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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


Erker mit drei Fenstern gelten; die untere Front hat je sechs Fenster. In diesem Heim war es, wo für Uhland die stillen und klaren Lebensfluthen der besten Mannesjahre dahinflossen, an der Seite seiner verständnißvollen Gattin, Emilie Vischer von Calw. Der liebethätige Sinn des Ehepaares fand, obwohl die Verbindung kinderlos blieb, reichliche Nahrung in aufopfernder Fürsorge für viele Verwandte, namentlich solche auf Seite der Frau, die zahlreiche Geschwister besaß, und für Pflegesöhne. Hier liebte er dann zwanglos mit seinen näher oder entfernter wohnenden Freunden zu verkehren, unter denen wir außer den bereits genannten noch Gustav Schwab, Pfarrer in Gomaringen bei Tübingen, Eduard Mörike, den Aesthetiker Vischer, die Gebrüder Pfizer und die noch jetzt in Tübingen lebende höchst liebenswürdige und anspruchslose Ottilie Wildermuth aufführen wollen. Hier wurde er aber auch von jenen Dichterbesuchern geplagt, die ihn meist sehr einsilbig und trocken fanden, was er unter guten Freunden nicht war. In größte Verzweiflung konnte er dabei gerathen, wenn er durch einen solchen Fremden um „eine Zeile von seiner Hand“ gebeten wurde. Aus einer gewissen Befangenheit mochte herrühren, daß er zu derartigem Improvisiren sich selten aufgelegt fühlte. In heiterer Laune rieth ihm Kerner einst zu dem Gedenkvers:

„Mit Ihrem Album
Bringen Sie mich um!“

Uhland’s Grab, dessen Geburts- und Wohn-, sowie Sterbehaus in Augenschein zu nehmen (vergleiche Gartenlaube Nr. 30), wird der Deutsche beständig lieben. Zu diesen Stätten zu pilgern, sei es in Gedanken, sei es in Wirklichkeit, gewann einen erhöhten Reiz durch die Enthüllung und Einweihung des neuen Uhlanddenkmals am 14. Juli dieses Jahres.

Warum gerade der 14. Juli gewählt wurde? Die beiden Gedenktage, Geburts- und Sterbetag, waren zu einer blumigen und sonnigen Feier gleich ungeeignet. Gerade vor neunundsechszig Jahren soll aber an diesem Tage Uhland seine „Sterbenden Helden“, das erste Gedicht von durchschlagender Wirkung, verfaßt haben.

Ein wundervoller Morgen, wie er schöner kaum gedacht werden kann, war angebrochen. Noch perlte der Thau in den Wiesen. Um mich her breitete sich das Neckarthal aus; die mächtigen, zu langen, schattigen Laubdächern in einander verwachsenen Baumgänge, welche sich neben Tübingen hinstrecken, eine Linden-, Kastanien- und Platanenallee, wie sie in solcher Ueppigkeit selten gefunden werden, waren einst der Ort für die Lieblingsspaziergänge des Dichters. An die Platanenallee grenzte der Festplatz. Zwischen demselben und dem Bahnhofsgebäude liegt der noch ziemlich unbebaute Uhlandplatz, wo die Hülle des Standbildes leis und geheimnißvoll im Morgenwinde rauschte.

Der Festplatz war schon angefüllt, und immer höher fluthete die Menge hinein und heraus die Straßen der festlich geschmückten Stadt. Zu den Eichenkränzen und halbkreisförmig aufgehängten Tannengewinden, den schwarzweißrothen und schwarzrothgelben Fahnen, Rosetten und langen Schleifen in denselben paßte nichts besser, als der eigenthümliche Untergrund der meisten Tübinger Häuser. An mit Blumen verzierten Dichterbildern und Büsten fehlte es selbstverständlich nicht, von den kleinsten und unscheinbarsten bis zur gelungenen Kolossalbüste, neuerdings vom Bildhauer Rau in Stuttgart gefertigt, die in einem Buchladenfenster ausgestellt war.

Welche rege Betheiligung des Schwabenvolkes! Neben dem schlichten Rocke des Landpastors und dem modischen Kleide des Städters die malerische Tracht des Landvolkes, die grünen Manchesterwämser und scharlachrothen, mit silbernen Kugelknöpfen besetzten Westen, – dann die bunten, mit Goldborte durchzogenen Mieder der Mädchen. – Hier und da ließ sich schon eine der hundert „weißgekleideten Festjungfrauen“, mit Epheu im Haar und die unvermeidliche schwarzweißrothe Schärpe umgethan, sehen. Und über dem Allen das ehrwürdige Schloß, in den blauen Aether ragend.

Da erblickte mich im Gewühl ein Tübinger Bekannter von der gestrigen Fahrt her. Wir gingen ein Stück Weges zusammen und er theilte mir bereitwillig mit, was er über die Vorgeschichte des Denkmals wußte.

„Schon drei Tage nach Uhland’s Begräbniß fanden sich Tübinger Freunde und Verehrer des Dichters auf dem Rathhause ein, um die Aufgabe zu übernehmen, ein dem Dichter und dem deutschen Volke würdiges Denkmal zu errichten. Wohl war es ein glückliches Zusammentreffen, daß der Ausschuß des schwäbischen, zugleich geschäftsführender Ausschuß des deutschen Sängerbundes, denselben Gedanken hegte und pflegte. Stuttgarter und Tübinger bildeten darauf einen Uhlandverein.“

„Von vornherein war gewiß im Sinne Aller, daß Tübingen die Stätte des Denkmals werden sollte?“

„Eigentlich immer. Ein Aufruf wurde erlassen, der weit über Deutschlands Grenzen hinaus den freudigsten Anklang fand. Die Sammlungen ergaben bald über zweiunddreißigtausend Gulden. Wie begeistert aber die deutsche Künstlerwelt den Gedanken aufgriff, Uhland in Erz verherrlichen zu dürfen, davon zeugten zweiunddreißig eingesandte Entwürfe mit schönen Motiven. Drei wurden mit Preisen von je tausend Gulden bedacht. Die eigentliche Wahl entschied sich für den Entwurf des Bildhauers Gustav Kietz in Dresden. Das Modell wurde 1870 bis 1872 in der Erzgießerei des engern Vaterlandes von Wilhelm Pelargus in Stuttgart ausgeführt. Beide Künstler sind heute gegenwärtig. Die Zeichnungen zum Stufenbau, Sockel und etwas massiven Geländer rühren vom Professor Nicolai in Dresden her.“

Noch am Morgen ging die Enthüllungsfeier vor sich.

Wovon soll ich aus der Reihe der Einweihungsfestlichkeiten den Lesern der Gartenlaube nun post festum berichten? Von dem schönen, langen Festzuge, an welchem unter Andern siebenundzwanzig Gesangvereine mit sechshundert Sängern theilnahmen, oder von der tiefempfundenen Festcantate, deren Componist, der Stuttgarter Musikdirector Dr. Faißt, die Aufführung persönlich leitete, oder endlich von der schönen und langen Festrede des Tübinger Professors der Aesthetik, Köstlin? Gar heiß brannte die Sonne auf den unbedeckten Festplatz. Der ergreifendste und bleibendste Moment der Feier war jedenfalls der Augenblick der Enthüllung selber. Sehr sinnig hatte man ausgedacht, von zwei jugendlichen Gestalten, den einzigen näheren Verwandten des Dichters, Kindern des einzigen Sohnes der einzigen Schwester Uhland’s, Ludwig und Luise Mayer, die Hülle wegziehen zu lassen. Rührend sah die liebliche, schüchterne Mädchengestalt dabei aus. Die Leinwand fiel – endloser Jubel, Hochrufen, Hüteschwenken und Kanonendonner!

Nun erschallte Uhland’s „An das Vaterland“ in Conradin Kreutzer’s, des schwäbischen Sohnes, den Uhland hoch verehrte, kräftiger Composition: „Dir möcht’ ich meine Lieder weihen, geliebtes, deutsches Vaterland!“ – Dann die Siegesbotschaft. Keiner hat die Uhland’schen Weisen besser nachempfunden und in Musik zu setzen verstanden, als dieser Componist. Und darauf wurden Lorbeerkränze an das Denkmal niedergelegt – vom schwäbischen Sängerbunde, von den Turnern, von der Volkspartei. Die junge Schwäbin, welche einen Kranz brachte im Namen ihrer Festgenossinnen, sprach wohl die Empfindung mancher deutschen Jungfrau aus:

„Wir haben mit Freude und Liebe auf Deine Lieder gelauscht –
Durch der Seele erstes Erwachen hat Uhland’s Harfe gerauscht.“

Urkundlich und feierlich war mittlerweile der Stadt Tübingen das Denkmal vom Vorsitzenden des Festausschusses, Rechtsanwalt Gös, übergeben worden. Die Menge verlief sich.

Da stand es nun, das neue Standbild eines der größten deutschen Dichter, blankes Erz bis auf den Sockel, funkelnd in der Sonne. Das war der Mann, dem, wie der zuletzt erwähnte Redner gesagt hatte, „das Murmeln der klaren Neckarfluthen das Wiegenlied gesungen, dem die blauen Umrisse der heimischen Berge, das saftige Grün der Thäler, das Rauschen der dunkeln Wälder, der Lerchenwirbel und das Wogen der heimischen Felder die dichterische Empfindung geweckt, dem der Kranz der Burgen, welche die Felsenhöhen der Gegend zieren, die Liebe und Begeisterung für die Vorzeit aufschloß, für den die Geschichte der städtischen Kämpfe um Bürgerfreiheit und vor Allem der den Namen Tübingens tragende Grundvertrag des Württemberger Landes auf seine Entwickelung als entschiedener Volksmann von größtem Einflusse war.“

Uhland war und ist, wie Otto Jahn sagt, ein „Hausgeist des deutschen Volkes“. Das Fest der Enthüllung seines großartigen Denkmals mußte demnach als Nationalfest angesehen werden. Leider ist uns dabei ein Tropfen Wermuth nicht erspart

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 505. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_505.JPG&oldid=- (Version vom 4.8.2020)