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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

mit ihnen nur mit specieller Erlaubniß, mit den weiblichen Familiengliedern ganz entschieden niemals ohne Beisein eines anderen Ordensbruders! Schreiben darf man an sie nur mit besonders eingeholter Erlaubniß des Obern, dem auch die Briefe abgegeben werden und der sie auch nicht abschicken soll, wenn er es nicht für gut befindet in dem Herrn! Den umgekehrten Weg gehen die ankommenden Briefe. Der Obere bekommt sie, liest sie durch und giebt sie nach seinem Gutdünken ab oder nicht ab! Auf das Absenden eines Briefes ohne Erlaubniß, gleichviel an wen, ist der kleinere Bann gesetzt!

Der Jesuit ist also für seine Familie, sowie diese für ihn verloren. Der Obere ist sein Vater, die Gesellschaft seine Mutter (ich habe sie nur als Stiefmutter kennen gelernt), die anderen Jesuiten seine geliebten Brüder in dem Herrn, die er daher „Geliebteste“ (carissimi) zu tituliren hat. Es wird dies auch als besondere Belohnung von Seiten Gottes gepriesen, daß er für das Verlassen einer Familie und eines Hauses so viele Brüder und so viele Häuser verleiht. Denn in der That findet der reisende Jesuit in jedem Colleg stets freundliche Aufnahme. Darin soll sich das Wort Christi bewahrheiten: „Wer Vater und Mutter um meinetwillen verläßt, wird es hundertfach wieder erlangen.“

Zur Verspottung der „sündhaften Elternliebe“ war in unseren ascetischen Lesebüchern folgende Wunderanekdote verzeichnet: Ein Pater befand sich auf der Reise zu seiner Mutter, zu der er nach langem Bitten die Erlaubniß erhalten hatte. Unterwegs wurde er ersucht, kraft seiner priesterlichen Gewalt einen vom Teufel Besessenen zu heilen. Als er an diesen heranging und die vorgeschriebene Formel betete, verspottete ihn der Teufel durch den Mund das Besessenen, indem er vor der versammelten Menge schrie: „Mama! Mama!“ – weshalb der Pater mit Schimpf abziehen mußte.

Ferner soll das Vaterland vergessen werden. Sowie die zum Militär Ausgehobenen ihren Beruf verlassen müssen, um, so lange sie Soldaten sind, sammt und sonders dem einzigen Waffenhandwerk zu folgen, so geht es den Jesuiten betreffs ihrer Nationalität. Alle Nationalgefühle der Einzelnen müssen vollkommen aufhören, damit sie sich nur als Glieder einer einzigen Nation fühlen, die unter allen Nationen zerstreut ist. Wenn einzelne Klöster etwas für das Land thun, in welchem sie liegen, so thun sie dies nur aus Zwang oder anderer Umstände halber, nicht aus Patriotismus, denn dieser wird in den Zöglingen systematisch erstickt. Die Erwähnung des Vaterlandes war uns völlig verboten, und zwar nicht nur, wenn Angehörige verschiedener Länder untereinander waren, was vielleicht in dem Streben nach Erhaltung des inneren Friedens seine Erklärung finden könnte, sondern auch den Angehörigen desselben Staates untereinander. Es durfte sich Keiner als Deutscher, Preuße etc., sondern nur als Jesuit fühlen.

Ich befand mich die ganze Zeit meines Klosterlebens hindurch in Collegien, in denen die preußische, deutsch-österreichische und polnische Nationalität fast zu gleichen Theilen vertreten waren. Wir Deutsche und besonders wir Preußen waren fortwährend eines als unreligiös geltenden patriotischen Particularismus verdächtig. Sobald man uns zusammen sah, sprengte man uns sofort auseinander und gab uns wegen dieser Nährung der weltlichen Vaterlandsliebe Verweis über Verweis. Deutsch durften wir lange Zeit hindurch gar nicht sprechen, da wir in dieser Sprache unsere Meinungen am besten austauschen konnten. Der Rector (selbst ein Deutscher und preußischer Unterthan) äußerte zur Motivirung dieses seines Verbotes: es scheine ihm, als sei die deutsche Sprache dazu da, um in ihr Gott zu beleidigen.

Auch Politik durften wir Studirenden nicht treiben. Vom Kriege von 1864 erfuhr ich erst nach zwei Jahren. Im Kriege von 1866 war es uns vorgeschrieben, für welchen Theil wir sympathisiren sollten. Es wurde uns nämlich mitgetheilt, das ketzerische Preußen befinde sich mit dem katholischen Oesterreich in einem Kriege, welcher ein Religionskrieg sei und nur die Ausbreitung des Protestantismus in Deutschland bezwecke. (Dasselbe wurde auch von der Kanzel herab dem gläubigen Volke verkündigt.) Der Orden müsse daher für das Wohl Oesterreichs beten, nicht etwa aus Liebe zu diesem Lande, welches auch nicht im Geiste Gottes verwaltet würde, und weil es an sich gleichgültig sein müsse, wer siegen würde, sondern lediglich aus Liebe zum Katholicismus. Nach der Affaire von Königgrätz war die Niedergeschlagenheit groß. Gott hat Oesterreich durch Preußens Zuchtruthe gestraft, sagte man, wird aber bald auch die Ruthe verwerfen und verbrennen. Ich wiederhole an dieser Stelle nochmals, daß ich nur das berichte, was ich gesehen, gehört und erfahren habe.

Auch die Freundschaft soll unterdrückt werden. Was die Freunde außerhalb des Klosters anlangt, so versteht sich dies von selbst. Aber auch im Kloster selbst darf der Jesuit keinen Freund haben. Alle seine Mitbrüder soll er auf gleiche Weise lieben, zu keinem derselben darf er sich besonders hingezogen fühlen. Die besondere Freundschaft (amicitia particularis) ist ein arg verpöntes Ding und wird als Quelle vieler Sünden betrachtet. Sie ist an sich schon Gott nicht angenehm, da man außer ihm Niemand lieben dürfe. Ferner könnten intime Freunde leicht ihre Schwierigkeiten gegenseitig austauschen und sich in einem ordnungswidrigen Geiste bestärken, weshalb ihnen die Freundschaft zum Verderben gereichen würde. Um dieses Unheil zu verhüten, dürfen niemals zwei allein längere Zeit zusammen sein, sondern wenigstens drei, und zum Spaziergange werden diejenigen, welche zusammengehen sollen, bestimmt.

Das möge über den ersten Zweck des Ordens vor der Hand genügen. Betrachten wir nun den andern Zweck, welcher sich dem Seelenheile des Nächsten zuwendet.

Hundertmal wurde uns in den Erklärungen der Regeln, besonders derer über den Zweck des Ordens, und in den vielen ascetischen Büchern, die wir pflichtschuldigst lesen mußten, die Geschichte der Entstehung des Ordens auf eine Weise vor die Augen geführt, als ob dieselbe während der Wirren der Reformationszeit als eine besondere Fügung und Bestimmung des weisen und für das Wohl seiner heiligen Kirche besorgten Gottes geschehen wäre, und so ist’s denn auch allbekannt, daß die Tendenz des Ordens dem Protestantismus und jeder von dessen Entstehung sich datirenden Gewissens- und Forschungsfreiheit diametral entgegensteht. Er pflanzt als Hort des Romanismus überall das Banner der starrsten, der verknöchernden Orthodoxie auf und trachtet danach, daß nur eine einzige sogenannte Tugend, die des unbedingten Gehorsams und der Unterwerfung des Verstandes und Willens unter die Machtsprüche der Hierarchie, geübt werde. Mit Einem Worte: Alles soll im Gehorsam gegen die Kirche aufgehen. Gehorsam und Kirche sind aber nach der Meinung der Jesuiten untrennbare Begriffe. Der Satz „Ubi Petrus, ibi ecclesia“ wird in seiner ganzen Bedeutungsfülle angenommen. Der ganze Orden steht dem Papste zur Disposition, jedes ältere Mitglied muß ein besonderes Gelübde des Gehorsams gegen den Papst ablegen. Die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes in rebus fidei et morum gehört zu denen, die als aus dem kirchlichen Glauben selbst fließend in der Gesellschaft Jesu von Anfang an gelehrt werden mußten. Als andere Lehren der Art – was ich nebenbei bemerke – wurden uns genannt: die unbefleckte Empfängniß Mariens (die vor ihrer Dogmatisirung jeder Jesuit durch ein Gelübde zu vertheidigen sich verpflichten mußte), die körperliche Himmelfahrt Mariä und die ganz abnorme Lehre, daß, obwohl ein Katholik an und für sich und direct zur Heiligenverehrung nicht verpflichtet sei, er jedoch ohne Verehrung Maria’s die Seligkeit durchaus nicht erlangen könne.

So wie der Orden des Papstthums, so ist auch das Papstthum des Ordens vornehmste Stütze. Papst Paul der Dritte, der die Regeln des Ordens bestätigte, soll in ihnen einen besondern Fingerzeig Gottes (digitus Dei) erkannt haben, was bei der päpstlichen Unfehlbarkeit für die beste Garantie der göttlichen Einsetzung des Ordens gehalten wird. So wurden Papstthum und Jesuitenorden durch wechselseitige Bande aneinandergelegt und einander unentbehrlich.

Die Bekehrung Andersgläubiger zum orthodoxen Romanismus ist der Hauptzweck der Gesellschaft Jesu. Wenn ein Ketzer oder freisinniger Katholik einer Unterredung mit einem Jesuiten gewürdigt wird, so kann er gewiß sein, daß die Proselytenmacherei gegen ihn beginnt. Einer meiner Collegen suchte sogar seine protestantische Mutter in allen seinen Briefen zur Bekehrung zu bewegen, weil sie sonst dem ewig brennenden Höllenfeuer unfehlbar anheimfallen müßte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 501. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_501.JPG&oldid=- (Version vom 3.8.2020)