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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Löcher und später von einem halbzölligen Brette große Spähne ab, obgleich bekanntlich gerade der Bambus ungemein hart ist und auch ein Brett den Arbeiten sehr fester Schnäbel lange widersteht. Mühe genug mag es den Vögeln bereiten, die Wochenstube auszuzimmern. Alle Arbeiten werden mit größter Vorsicht ausgeführt, weil es den mißtrauischen Geschöpfen ganz besonders darauf anzukommen scheint, das Nest nicht zu verrathen. Ist der Raum endlich fertig geworden, so beginnt das Weibchen seine Eier zu legen, bald darauf auch zu brüten. Und nunmehr wird es unter eigener Betheiligung vom Männchen eingemauert. Es wird Erde und verfaultes Holz, Andere sagen Lehm und Kuhdünger herbeigeholt, beides, vielleicht unter Beigabe des klebrigen Speichels, vermengt, daraus ein zu fester Masse erhärtender Baustoff gebildet und dieser über- und aneinander geschichtet, bis der Eingang der Höhle soweit geschlossen ist, daß nur eine kleine Oeffnung übrig bleibt, durch welche das Weibchen eben einen Theil seines Schnabels stecken kann.

Wie bei der Einmauerung verfahren wird, erzählt Horne, welcher Gelegenheit hatte, ein in der Nähe seines zeitweiligen Wohnhauses brütendes „Homrai“-Paar mit Hülfe eines guten Fernglases zu beobachten. In einem mächtigen Sissubaume (Dahlbergia sissoo) befand sich eine Höhlung, welche bisher von Papageien und Raken bewohnt worden war, gelegentlich aber besagtem Paare in’s Auge fiel und von ihm, unbekümmert um das Kreischen der Papageien und das Krächzen der Raken, gewaltsam in Besitz genommen wurde. Sie befand sich zwar nur drei Meter über dem Boden, war aber groß genug, dem Weibchen Arbeiten im Innern zu gestatten, und wurde deshalb auch trotz der Nähe des Hauses gewählt. Das Weibchen machte sich oft in ihr zu schaffen, und das Männchen beeiferte sich dann, es mit kleinen Pipulfeigen zu füttern. Eines Tages begann das Weibchen mit dem Verkleben der Oeffnung. Es nahm die dazu erforderlichen Stoffe von dem Boden der Höhlung auf und klebte sie rechts und links mit der Breitseite des Schnabels fest. Nach zwei oder drei Tagen war die Oeffnung bis auf eine fingerbreite Spalte verschlossen. Horne sah das Männchen niemals etwas anderes als Futter zutragen, sagt auch nicht, daß das Männchen beim Einmauern geholfen habe, während alle übrigen Beobachter und Berichterstatter angeben, daß dieses es sei, welches die Arbeit des Verklebens der Oeffuung besorge. Wie viel von den Angaben der Letzteren auf Mittheilungen der Eingeborenen beruht, lasse ich ungeachtet der Versicherung Tickoll’s, mit eignen Augen gesehen zu haben, daß das Männchen sein Weibchen einmauere, unentschieden; Horne’s Bericht scheint meiner Ansicht nach die meiste Glaubwürdigkeit zu verdienen.

In diesem abgeschlossenen Raume verweilt das Weibchen während der ganzen Brutzeit, mindestens zwei, vielleicht drei Monate lang, wird bald häßlich und schmutzig, verliert, vielleicht in Folge der innen herrschenden Hitze, einen großen Theil seiner Federn, mausert und kommt endlich nebst seinem oder seinen inzwischen ausgewachsenen Jungen wieder zum Vorschein. Das Männchen fliegt weit und breit nach Nahrung umher, erscheint mit solcher vor der Oeffnung, hängt sich am Stamme genau in der von Mützel dem Leben abgelauschten Stellung fest, knackt mit dem Schnabel, um seine Ankunft anzuzeigen, und atzt sodann das Weibchen, welches die Schnabelspitze durch die Spalte steckt. Während dieses sammt den Jungen, welche anfänglich einem Gallertklumpen mehr als einem Vogel gleichen, dick und fett wird, magert jenes in Folge der aufreibenden Thätigkeit zu Gunsten seiner gefräßigen Familie zu einer Jammergestalt ab und verkümmert förmlich. Es gönnt sich weder Rast nach Ruhe, denkt kaum an seine eigene Ernährung und scheint einzig und allein das Wohlsein von Gattin und Kindern zu erstreben. Das Nistgebiet wird nicht selten ausgeraubt oder ausgeplündert; die Ausflüge müssen also immer weiter, selbst bis in bewohnte Gegenden, ausgedehnt werden, und mit der zunehmenden Anstrengung wächst hier erklärlicher Weise auch die Gefahr für das eigene Leben. Alldem unterzieht es sich willig und bekundet damit ein Pflichtgefühl, welches ihm sicherlich zur höchsten Ehre gereicht. Ein Wunder wäre es nicht, wenn es, wie Horsfield ernsthaft als oft beobachtete Thatsache berichtet, im Bewußtsein treuer Pflichterfüllung etwaigen Undank für solche Aufopferung sehr übel aufnehmen und das Weibchen, welches in seiner Abwesenheit mit einem andern Männchen verkehrte, einmauern und elendiglich verkommen lassen sollte; Horsfield’s Erzählung ist jedoch sicherlich nur eine Wiedergabe unbegründeter Mittheilungen der Eingeborenen, und der Ruhm des treuen Gatten steht ungeschmälert da.

Aus welchem Grunde der brütende Nashornvogel gegen die Außenwelt sich abschließt oder abgeschlossen wird, ist räthselhaft. Horsfield und ebenso Layard meinen, es geschähe zum Schutze gegen die Affen, welche ebenso wie unsere verhätschelten Eichhörnchen abscheuliche Nesterplünderer sind; Bernstein glaubt, es finde lediglich aus Vorsorge statt, um zu verhüten, daß das fluglos werdende Weibchen aus dem Neste falle; ich vermag weder der einen noch der andern Erklärung beizustimmen. Gegen Affen weiß sich ein Nashornvogel sehr wohl zu vertheidigen; muß doch selbst der Mensch, welcher ein brütendes Weibchen ausheben will, durch besondere Vorkehrungen, Umwickeln der Hand und des Armes mit Tüchern und Lappen z. B., vor dem kräftigen Schnabel sorgfältig sich schützen, falls er nicht ernstlich beschädigt werden will. Auch würde dem bedrohten Weibchen unzweifelhaft sehr bald die Hülfe des Männchens werden; wenigstens fürchten dieses die Eingeborenen als nicht ungefährlichen Vertheidiger seiner Gattin und Brut. Ein Mann, welcher für Tickoll ein brütendes Homrai-Weibchen aus dem Neste holen wollte, wurde, als er den Arm in die von ihm in die Wand vor dem Baumloche gebrochene Oeffnung steckte, so heftig von dem innen sitzenden Vogel gebissen, daß er fast vom Baume herabgestürzt wäre, schien auch von dem Männchen, welches unter röchelnden Lauten bis dicht an die Menschen herankam, bedacht zu werden; wie sollte es also einem Affen oder sonstigen als Feind auftretenden Bewohner des Waldes anders ergehen? Ebensowenig dürfte das Weibchen in Gefahr sein, aus der Bruthöhle zu stürzen, und wenn dies wirklich der Fall wäre, würde eine einfache Schutzmauer zur Verhütung dieser Gefahr genügen. Es muß sich also um etwas Anderes handeln in dieser Wochenstube, und ich meine, daß die einfachste Erklärung vielleicht in dem Bedürfnisse nach stetiger Wärme für Mutter und Kinder zu finden sein möchte. Noch wissen wir hierüber bestimmte Auskunft nicht zu geben und dürfen deshalb Wallace beistimmen, wenn er die Thatsache des Einmauerns wunderbar nennt; denn das Wunder beginnt da, wo das Verständnis aufhört.




Blätter und Blüthen.

Theodor Lobe, Mittheilung von Holtei. Wenn man Ludwig Devrient, im Beginn ruhmreichster Laufbahn, im Besitz all seiner noch unverletzten, unentweihten Naturgaben, in vollster Frische seines Genies zu sehen das Glück genossen, da wird man ihn auch nicht vergessen als Shylock; da wird man ihn sich unwillkürlich zurückrufen, sobald irgendwo ein namhafter Repräsentant des räthselhaft-geheimnisvollen Juden den Schauplatz betritt. So mußte ich auch Ludwig Devrient’s gedenken, da ich im verwichenen Frühling Theodor Lobe vom Wiener Stadttheater auf der Breslauer Bühne, die seinen Namen trägt, als Shylock gastiren sah. Räthselhaft war mir, ich will’s nicht verhehlen, immer das Gebahren und Verfahren im vielfach auszulegenden Charakter des Shylock geblieben. Ich habe mir zuweilen mit der kühnen Erklärung zu helfen gesucht, im venetianischen Wucherer stecke der Gegensatz des weisen Nathan: Nathan der Weise will sich durch Edelmuth für ihm widerfahrene christliche Unbilden rächen; Shylock will es durch boshaften, tückischen Haß! – Aber mein Paradoxon hielt nicht vor. Ich lernte nicht enträthseln, wodurch des Geldmachers Neid auf einen blutigen Irrweg gelenkt wird, zu welchem im Gange seines Geschäftslebens gar keine Spur führt. Lobe hat mich’s begreifen gelehrt; er hat mir’s ad oculos demonstrirt. Die Scene im ersten Act zwischen Antonio, Bassanio und ihm gewährte eine psychologische Lösung dessen, was ich durch den oben „räthselhaft“ genannten Juden bezeichnen wollte. Den Vorgang, wie er im Herzen des von Durst nach Rache gequälten Shylock beginnt, wie man daraus den Durst nach Blut allmählich entstehen, wachsen, den Wucherer überwuchern sieht; diese künstlerische Steigerung dem Darsteller nachzuzeichnen, dem Leser anschaulich zu machen, dazu genügt meine schwache Feder nicht. Etwas dieser Art muß man selbst mit ansehen. Ich hab’ es gesehen. Ich habe dabei auch gehört; und ich habe hörend, wie sehend, bewundert. Der alte Streit: ob der Jude jüdeln (worin Ludwig Devrient, glaub’ ich, zu weit ging), oder ob er (nach Tieck’s oft vertretener Ansicht) den wilden Christenhasser, von jeglichem Jargon gesäubert, zum poetisch-gerechtfertigten Heros durch reinstes Hochdeutsch erheben soll, dieser unfruchtbare Streit wird beigelegt aus Lobe’s Munde. Wie er voll ruhiger Besonnenheit Manches rhythmisch abwägend vorträgt, so

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