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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


können, das Schmerzlichste in seinem Zustande sei. In der ganzen Zeit seines Leidens, seit Anfang März, schrieb er keinen Brief mehr. Kränker noch kehrte er nach Hause zurück. Seine geistigen und körperlichen Kräfte schwanden mehr und mehr. Heftige Athmungsbeschwerden stellten sich ein. Ruhig und gefaßt sah er seinem Ende entgegen. Zuletzt wurden der lichten Augenblicke seines Geistes immer weniger, – die körperliche Schwäche nahm endlich ganz überhand.

Sein Begräbnißtag war ein Sonntag. Wohl an tausend Leidtragende geleiteten den mit zwölf Lorbeerkränzen verzierten Sarg von dem Trauerhause auf den Friedhof. Zu beiden Seiten des von vier Pferden gezogenen Trauerwagens gingen je vier Studenten, der Zug selber wollte kein Ende nehmen. Die gewaltige, besonders hoch emporragende Fahne des schwäbischen Sängerbundes hatte vor nicht länger als fünf Jahren am Hause des Dichters ihre Weihe empfangen. In den trüben Novembertag hinein hallte zuerst das Lied, welchem ich jetzt am milden Sommerabend wieder gelauscht hatte. Der Geistliche, welcher damals die meisterhafte Leichenrede hielt, wohnt gegenwärtig in des Dichters Haus. Mit prophetischem Geiste sprachen damals auch Genossen der schwäbischen Dichterschule an seinem Grabe, vorab, mit schwerem Schmerze ringend, sein vertrautester Freund, der seitdem ebenfalls verstorbene Tübinger Oberjustizrath Karl Mayer, dann J. G. Fischer. Wohl tönte es wieder von den Bergen, als dieser ausrief:

– „wenn du erscheinst, du Geist der Zukunft,
Suchst du unter den Namen, die für Deutschlands
Sieg und Ehre im Vordertreffen stritten,
Und du wirst rufen: Ludwig Uhland!“ –

Und der Geist der Zukunft hat gerufen! –

Unterdessen war ich vom Friedhof zurück über den Marktplatz gegangen, den mit Uhland’s neuem Denkmale zu schmücken zur Zeit auch, freilich nur vorübergehend, angeregt wurde. Derselbe bietet, zumal in architekonischer Hinsicht, einen recht geeigneten und dankbaren Hintergrund. Dann hätte allerdings der schöne, in prachtvollem Renaissancestil ausgeführte Marktbrunnen mit dem achteckigen großen Behälter, in welchen vier Löwenköpfe das klare Quellwasser speien, aus der Mitte weichen müssen.

Tübingen liegt auf dem Rücken zweier Berge, von denen der eine, der Schloßberg, auf seiner Höhe das vom Herzog Ulrich erbaute Schloß Hohen-Tübingen trägt; der andere ist der Oesterberg. Die sogenannte obere Stadt zieht sich vom Schloß abwärts am Markt vorbei. In dieser Gegend liegt die Straße „Neckarhalde“. Hier, wo sich eine fensterreiche Häuserfront im Neckar wiederspiegelt, steht unter anderen ein schlankes, grünfarbenes Haus mit bogenartiger altmodischer Eingangsthür und hohem schmalem Giebel, Nr. 139. Zwar nach sehr kleinbürgerlichem Schnitt, bietet dasselbe dagegen die freundlichste Aussicht in’s Neckarland und Steinlachthal. Eine provisorische Gedenktafel während des Festes und früher eine jetzt weggewischte Maueraufschrift enthielten das bedeutungsvolle Datum „den 26. April 1787“. Wir stehen vor dem Geburtshause Ludwig Uhland’s, welches sein Vater, der Universitätssecretär Johann Friedrich Uhland, zu jener Zeit gemiethet hatte. Doch zogen die Eltern bald nach seiner Geburt in eine andere Wohnung um, die in der Poststraße in dem vormals Stadtphysicus Dr. Uhland’schen Hause lag. Und hier wurde Ludwig als dritter Sohn – seine beiden Brüder waren indeß früh gestorben – mit einer einzigen, acht Jahre jüngeren Schwester Luise erzogen. Er war ein lebhafter, ja kecker Knabe und zu „Schwabenstreichen“ immer bereit, sodaß er die zartere Hälfte seiner Verwandtschaft oft in Schrecken setzte. Seinen festen Willen liebte er schon früh zu zeigen und hatte sich in den sogenannten Flegeljahren den Schwur angewöhnt, ihn solle „der Teufel holen“, wenn er dies oder das thäte oder nicht thäte. Die „kluge, verständige“ Mutter scheint bei seiner Erziehung größeren Einfluß auf ihn ausgeübt zu haben, als der Vater. Eine kleine Stube, in welcher Bruder und Schwester ihre Spiele zu machen pflegten, ist unter dem Namen „Dichterstübchen“ in Tübingen bekannt. In Versen versuchte er sich dort schon früh, bereits mit elf Jahren und war sogar darin ungemein fruchtbar. Ein ziemlich langes Gedicht, das sein Lehrer lesen sollte, den er wohl oft mit solcher Lectüre behelligt hatte, gab dieser unwirsch zurück: „Meinst denn, ich habe nichts zu thun, als Dein ‚Geversel‘ zu lesen?“ Ein solches ‚Geversel‘ aus dem vierzehnten Jahre in Hexametern, in denen der Knabe, auch im Lateinischen, besonders stark war, beginnt nun allerdings vielversprechend:

 „Unter der Tannen Umschattung, am Heiligthume der Schwermuth,
Sitz’ ich verschlungenen Arms über bemoostem Gestein“ – –

Ziemlich wenig ist bekannt, daß Uhland auch schon in seiner Jugend ein nicht unbedeutendes Talent zur Malerei hatte. Zu der Zeit theilte er sogar seine Neigung zwischen Poesie und Zeichnen. Ich selber habe während meines Aufenthalts in Tübingen drei hübsch ausgeführte Aquarelle gesehen, welche höchst wahrscheinlich echt Uhlandische sind. Sie stellen zwei Sommerlandschaften und ein Winterbild dar, wie er überhaupt mit Vorliebe Landschaften zeichnete. Das größte zeigt links in der Ecke ein Castell und rechts einen kleinen viereckigen Thurm. Hinter dem Castell ist Gebüsch und Wiesenboden, dazwischen ein kleiner Fluß, der vor dem Castell einen Wasserfall und See bildet. Vor demselben sieht man ferner einen größeren runden Thurm, der im See steht und sich darin in seinem unteren Ende abspiegelt; auf dem See zwei Bauern, welche in einem beladenen Kahne überfahren.

Ferner möchte wenig bekannt sein, daß das berühmte

„Als ich mich des Rechts beflissen,
Gegen meines Herzens Drang,“ –

darauf zurückzuführen ist, daß den Ausschlag für die Wahl der Jurisprudenz eigentlich die Zuwendung eines bedeutenden Stipendiums gab. Dasselbe konnten nur Juristen oder Theologen erhalten; zur Theologie hatte nun Uhland, trotz eines großväterlichen Beispiels, wenig Neigung. Vielleicht hätte er sich von vornherein für sein späteres Studium, die deutsche und romanische Philologie, entschieden; doch galt dieselbe damals noch nicht für ein Fach- oder Brodstudium.

Als Bruder Studio, zu welcher Würde er schon mit vierzehn Jahren kam, liebte er bereits die Einsamkeit und das Wandern und Wandeln „so für sich hin“ in der an landschaftlicher Schönheit überaus reichen Umgegend seines Heimathortes. Außer der unweit von Tübingen gelegenen Wurmlinger Capelle („Droben stehet die Capelle“) sind viele andere dortige Punkte – mehr oder weniger deutlich in seinen Liedern zu erkennen – von ihm verherrlicht worden. Von zwei poetischen Freunden, mit denen er derzeit nähern Umgang pflog, setzte er dem einen in dem bekannten Gedichte „Auf der Ueberfahrt“ einen Denkstein; denn der „junge, hoffnungsreiche Gefährte“ ist ein gewisser F. Harpprecht aus Stuttgart, später ein Opfer des russischen Feldzugs.

„Dieser, brausend vor uns Allen,
Ist in Kampf und Sturm gefallen.“

Der „vatergleiche“ Freund war ein Pfarrer Hofer, Bruder seiner Mutter. Der Ort der Ueberfahrt liegt bei Cannstatt.

Dieses Gedicht leitet uns hinüber zu einer spätern Lebensperiode des Dichters. Nach absolvirtem Studium und der wissenschaftlichen Reise nach Paris war Uhland eine Zeitlang vom Ende des Jahres 1812 an in Stuttgart im Bureau des Justizministers mit der Ausübung einer Art von Staatsanwaltschaft beschäftigt, eine Thätigkeit, die er jedoch bald wieder aufgab. Dann führte er bis zu der Zeit, wo er Volksvertreter wurde, neben dem Betriebe seiner Advocatur nicht selten Armenprocesse. Doch seine erste und wärmste Theilnahme widmete er stets den vaterländischen Angelegenheiten. Seine Rückübersiedelung von Stuttgart nach Tübingen und sein Antritt der Universitätsprofessur deutscher Literatur erfolgten 1830. Von 1836 an bis zu seinem Tode wohnte er, wie eine Inschrift, kurz vor dem Feste am Uhlandshause in der Nähe der Neckarbrücke angebracht, in goldenen Lettern verkündet, behaglich angesiedelt, am Fuße des Oesterberges.

Vom Bahnhofe führt die Landstraße gerade auf dieses Haus zu, welches am Eingange zur eigentlichen Stadt liegt. Ueber demselben ziehen sich Weinberge in die Höhe. Man sieht auch das schlichte Gartenhäuschen, in dem er so viel Poetisches geschaffen. Das Wohnhaus ist ein zweistöckiges, gelb getünchtes Haus mit einem vorspringenden Unterbau, der während des Festes von einer dichten tannenen Einfassung umgeben war. Daran befindet sich auch die Ehrentafel. Auf dem Unterbau ist ein Altan angebracht; als dritter Stock kann ein schmuckloser

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 504. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_504.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)