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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

des blauen Himmels die einfache Ursache der blauen Farbe des Wassers sei. Gewiß ist, daß, wenn uns bei klarem Wetter seichte Bäche und Teiche aus einiger Entfernung blau erscheinen, in diesem Falle nur die Spiegelung des Himmelsgewölbes die Ursache ist. Umgekehrt aber ist es wahrscheinlich das Wasser allein, welches in fein vertheilter Gestalt dem Himmelsgewölbe seine wechselnde Färbung giebt. Die atmosphärische Luft ist, wie man annimmt, vollkommen durchsichtig, das Firmament müßte uns schwarz erscheinen, und wiederum sind es feine schwebende Körperchen, die einen freundlichen blauen Vorhang vor den finstern Abgrund des Weltalls weben. Allein die Entstehung dieser blauen Farbe muß hier auf ganz anderem Wege vor sich gehen. Bereits Newton hat vermuthet, daß das Himmelblau vielleicht in ähnlicher Weise durch Zurückwerfung der Lichtstrahlen von den Wandungen sehr dünner Wasserbläschen erzeugt werde, wie das Blau der Seifenblasen in der Nähe ihrer dünnsten Stellen. Im Jahre 1849 hat der deutsche Physiker Clausius diese Vermuthung durch genaue Untersuchung zu einem hohen Grade der Wahrscheinlichkeit erhoben, doch muß man annehmen, daß dieses blassere Blau der einzelnen Bläschen erst durch gegenseitige Zuwerfung der Strahlen die gehörige Stärke und jene wunderbare, beinahe schwärzliche Tiefe erlangt, welche das blaue Zelt des Gebirgs- oder Tropenhimmels auszeichnet. Eine solche Zuwerfung des Lichtes von einem Bläschen zum andern ist es nach Tyndall’s ansprechender Vermuthung auch, welche die Himmelsbläue mondloser Sternennächte erzeugt, indem auf solche Weise ein Theil des verborgenen Sonnenlichtes bis an den Mitternachtshimmel gelangt. Je mehr sich jedoch diese in der Luft schwebenden Dunsttheilchen verdichten, desto mehr verliert das Blau durch Vermehrung des gleichzeitig zurückgeworfenen weißen Lichtes an Tiefe und Reinheit, wie es denn selten in der Nähe des dünstereichen Horizonts dieselbe Schönheit zeigt, wie in den dem Zenithe näheren Regionen. Sobald sich aber diese Dünste zu Nebel oder Wolken verdichten, zersetzen sie das weiße Licht bekanntlich nicht mehr, sondern werfen es in unverändertem weißem Glanze zurück. Der Physiker Brücke hat endlich in neuerer Zeit durch eine scharfsinnige Betrachtung bewiesen, daß in ähnlicher Weise wie dünne Bläschen auch alle hinlänglich verdünnten Staub- oder Dunsttheilchen, kurz jede leichtere Trübung eines durchsichtigen Mittels wirken können, und hierin liegt die Erklärung des Goethe’schen „Urphänomens“, nach welchem jedes trübe Mittel, das sich vor einem dunkeln Hintergründe ausbreitet, zum Beispiel Rauch, eine bläuliche Färbung zeigen muß.

Die in den tieferen Luftschichten reichlicher vorhandenen Wasserbläschen und feinen Staubtheilchen sind es nun ohne Zweifel auch, welche, gemeinschaftlich wirkend, Dasjenige hervorbringen, was wir den Duft der Landschaft nennen. Nicht nur bringen sie jenes allmähliche Undeutlicherwerden der Umrisse und Farben und Verschwimmen der Ferne, welches der Maler unter dem Namen der Luftperspective begreift, zu Stande, und welches den hauptsächlichsten Anhalt für unsere Fernenschätzungen giebt, sondern auch jenen silbergrauen bis tiefblauen Duft der Ferne, welcher Berge und Wälder des Horizontes verschleiert. Diese besonders im Gebirge und in südlicheren Breiten sehr intensive, die Ferne verschönernde und Sehnsucht erweckende Farbe der „blauen Berge“ entsteht demnach in ganz ähnlicher Weise wie das Blau des Himmels selbst und ist wie dieses allerlei Schwankungen in seiner Tiefe und Reinheit unterworfen. Wenn starke Feuchtigkeit der Luft, wie sie dem Regen voranzugehen pflegt, oder ein eben beendigter Regen diese feinen Stoffe niedergeschlagen hat, erscheinen die Umrisse der Ferne schärfer, die den Horizont schließenden Bergketten dadurch scheinbar näher gerückt, und im ersteren Falle prophezeit man im Gebirge aus der guten Aussicht baldiges Regenwetter.

Dieses durch Zurückwerfung und Interferenz (gegenseitiges Einwirken der Lichtstrahlen auf einander bei ihrem Zusammentreffen) der Strahlen entstehende Blau des Fernenduftes hat nun mit dem Himmelblau und anderem zurückgeworfenem Lichte noch die besondere Eigenschaft gemein, zu seinem größten Theile polarisirtes Licht zu sein. Darauf gründet sich ein leichtes, erst in den letzten Jahren bekannt gewordenes Mittel, das polarisiere Licht des Landschaftsduftes abzublenden, und dadurch den die Ferne verhüllenden Schleier nach Belieben emporzuheben, schnell wie man den blauen Dunst der Pflaume abwischt, ehe man sie genießt. Dieses den Reisegenuß sehr erhöhende Mittel besteht in einer kleinen leicht mit sich zu führenden Vorrichtung, die man in allen optischen Läden kaufen kann, in dem seit lange bekannten und nach seinem Erfinder benannten Nicol’schen Prisma. Professor Hagenbach richtete zuerst im Jahre 1871 die Aufmerksamkeit der Gebirgsreisenden aus dieses einfache Mittel, den Horizont von dem jeder Fernsicht hinderlichen Dufte zu reinigen, welches in Verbindung mit dem Fernrohre auch dazu dienen kann, die in jenem Dufte verschwimmenden und dadurch unsichtbar werdenden Augenpuncte aufzusuchen und so gewissermaßen den Reisenden von der Unbill der Witterung zu emancipiren, das heißt, so lange es nicht gerade regnet oder nebelt, stets eine weite Aussicht zu haben. Aus den näheren Mittheilungen meines Freundes Dr. Thomas in Ohrdruf, welcher, ohne von Hagenbachs Beobachtungen Kenntniß zu haben, auf einer Alpenreise im Jahre 1871 das Nicol’sche Prisma zu ähnlichen Zwecken verwendet hatte, erlaube ich mir einige für Touristen gewiß interessante Einzelnheiten mitzutheilen.

Richtet man das Prisma nach einer Gegend des Himmelsgewölbes, welche von dem augenblicklichen Stande der Sonne um neunzig Grad entfernt ist, weil dort die Polarisation am stärksten ist, so sieht man bei der Drehung des Prismas die Bläue plötzlich zunehmen, und aus dem dunkler gewordenen Grunde erscheinen vorher kaum sichtbare Wölkchen plötzlich haarscharf und sich leuchtend abhebend. Am Horizont findet mit der Drehung des Prismas ein Schwinden und Wiederkehren des Landschaftsduftes statt, wobei in der richtigen Stellung sofort die fernen Hügelketten in jene Klarheit der Umrisse und scheinbare Nähe versetzt werden, wie man sie sonst, wie oben erwähnt, nur bei nahendem oder eben vorübergegangenem Regenwetter erblickt. Natürlich erscheinen dabei die Umrisse etwas lichtschwächer, weil eben ein Theil des Lichtes, nämlich alle polarisirten Strahlen abgeblendet sind. Dagegen gewinnen durch die Ablösung des Oberflächenschimmers alle Farben an Tiefe und Reinheit, und niemals sieht man das erquickende Grün der Wiesen und Matten satter und saftiger, als durch eine solche Vorrichtung, die den die Färbung beeinträchtigenden Glanz von den Halmen und Blättern nimmt. Die feinsten Schattirungen des Grüns entfernter Wälder und Felder sondern sich, sodaß das Bild an Plastik zu gewinnen scheint. Richtet man das Prisma auf eine Wasserfläche, so wird der Oberflächenglanz abgestreift, das Blau oder Grün des Gebirgssees erscheint leuchtender und lebendiger als je, und ist man dem Wasser nahe, so kann man den Blick tiefer in die krystallenen Fluthen versenken und Gegenstände darin sehen, die man vorher nicht erkannte. Mit einem Worte, allen Denen, welchen der Anblick der schönen Natur nicht so gleichgültig ist, wie dem weisen Sokrates, der lieber die Menschen studirte, oder dem Dr. Johnson, der da meinte, wenn man ein grünes Feld gesehen, habe man alle gesehen, wird eine solche Vorrichtung reichen Genuß gewähren, und wir wollen hinzufügen, daß sie auch die Betrachtung der Gemäldegalerien wesentlich erleichtert, indem sie den hinderlichen Firnißglanz entfernt und so die Betrachtung der Gemälde in allen Richtungen gestattet.

Wenn man die Seifenblase im durchscheinenden statt im auffallenden Lichte betrachtet, so erscheint der Theil, welcher vorher blau war, röthlich; ebenso erblicken wir die Sonnenscheibe auch in höherer Stellung geröthet, wenn ihre Strahlen durch Rauch oder trockne Nebel zu uns gelangen. Der Wasserdunst zeigt diese Fähigkeit nur in einem ganz bestimmten Verdichtungs-Grade, wie der Engländer Forbes zuerst bemerkte, als er die Sonne durch den Dampfstrahl eines geöffneten Locomotiv-Ventils betrachtete, wie man aber schon an dem Dampfe jedes Theekessels wahrnehmen kann. Sie erschien tieforange, als er nahe über der Ausstrahlungsöffnung durch den Dampfstrahl hindurchsah, während die verdichteten Dampfwolken und Nebel bekanntlich gar keine Rothfärbung der Lichtstrahlen veranlassen. Ein solches Uebergangsstadium des Wasserdunstes tritt nur bei der mit der untergehenden Sonne gleichzeitigen, im Gebirge und in den südlicheren Gegenden besonders starken Abkühlung der Luft ein, und giebt die noch nicht hinlänglich aufgehellten Bedingungen zur Entstehung der Morgen- und Abendröthe, jenes nie sättigenden Naturschauspieles, welches die Menschenbrust immer wieder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 537. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_537.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)