Werke gegangen wurde, mag folgende Stelle seiner Rede beweisen.

„Der Districtsanwalt ist gehalten zu beweisen,“ sagte der Criminalist, „daß die That absichtlich und bei vollem Bewußtsein begangen wurde. Er hat erwiesen, daß vier Schüsse abgefeuert wurden, während der Angeklagte sich nur dreier erinnert. Welcher der vier Schüsse ist nun der tödtliche gewesen? Das ist nicht bekannt; und wäre es nicht möglich, daß es gerade der war, welcher unbewußt abgefeuert wurde? Hat die Jury einen Zweifel darüber, so muß dieser dem Angeklagten zu Gute kommen. Dieser junge Mann wurde gekreuzigt, ehe er überführt worden war, durch das Wort ‚Parricida‘, das der Districtsanwalt gegen ihn schleuderte.“

Der Richter schloß die Sitzung und vertagte die Verhandlung bis zum folgenden Mittwoch. An diesem Tage, dem 2. Juli, entwickelte der Districtsanwalt Phelps in einem meisterhaften Plaidoyer die völlige Unhaltbarkeit der Vertheidigung, bewies aus den allseitig zugestandenen Thatsachen, sowie den eigenen Geständnissen des Angeklagten dessen völlige Zurechnungsfähigkeit sowohl, als die völlige Absichtlichkeit und zugleich Grundlosigkeit seiner Unthat und forderte schließlich die Jury in ergreifenden Worten auf, den feigen Meuchelmörder, der nicht einmal die geringste Reue über seine unnatürliche Schandthat zeige, die volle Strenge des Gesetzes fühlen zu lassen.

Nach einer kurzen Pause erhob sich Richter Davis, um die Jury zu instruiren. Seine Ansprache war ein überaus klares und eindringliches Resumé des ganzen Falles, frei von jeder Parteilichkeit, ein seltenes und darum um so ergreifenderes Beispiel strenger Gerechtigkeit, wie es auf den Bänken unserer Gerichte nicht oft gefunden wird.

Nach dreistündiger Berathung kehrten die Geschworenen zurück; sie waren einig und nahmen ihre Sitze ein. Der Gefangene, von Mutter, Oheim und Bruder begleitet, wurde vorgeführt. Der Obmann erhob sich, und auf die üblichen Fragen erfolgte der Spruch: „Schuldig des Mordes im zweiten Grade.“ Als ginge es ihn nichts an, hörte der Vatermörder den Wahrspruch an und verließ mit seiner ebenso gleichgültig scheinenden Familie den Gerichtssaal, um wieder nach den Tombs abgeführt zu werden.

Am Sonnabend den 5. Juli trat der Gerichtshof zum letzten Male zur Schlußscene dieses entsetzlichen Dramas zusammen. Richter Davis hatte diesen Tag bestimmt, das Urtheil zu verkündigen. Eine sehr erregte Menge füllte den Saal und dessen Umgebung; die öffentliche Meinung war heftig erbittert über den Wahrspruch der Geschworenen, durch welchen der Henker um dieses Opfer, für dessen Verbrechen einfacher Tod nur geringe Sühne zu sein schien, betrogen worden war. Der Volksunwille machte sich in den stärksten Ausdrücken gegen den elenden Mörder Luft; eine starke Polizeimacht war aufgeboten, um die Ruhe zu erhalten. Welch einen Contrast zu dieser gerechten Erbitterung des Volkes bildete die Haltung der Gesellschaft, die sich indeß im Vorzimmer des Gerichtshofes versammelt hatte! Im gleichgültigsten Tone und von den allergewöhnlichsten Dingen conversirten da, als befänden sie sich im behaglichen Salon ihres Hauses, die nächsten Verwandten des Vatermörders. Nicht einmal die Mutter zeigte die geringste Spur von Kummer oder Trauer über das Elend ihres blutbefleckten Hauses; ja, es schien diesem schamlosen aristokratischen Weibsbilde gar nicht erst zum Bewußtsein zu kommen, daß sie Alle, ohne Ausnahme, durch die Aufdeckung dieses bodenlosen Abgrundes moralischer Verworfenheit, in welchem die ganze Familie versunken dalag, an den Pranger gestellt und als Auswurf der Gesellschaft gebrandmarkt seien. Die ganze Rohheit und Frechheit dieser mit dem Firniß äußerer Cultur überstrichenen, im Grunde aber durchaus ungebildeten amerikanischen Pseudo-Aristokratie zeigte sich hier in einer wahrhaft empörenden Weise.

Unter den Flüchen und Verwünschungen des aufgebrachten Volkes wurde nach zehn Uhr der Vatermörder unter starker Bedeckung in’s Vorzimmer geführt; mit lächelnden Mienen begrüßte ihn die ganze Familie und setzte ihre schale Unterhaltung fort, an welcher er, völlig gleichgültig im Zimmer auf- und abgehend, bald ganz gemüthlich Theil nahm.

Der Districtsanwalt erhob sich und redete den Richter an: „Euer Ehren, der Proceß des Frank H. Walworth ist durch den Wahrspruch einer intelligenten und unparteiischen Jury beendet worden. Der Gefangene vor den Schranken des Gerichts ist demnach des Mordes im zweiten Grade schuldig, indem er am Morgen des dritten Juni Mansfield Tracy Walworth in verbrecherischer Absicht und unter dem Frieden des Volkes des Staates New-York vom Leben zum Tode brachte. Meine Pflicht als öffentlicher Ankläger erlischt in diesem Falle, indem ich hiermit auf die Urtheilsfällung nach dem Gesetze antrage.“

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