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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Ziegler an der Jubelfeier seines siebzigjährigen Geburtstages diese anerkennenden Worte in den Mund legte, wenige Tage vor jener denkwürdigen Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses, in welcher Eduard Lasker mit der wuchtigen Waffe seiner Rede wie ein Blitz herniederfuhr in die corrumpirte Atmosphäre des preußischen Handelsministeriums. Der Reichstagsabgeordnete für Breslau, der lange vor Bildung der nationalliberalen Partei, schon im Anfange des Krieges gegen Oesterreich, im Namen jener parlamentarischen Demokratie von 1848, um deren willen er Freiheit und Amt hatte opfern müssen, in Schlesiens Hauptstadt das nationale Banner entfaltet hatte, der aber nichtsdestoweniger den Grundsätzen des Rechts und der Freiheit, welche den Inhalt seines langen Lebens bildeten, treu geblieben war, der ehemalige Oberbürgermeister von Brandenburg, durch dessen stets geistvoll zündende Reden noch immer etwas wie das Pathos der Märzrevolution klingt, war jedenfalls in erster Linie berechtigt, die Verdienste und den sittlichen Werth des Mannes zu würdigen, der unter den Gründern und Führern der nationalliberalen Partei die erste, wenn auch leider nicht immer maßgebende Stelle einnimmt. Der Schreiber dieser Zeilen steht auf dem Standpunkte, daß er noch heute die Bildung der nationalliberalen Fraction, die im Herbste des Jahres 1866 erfolgte, nicht als ein nationales Glück betrachtet, weil die Trennung der bewährtesten Männer, welche bisher Schulter an Schulter für die Einheit Deutschlands, zugleich aber für die Aufrichtung des Rechtsstaates und die Durchdringung desselben mit den Grundsätzen der Freiheit und Gleichheit gekämpft hatten, in zwei verschiedene Heerlager in der großen Masse der Nation die falsche Meinung hervorrufen mußte, als ob Freiheit und Einheit Deutschlands Gegensätze und nicht vielmehr sich gegenseitig ergänzende Bedingungen der Macht und Größe des Vaterlandes seien. In diesem Sinne möchten wir behaupten, daß trotz mancher Meinungsverschiedenheit, wie sie im politischen Leben selbst unter den am nächsten stehenden Freunden kaum zu vermeiden sind, Eduard Lasker auch heute noch an dem Programm und an den Grundsätzen festhält, auf welche hin er im März 1865 vom Berliner vierten Wahlkreise in das preußische Abgeordnetenhaus gewählt worden ist, und die ihn zum Anschlusse an die Fraction der deutschen Fortschrittspartei bewogen.

Lasker’s Stellung innerhalb der nationalliberalen Partei, wie überhaupt innerhalb des parlamentarischen Lebens des letzten Jahrzehnts, wird durch einen kurzen Rückblick auf seinen Entwickelungsgang erklärlich, der zugleich den Schlüssel für seine eigenthümliche Begabung und seinen durchaus harmonischen Charakter liefert. Am 14. October 1829 wurde Eduard Lasker in der kleinen Stadt Jarorin an der polnischen Grenze geboren und wuchs unter patriarchalischen Verhältnissen heran, wie sie Bernstein in „Mendel Gibbor“ und „Vögele der Maggid“ so meisterhaft geschildert hat. Sein Vater war ein Kaufmann, der seiner Redlichkeit und seines pflichttreuen Charakters wegen in der kleinen jüdischen Gemeinde, der er angehörte, eines großen Ansehens sich erfreut haben muß, denn noch heute steht seine patriarchalische Einfachheit und Humanität in gutem Andenken. Die ziemlich zahlreiche Familie scheint überdies wohlhabend gewesen zu sein, da die Eltern sich in den Stand gesetzt sahen, ihren Kindern eine verhältnißmäßig gute Erziehung zu Theil werden zu lassen. Den Kindern wurde ein Hauslehrer gehalten, wahrscheinlich ein Rabbinatscandidat, der ihnen zunächst die Kenntnisse des Hebräischen und insbesondere der gelehrten Bücher der Juden beizubringen hatte. Bei diesem Unterrichte soll der kleine Eduard schon als Kind eine erfreuliche Auffassungsgabe, scharfen Verstand und seltenes Gedächtniß entwickelt haben; schon als achtjähriger Knabe widmete er, wie erzählt wird, seinen Eltern eine hebräische Uebertragung des Schiller’schen Gedichtes „Die Theilung der Erde“. Im dreizehnten Jahre, bekanntlich dem Alter der Einsegnung für jüdische Knaben, war er in den biblischen Schriften schon vollständig bewandert; auch dem Studium des Talmud gab sich der lernbegierige Knabe mit unermüdlichem Eifer hin und legte dadurch frühzeitig den Grund zu einer scharfen, stets treffenden und durchdachten Ausdrucksweise. Der frühzeitige Verlust der Mutter, einer schlichten, aber durch Lebensklugheit ausgezeichneten Frau, war die Veranlassung, daß Eduard mit seinem älteren Bruder nach Breslau übersiedeln mußte, um dort das Gymnasium zu besuchen. Mit demselben Eifer, den Eduard bisher auf das Hebräische und des Studium des Talmud verwandt hatte, suchte er sich jetzt die Kenntniß der lateinischen und griechischen Sprache anzueignen und in den Geist der griechischen und römischen Classiker einzudringen. Er war bereits vierzehn Jahre alt, als er in die Quarta des Gymnasiums aufgenommen wurde, und da seinem ungestümen Wissensdrange es nicht nur leicht wurde, die vorhandenen Lücken in seinem Wissen schnell auszufüllen, sondern auch ungewöhnlich schnell die langsamen Classenstufen zu überspringen, so zog er es vor, das Gymnasialstudium aufzugeben und sich selbstständig auf das Abiturientenexamen vorzubereiten. Es verbindet sich, wie man hier deutlich sieht, in Lasker’s Entwickelung jene Sicherheit, welche das autodidaktische Studium verleiht, mit der Gründlichkeit, die allein durch eine regelrechte Ausbildung gewonnen werden kann. Der Arbeitslust und der Charakterfestigkeit des strebenden Jünglings gelang es, seine Vorbereitung in wenigen Jahren so weit zu fördern, daß er bereits Ostern 1847, also im Alter von siebzehnundeinhalb Jahren, die Abiturientenprüfung bestehen und die Universität beziehen konnte. Er hatte die Absicht, Medicin zu studiren, da sein Vater widerstrebte, aufgegeben und widmete sich anfangs dem Studium der Mathematik.

Seine erste Studienzeit fiel in das Erwachen des politischen Lebens in Deutschland, und Lasker scheint den Ereignissen des Jahres 1848, welche bekanntlich in Breslau zu einer besonders großen Erregung der Gemüther führten, das eifrigste Interesse gewidmet zu haben. Sehr wahrscheinlich erscheint es mir, wenn auch sichere Nachrichten darüber mir nicht vorliegen, daß Lasker sich auch am regen burschenschaftlichen Leben, welches zu jener Zeit in der Viadrina sich entwickelte, lebhaft betheiligt hat. Das politische Interesse scheint den jugendlichen Studenten so sehr gefangen genommen zu haben, daß er in Wien, wohin er sich gerade in den blutigen Octobertagen begab, um unter Leitung des Professors Endlicher sein Studium fortzusetzen, in die berühmte akademische Legion sich aufnehmen ließ, welche unter Messenhauser und Robert Blum die Hauptstadt Oesterreichs gegen die Schaaren Windischgrätz’s und die Kroatenhorden Jellachich’s zu vertheidigen versuchte. Diese revolutionäre Sturm- und Drangperiode scheint bei dem besonnenen Jünglinge indessen sehr bald vorübergegangen zu sein. Seine Beschäftigung mit dem politischen Leben der Nation, mit den öffentlichen Angelegenheiten; die Entwickelung der Ereignisse mögen wohl den in der rastlosen Gedankenarbeit früh gereiften Jüngling zu dem Entschlusse geführt haben, sich dem Studium der Jurisprudenz zu widmen. Im Jahre 1850 absolvirte er sein Auscultatorexamen; im Jahre 1852 bestand er die zweite Staatsprüfung. In diese Zeit fällt der Tod seines innig geliebten Vaters, und vielleicht, um sich über den schmerzlichen Verlust hinwegzuhelfen, wohl auch, um Erholung von seiner angestrengten Berufsthätigkeit und den sonstigen Arbeiten, denen er oblag, zu finden, begab er sich auf längere Zeit nach England. Hier, im Mutterlande des Constitutionalismus, wo die parlamentarische Regierung nicht nur dem Scheine nach, sondern in Wahrheit besteht, wo die Grundsätze des Rechts und der Volksfreiheit in Fleisch und Blut der Nation und zugleich der leitenden Staatsmänner übergegangen sind, hier verweilte Lasker drei Jahre, die er zum eifrigsten Studium der Verfassung, der Verwaltung und der gesellschaftlichen Verhältnisse des englischen Volkes mit dem besten Erfolge benutzte.

Nach seiner Rückkehr im Jahre 1856 trat er auf’s Neue in den preußischen Staatsdienst ein und arbeitete seit 1858 als Assessor am Berliner Stadtgericht mit dem angestrengtesten Fleiße, mit der größten Ausdauer, obgleich ihm, dem Juden, weder Beförderung noch sonst lohnende Aussichten sich eröffneten. Damals war es, wo ich persönlich Gelegenheit hatte, die Bekanntschaft des jungen, unscheinbaren Assessors zu machen, der als Commissar in einem Concurse eine der schwierigsten und verwickeltsten Rechnungssachen zu bearbeiten hatte. Schon damals fiel mir die Leichtigkeit und Gewandtheit, die von seltener Geisteskraft getragene Sicherheit auf, die Lasker bei allen seinen Amtshandlungen an den Tag legte. Seine Arbeitskraft war geradezu unverwüstlich und wurde auch von seinen Collegen weidlich ausgenutzt. Ihm wurden mit Vorliebe die umfangreichsten und complicirtesten Sachen übertragen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_551.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)