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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Wenn dieses Lager gewissermaßen das auswärtige Amt des Geschäfts bildet, so verbleiben der eigenen Production doch eine Masse verschiedener Oele, aller solcher nämlich, deren Rohstoffe entweder bei uns heimisch sind, oder die doch so reich an Oel und so haltbar sind, daß sie weiten Transport vertragen. Die Speicher der Fabrik beherbergen in tausenden von Säcken und Ballen die Erzeugnisse des Bodens von Frankreich, Italien, England, Rußland, China, Ceylon, Ost-, und Westindien, Südamerika, aus denen unter anderen das Kümmel-, Fenchel-, Coriander-, Anis-, Calmus-, Angelica-, Baldrian-, Cardamom-, Camillen-, Ingber-, Linaloe-, Majoran-, Iris-, Macis-, Patchouli-, Petersilien-, Pfeffer-, Piment-, Rainfarrn-, Sadebaum-, Sandelholz-, Schafgarbe-, Sellerie-, Senf- und Wachholderbeer-Oel gewonnen wird.

Wir treten nun in die eigentlichen Fabrikationsräume ein und beschreiben, um nur ein Beispiel von vielen zu geben, die Herstellung des Sandelholzöles. Das Oel findet sich in dieser aus Westindien kommenden Holzart, ähnlich wie das Terpentinöl in unseren Tannen, fertig gebildet in eigenen Behältern in dem Gewebe des Holzes aufgespeichert. Diese Behälter sind, um ihnen das Oel entziehen zu können, zunächst zu öffnen. Es geschieht, indem die langen Holzscheite einer äußerst sinnreich construirten Hobelvorrichtung ausgesetzt werden, in welcher, durch Dampfkraft getrieben, eine Anzahl von geriffelten Messern mit einer Geschwindigkeit von 300 Touren pro Minute sich um ein gemeinsames Centrum bewegen. Das Holz, welches ein Arbeiter leise an diese Hobel drückt, wird davon ergriffen, und in kürzester Frist in feine, krause Spähne verwandelt.

So vorbereitet, kommt das Holz zur Destillation. Die dazu dienenden Apparate sind an der linken Seite unseres Bildes dargestellt. Eine geräumige kupferne Blase, rings von Mauerwerk umgeben, um die ihr zu ertheilende Wärme besser zusammenzuhalten, nimmt die Holzspähne auf; nachdem alle Verschlüsse hergestellt sind, wird Dampf in den Apparat gelassen. Dieser durchdringt alle Theile des Holzes, erwärmt es und führt dabei das flüchtig-ätherische Oel mit sich fort. Das Gemisch von Oel- und Wasserdampf gelangt in eine lange, vielfach gebogene Röhre, die ihrerseits wieder mit einer weiteren Röhre umgeben ist, in welche sich unten während der Destillation ununterbrochen ein Strom von kaltem Wasser ergießt, um das innere Rohr abzukühlen. Die in dieses eintretenden Dämpfe werden dadurch verdichtet und wir sehen kurz nach dem Zulassen des Dampfes in die Destillationsblase einen Strahl milchig getrübter Flüssigkeit aus dem Kühlrohre abfließen. Nach kürzerer oder längerer Zeit wird diese Flüssigkeit klar, ein Beweis, daß alles Oel aus dem Holze im Destillirapparat durch den Dampf verjagt und mit dem Wasser in die Vorlage geflossen ist.

Nun wird der Zutritt des Dampfes abgesperrt, ein Verschluß am untern Theile des Apparats geöffnet und das von Oel befreite Holz herausgenommen; es dient dann, wie andere Hobelspähne auch, zum Feueranmachen. Gleich darauf wird die Blase mit frischem Holz gefüllt, und die Destillation beginnt von Neuem, um ohne Unterbrechung vom Morgen bis zum Abend fortgesetzt zu werden. Zehn mächtige Retorten verarbeiteten bei einem unserer Besuche täglich ganze Berge von Sandelholzspähnen, während noch achtzehn andere ähnliche Apparate Samen und Kräuter der verschiedensten Art destillirten. Den nöthigen Dampf liefern zwei große Kessel in einer Menge von durchschnittlich vierzigtausend Cubikmeter pro Tag; an Kühlwasser werden zweihundert Cubikmeter verbraucht.

Sehen wir nun, was weiter aus der milchigen Flüssigkeit wird, welche aus dem Kühlapparate abfließt. Sie gelangt in eine Reihe von Apparaten, die die Chemiker als Florentiner Vorlagen bezeichnen, in welchen das leichtere Oel sich an der Oberfläche sammelt, während das Wasser abfließt. In die letzte dieser Vorlagen kommt nur noch ganz wenig Oel; das Wasser fließt fast klar ab. Aber es riecht noch, und wo noch Geruch ist, da ist auch noch Oel. Viele Fabriken nehmen auf dieses im Wasser gelöste und suspendirte Oel keine Rücksicht und lassen damit einen Theil ihres Profites in den nächsten Rinnstein laufen. In unserer Fabrik geht jedoch nichts verloren. Das Wasser kommt in einen besondern Destillirapparat, im Mittelgewölbe unserer Zeichnung, in welchen aber nicht, wie bei der Destillation des Holzes, der Dampf frei einströmt, sondern die große Retorte mit einem Dampfmantel umgiebt und ihren Inhalt von außen erwärmt. Der Heizdampf tritt mit einer Temperatur von hundertdreißig Grad Celsius in den Dampfmantel und bringt dadurch das Wasser rasch zum Sieden. Mit dem sich bildenden Wasserdampfe verflüchtigt sich das Oel. Das Dampfgemisch tritt in ein oberhalb der Destillirblase liegendes Kühlrohr und wird hier verdichtet. Am Ende des Kühlrohrs befindet sich wieder eine Florentiner Vorlage, in welcher das Oel sich vom Wasser trennt; das Wasser fließt aus derselben beständig in den Destillationsapparat zurück, das Oel in der Vorlage zurücklassend. Nach genügend langer Erhitzung kann dann endlich das nun fast geruchlose Wasser aus der Vorlage beseitigt werden. Acht solcher Apparate, deren Construction den Herren Schimmel u. Comp. patentirt ist, sind beständig zu gleichem Zwecke thätig.

Das so aus dem Holze und dem Wasser gewonnene Oel genügt aber in seiner Qualität unseren Fabrikanten noch nicht. Es enthält noch gewisse harzige und schleimige Bestandtheile. Um diese zu beseitigen, kommt es mit Wasser in einen Destillationsapparat von ganz gleicher Construction wie der, welcher zur Gewinnung der letzten Oeltheile aus dem Wasser dient, und fließt dann, von Neuem durch Dampfwärme destillirt, als fertiges Product in die Vorlage ab.

Auf ganz gleiche Weise, wie wir es hier für das Sandelholz beschrieben, werden Kümmel-, Anis-, Coriander- und alle die verschiedenen Samen behandelt, mit dem einzigen Unterschiede, daß sie nicht wie das Holz gehobelt, sondern in eigens zu diesem Zwecke construirten und durch Dampfkraft getriebenen Maschinen zerquetscht werden.

Nicht ganz so einfach gestalten sich die Verhältnisse bei der Gewinnung der Oele, welche in den betreffenden Pflanzentheilen nicht fertig gebildet vorkommen. Zu diesen gehört das ätherische Oel der bitteren Mandeln und das Senföl. Wir wollen, um auch für diesen Zweig der Fabrication ein Beispiel zu geben, die Bereitung des Letzteren beschreiben. Der Samen des schwarzen Senfs enthält eine ganze Reihe von höchst interessanten Stoffen, von denen wir nur zwei für unsere Betrachtung wichtige hier namhaft machen wollen. Es ist die Myronsäure und das Myrosin. Letzteres ist einer von den im Pflanzen- wie im Thierkörper vielfach verbreiteten Stoffen, die sämmtlich durch eine gemeinschaftliche Eigenschaft charakterisirt sind. Sie besitzen die Fähigkeit, andere Stoffe bei Gegenwart von Wasser zu zersetzen, und verlieren diese Fähigkeit, sobald eine gewisse Temperaturgrenze überschritten wird.

Kommt dieses Myrosin in feuchtem Zustande, namentlich bei Erwärmung bis zur Blutwärme, mit Myronsäure zusammen, so wird letztere dadurch in Senföl verwandelt. Das Myrosin und die Myronsäure, jedes für sich, ist geruchlos, ohne ausgeprägten Geschmack; der beide Stoffe enthaltende schwarze Senf ist, nachdem er vollständig getrocknet, ganz geruchlos und würde, wenn wir trocken schmecken könnten, auch geschmacklos sein. Die geringste Menge von Feuchtigkeit genügt aber schon, um die eigenthümliche Wirkung des Myrosins auf die Myronsäure hervortreten zu lassen. Angefeuchtetes Senfmehl zeigt sofort den scharfen, stechenden Geruch des Senföls; die Feuchtigkeit der Zunge ist hinreichend, um das Myrosin zur Wirksamkeit gelangen und uns den Geschmack des Senföls wahrnehmen zu lassen. Andererseits läßt sich durch chemische Behandlung dem Senfsamen das Myrosin entziehen. Er liefert dann kein Senföl mehr; auf Zusatz des Myrosins entsteht sofort wieder Senföl. Dagegen verliert es seine Wirksamkeit, sobald man seine Lösung auch nur einen Augenblick gekocht hat. Ebenso liefert der Senfsamen kein riechendes Oel, wenn man ihn in kochend heißes Wasser wirft, oder wenn man heißen Wasserdampf auf den trockenen Samen wirken läßt, weil das Myrosin dadurch zerstört wird.

Außer diesen das Senföl liefernden Bestandtheilen kommt im Senfsamen noch eine reichliche Menge, etwa ein Fünftel seines Gewichts ausmachend, eines milden fetten Oeles vor. Dieses hat zwar auf die Bereitung des ätherischen Senföles keinen Einfluß, da aber in der Fabrik nichts Nutzenbringendes verloren geht, so ist auch dieses fette Oel Gegenstand der Production und deckt durch seine Gewinnung einen nicht unbeträchtlichen Theil der Unkosten.

In den Maschinensaal, in welchem die Kraft einer fünfundzwanzigpferdigen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 524. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_524.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)