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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Waldes, der andere höher hinauf, der dritte über eine Brücke führen, stand Dies:

Verliebte gehn im Thal,
Und Denker suchen Höhen;
Die Wahl hat ihre Qual,
Wir gehen, wo wir gehen.

Der König hatte sich eine Bank an einem tiefbeschatteten Gange gewählt, von der in’s Thal hinab es nur eine durch das Laub hoher Bäume gestattete Ansicht giebt, recht geeignet, den dunkeln Gängen des Schicksals nachzusinnen, die dieser hohe Herr zu machen hatte; die Königin dagegen einen sonnigen Hügel, mit Rosen aller Art bepflanzt, neben einer Wand hoher Bäume, von dem eine reizende Aussicht nach dem im Abendlichte glänzenden Frischen Haff dem Auge geöffnet ist. Die königlichen Kinder ergötzten sich an dem Bache und den verschiedenen Quellen im Garten, die Steine und Dendriten mit sich führten.

Während dieses Aufenthaltes im Busolt’schen Garten studirte die Königin mit großem Eifer die Vorlesungen des damaligen Professors Süvern zu Königsberg über die allgemeine Geschichte des neuern Europa, von welchen ihr der Kriegsrath Scheffner, der durch seine Selbstbiographie auch in weiteren Kreisen bekannt geworden ist, eine Abschrift verschafft hatte. Die Königin bewies bei der Beurtheilung der einzelnen Geschichtsmomente einen seltenen Scharfsinn und in der Unbefangenheit ihrer oft sehr kindlichen Fragen eine unwiderstehliche Liebenswürdigkeit. In allen ihren Ansichten über die Geschichte und den Briefen an Scheffner trat ihr deutscher Sinn und ihre Vorliebe für germanisches Wesen sehr lebhaft hervor. Andererseits aber waren ihre Kenntnisse in der alten Geschichte sehr naiver Natur.

„Welche Kriege nennt man die punischen Kriege?“ fragte sie einmal. „Gingen sie alle gegen Carthago? Die Gracchischen Unruhen, welche sind die? Verzeihen Sie, Sie haben es mir aber erlaubt –“ und dann zum Schluß sagt sie: „Nun ist es wahrlich genug, und ich habe Sie schön mit Fragen belästigt. Fragt man aber nicht und schämt sich seiner Einfalt gegen Jeden, so bleibt man immer dumm, und ich hasse entsetzlich die Dummheit.“

Scheffner wußte, daß die Königin an Herzensbildung und Gesinnungstüchtigkeit weit über ihrer ganzen Umgebung stand, und hatte stets die größte Verehrung für sie. Aber von dem Hofleben im Ganzen gewann er den allerschlimmsten Eindruck. „Wer Hofdienerey, hohe und niedere, nicht aus Noth übernimmt,“ sagt er, „mit dem steht es entweder im Kopf oder im Herzen, oft in beyden, nicht ganz recht.“ Und an einer andern Stelle: „Einen Hof wünsch’ ich aber nicht wieder zu schauen, denn ich glaube, an einem, den man mir als einen vorzüglichen gerühmet, doch wahre Wesenlosigkeit bemerkt zu haben.“ Man merkte es auch seinem fortwährenden Drängen und Treiben in den Briefen an die Königin an, wie sehr er eine durchgreifende Aenderung, namentlich auch in der Erziehungsweise des Kronprinzen, für geboten hielt.

Alle diese Vorgänge liegen in Folge der Zusammenwirkung von mancherlei Umständen unserem Bewußtsein in so weiter Ferne, daß wir über uns selbst den Kopf schütteln möchten, wenn wir uns sagen, daß der jetzt regierende Kaiser ein Sohn jener Königin Luise ist, um die sich bereits längst eine Art von Mythos gebildet hat. Das Jahr 1848 hat so tief in unsere Geschichte eingeschnitten, daß alles Vor und Nach wie durch eine weite Kluft getrennt ist. Seitdem ist wieder schon ein Viertel-Jahrhundert verflossen, und damals war die geliebte Königin schon achtunddreißig Jahre todt. Sie erlebte nicht einmal den Befreiungskrieg gegen Frankreich, das dann drei Dynastien gewechselt und zum zweiten Male eine republikanische Regierungsform angenommen hat, nachdem es in einem neuen Kampfe gegen Deutschland unterlegen. Deutschland aber hat den endlos langweiligen Deutschen Bund überwunden und sich nach so vielen vergeblichen Versuchen, zu einer Constitution zu gelangen, vor den Thoren von Paris einen Kaiser gegeben. Und Luise, die hohe Frau, die im Mausoleum zu Charlottenburg unter ihrem wunderbar schönen Marmorbilde begraben liegt, ist seine Mutter. Als sie starb, war Wilhelm dreizehn Jahre alt. In einem Briefe, den sie nicht lange vor ihrem Tode an ihren Vater schrieb, sagte sie: „Unsere Kinder sind unsere Schätze, und unsere Augen ruhen voll Zufriedenheit auf ihnen.“ Sie schilderte dann den Kronprinzen und fährt fort: „Unser Sohn Wilhelm wird, wenn mich nicht Alles trügt, wie sein Vater, einfach, bieder und verständig.“ Sie hat sich nicht getäuscht; aber mit diesen Eigenschaften allein wäre er doch nicht der „Kaiser Wilhelm“ geworden. Er war nur in diesen „wie sein Vater“; freilich hätte seine Mutter eine Seherin sein müssen, um zu rathen, was ihm bestimmt war, zu erreichen.

Der Kaiser hat im vorigen Jahre Luisenwahl angekauft. Auf dem Lieblingsplätzchen der Königin Luise wurde im Juni 1871 eine Friedenslinde gepflanzt. Sie hat kräftig Wurzel geschlagen, und am letzten 2. September, dem Tage bei Sedan, ist sie Zeuge eines wahrhaften Volksfestes gewesen. Damals wurde auch der Grundstein zu einer würdigen Einfriedigung gelegt, deren Kosten durch Beiträge der Bürger aufgebracht wurden. Als Kaiser Wilhelm kürzlich auf der Reise nach Petersburg in Königsberg rastete und den Busolt’schen Garten besichtigte, machte er dem Comité das Versprechen, ein Standbild der Königin Luise zur Aufstellung auf diesem steinernen Unterbau zu schenken. Es kann keine sinnigere Stelle finden, als auf dem Platze, den die um die Zukunft ihres Volkes tief bekümmerte Königin durch ihre Thränen geweiht hat, und unter dem Schatten der Linde, die zum Andenken an den ruhmreichsten Frieden der deutschen Nation gepflanzt ist.

E. W.




Zur Erinnerung an Wolfgang Müller von Königswinter.
Von Adolf Ebeling.


Es war in Paris, im Frühjahre 1869, als mir eines Morgens ein kleines Postpaket gebracht wurde, das, von einem freundlichen Briefe begleitet, ein Buch und zwar eine Gedichtsammlung enthielt, unter dem Titel „Loreley, rheinisches Sagenbuch von Wolfgang Müller von Königswinter“. Diese Sendung wurde durch den Umstand erklärt, daß ich die Redaction des „Düsseldorfer Künstler-Albums“ übernommen, die früher mehrere Jahre lang in den Händen Müller’s gewesen, und daß ich mich an ihn wegen mancher nöthigen Auskunft gewendet hatte. Diese „Loreley“ war mir wie ein herzlicher Gruß aus der Heimath, welcher ich so lange Zeit, wenn auch nicht entfremdet, so doch fern gewesen, und so war es mir eine doppelt willkommene Gabe. Ich machte auf den Blättern gewissermaßen eine Rheinreise im Geiste, denn auch den Rhein kannte ich damals noch nicht, und die brillanten Pariser Boulevards und Elyseischen Felder traten auf einmal ganz in den Hintergrund gegen die romantischen Ufer des heimischen Stromes, die der Dichter so anziehend und sinnig, so echt deutsch besang.

Im Herbste desselben Jahres, wo es mir endlich vergönnt war, zum ersten Male wieder nach Deutschland zu kommen, lernte ich auch Wolfgang Müller persönlich kennen und zwar in Düsseldorf, und was mir am interessantesten war, im Atelier eines jungen ungarischen Malers. Nun ist es auch wohl Dir, lieber Leser, schon manchmal im Leben ergangen, daß man sich von irgend einem Dichter oder Schriftsteller, oder sonst von einer bedeutenden Persönlichkeit, die man bis dahin nur aus ihren Werken oder durch Briefwechsel kannte, ein bestimmtes Bild im Voraus entwirft, das aber nur selten zutrifft, denn in der Regel ist das Original ganz anders. Mir wenigstens ist es schon oft passirt. Hier aber bei Wolfgang Müller war dies nicht der Fall, denn gerade so, oder doch ganz ähnlich, hatte ich ihn mir gedacht. Eine große, stattliche Figur, ausdrucksvolle kräftige Züge, in denen aber Wohlwollen und Güte vorherrschten, und dazu ein lebhafter, geistreicher Blick, treuherzig und offen – das konnte schon recht gut der Poet sein, der, am Rheine geboren, groß geworden war an den Ufern des herrlichen Stromes, der schon als Jüngling von Berg zu Thal, von Thal zu Berg an ihm entlang gepilgert war, hinauf und hinunter, und der bereits längst, bevor die laute Welt ihn kannte, gesungen hatte: „Wo ich bin, wo ich gehe – mein Herz ist am

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 508. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_508.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)