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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Lessing und Wieland dürfen gar nicht, von Schiller und Goethe darf nur Weniges mit specieller Bewilligung des Oberen gelesen werden; ohne specielle Erlaubniß darf man überhaupt nur die von Jesuiten herausgegebenen Werke und die vorgeschriebenen Schulbücher benutzen. Naturgeschichte, Geschichte und Geographie, sowie neuere Sprachen sind in den Lehrplan überhaupt nicht aufgenommen, können daher nur ausnahmsweise mit besonderer Bewilligung des Generals zu Rom gelehrt werden. Ich selbst genoß von diesen Disciplinen nur Unterricht in einer Art von Wissenschaft, die der vortragende Professor „Philosophie der Geschichte“ nannte, die er aber besser hätte „Theologie der Geschichte“ nennen sollen.

Der Hauptgedanke derselben, der aus Bibel, Tradition und Kirchenrecht dargethan wurde, war folgender: Sowie der Mensch als Individuum dazu geschaffen ist, Gott in Heiligkeit zu dienen, und je nach Erfüllung dieser seiner Bestimmung begnadigt oder verworfen wird, so sind auch die Völker als moralische Personen dazu da, Gottes Willen zu erfüllen. Weichen sie von dieser Norm ihrer Staatseinrichtungen ab, so gehen sie in Bildung und Nationalkraft zurück und müssen endlich vom Schauplatze der Geschichte verschwinden, wie es den Assyriern, Babyloniern, Syriern und Aegyptern, die sich am Volke Gottes versündigten, und diesem, weil es den Heiland verkannte, erging. Das römische Reich ging wegen seiner Immoralität und der Christenverfolgungen zu Grunde. Deutschland ward wegen seines Kampfes mit der Kirche durch Zersplitterung seiner Kraft in Folge der Erstarkung der Vasallen und wegen des Reformationsgräuels durch den dreißigjährigen Krieg, Oesterreich für das antipäpstliche Gebahren Joseph’s des Zweiten durch Napoleon gestraft u. a. m. Als moralisches Ganzes muß die ganze Menschheit einen König haben; dieser kann kein anderer sein, als Christus, der in der Schrift so oft als König der Völker dargestellt wird, dessen Vasallen also die Könige sind. Da aber Christus nicht mehr unter uns weilt, so hat er den Papst als seinen Stellvertreter mit seiner ganzen Macht bekleidet, der also folgerichtig das Recht der Herrschaft über Könige und Völker hat. Es war noch vor dem vaticanischen Concil, da Solches gelehrt wurde.

Die Theologie begreift einen kleineren und einen größeren Cursus. Den letzteren machen die Fähigeren durch, die ein gutes Examen in den philosophischen Disciplinen abgelegt haben. Die minder Fähigen müssen mit dem kleineren vorlieb nehmen und werden nur als Prediger und Beichtväter, nicht aber als Professoren verwendet. Im kleineren Cursus ist die sogenannte Moraltheologie die Hauptsache, die meistens nach Gury – schmachvollen Andenkens – behandelt wird. Dazu noch etwas Dogmatik, und der Theologe hat nach kaum zwei Jahren seine Studien absolviert. Zur biblischen Exegese, Kirchengeschichte und zum Hebräischen ist er nicht verpflichtet. Im größeren theologischen Cursus ist die scholastische Dogmatik die Hauptsache, die in vier Jahren bei täglich zwei Vorträgen und noch einigen Disputationsstunden wöchentlich tractirt wird; die Moral ist dieselbe, wie beim kleineren Cursus.

Aus der Betrachtung der Unvollkommenheit und Sündhaftigkeit der Welt und der Vollkommenheit, die im Orden herrscht, entwickelt sich im Jesuiten ein geradezu pharisäischer Stolz: Der Jesuit theilt nämlich die Welt in Rangstufen ein. Auf der untersten Stufe stehen die Nichtkatholiken und von den Katholiken diejenigen, die nicht an alle Dogmen glauben und im Wahne ihrer Verblendung dahin irren; dann kommen die gläubigen Laien, die zwar alle Mittel zur Seligkeit besitzen, aber doch noch (laut einer Offenbarung) wie Schneeflocken in die Hölle fallen; ferner die Weltpriester, die vielen Gefahren ausgesetzt und größtentheils noch sehr unvollkommen sind; endlich die Ordensleute, und von diesen am höchsten stehen die Jesuiten.

Es ist wohl nicht nöthig, dem hier Vorgelegten zum Schlusse mehr hinzuzufügen, als die Ermahnung zu der Bitte: „Herr, erlöse uns von dem Uebel!“




Das älteste Denkmal constitutioneller Volksrechte.


Es war am fünften Juli dieses Jahres, als der Erzherzog Rudolf, Kronprinz von Oesterreich, auf seiner Fahrt nach Hüttenberg den Kärnthener Bahnzug am Zollfelde halten ließ, um mit seinem Gefolge ein ehrwürdiges Denkmal zu besichtigen, eine Stätte, auf welcher seine Vorfahren, die Herzöge von Kärnthen, das Versprechen guter christlicher Regierung in die Hände des Herzogbauers gelegt haben – den Herzogsstuhl. Dieses Erinnerungszeichen, welches wohl das älteste Denkmal verbriefter Volksrechte genannt werden kann, liegt an der Landstraße von St. Veit nach Klagenfurt auf einem ausgedehnten Weidefelde.

Anknüpfend an den Besuch, den der österreichische Kronprinz dem historischen Ueberbleibsel uralter Volksrechte jüngsthin abstattete, führen wir unseren Lesern dieses interessante Vermächtniß früherer Tage heute in Bild und Wort vor.

Wo jetzt der Herzogsstuhl steht, befand sich früher die alte Römerstadt Virunum, die Haupt- oder doch eine der ersten Städte Noricum’s, die mit den zahlreichen Landhäusern vornehmer Römer sich weithin an den das Thal rings begrenzenden Bergabhängen ausdehnte; zu allen Zeiten und ganz vor Kurzem wurden hier schöne Funde aus der Römerzeit aus der Erde gegraben, die im Antikencabinet in Wien und im historischen Museum zu Klagenfurt aufbewahrt werden. Später aber im Mittelalter, nachdem die Stadt der Römer im Getümmel der Völkerwanderung lange zerstört oder verlassen worden, war die Gegend, auf der sie gestanden, wieder der Mittelpunkt neu beginnenden Culturlebens und gerade dieser Punkt der Schauplatz einer Ceremonie geworden, die wohl werth ist, unser Interesse in Anspruch zu nehmen.

Nicht fern vom Herzogsstuhl, von diesem aus sichtbar, liegt an einer mäßigen Anhöhe die Pfarrkirche Karnburg, in deren Nähe die alte Karantanerburg stand, welche der Hauptsitz der alten, besonders der slavischen Herzoge von Kärnthen war; in der Umgebung der noch vorhandenen Ruinen stand noch vor Kurzem der seitdem in das Museum von Klagenfurt übergegangene „Fürstenstein“, der mit zu der erwähnten feierlichen Ceremonie verwandt wurde. – Hier fand nämlich seit ältesten Zeiten bis zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts eine eigenthümliche, in vieler Beziehung merkwürdige Einsetzung und Huldigung der Herzoge von Kärnten statt, welche von den Chronisten ziemlich übereinstimmend in folgender Weise beschrieben wird.

Der vom Reiche mit Kärnthen belehnte Fürst, der nach altem Gebrauche eingesetzt werden sollte, begab sich mit seinem Gefolge auf das Saal- oder Zollfeld, wie die Gegend damals genannt wurde und noch jetzt genannt wird, und zwar zuerst nach der Karantanerburg. Der Fürst erschien im grauen, groben Bauerngewande mit einem rothen Gürtel, woran eine große Tasche hing, in die er Brod, Käse, sein Geräth und ein mit rothen Riemen gefaßtes Jagdhorn gelegt hatte. Darüber hatte er einen grauen Mantel geworfen. Auf dem Haupte trug er einen Bauernhut von gleicher Farbe mit einer Schnur und an den Füßen roth gebundene Bauernschuhe. In der Hand hielt er einen Stab.

Auf dem erwähnten Fürstenstein saß ein Bauer aus dem Geschlechte der Edlinger (auch Herzogbauer genannt), an welches dieses Recht durch Abstammung vererbt worden. Ihn umgab in weitem Kreise das Volk von Kärnthen. Es begann nun der Zug des Landesfürsten zu dem auf dem Steine sitzenden Bauern, wobei zwei aus den Edlen des Landes ihm zunächst gingen und ein gefleckter Stier und ein geflecktes Pferd geführt wurde. Hinter ihnen schritten im höchsten Prunke die Vornehmen und Edlen des Landes einher, darunter insbesondere der Graf von Görz als Pfalzgraf. Sobald der Herzog mit seinem Gefolge bei dem Bauer angelangt war, fragte ihn dieser:

„Wer ist dieser, den Ihr mit Euch einherführet?“ worauf die Begleiter erwiderten:

„Es ist der neue Herzog; ihn hat der Herr gesandt. Du sollst ohne Säumen ihm den Stuhl einräumen.“

„Das thue ich nicht!“ antwortete der Bauer, „wenn Ihr mich nicht versichert, daß er dessen werth sei.“

„Das geloben wir Dir,“ war die Antwort der Edlen, die der Bauer weiter fragte:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 534. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_534.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)