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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)


„Achtzehn Kreuzer!“ – „Wofür?“ – „Für’s Niedersetzen.“ Madame schnellt entrüstet auf, aber der liebende Gatte drückt sie sanft nieder und bemerkt ihr, daß sie die Summe nun bis zum Schluß der Ausstellung Abends sieben Uhr absitzen könne. Es ist von dem Ehetyrannen eine kleine Malice. In der Rotunde hatte er an einem der Buffets Halt machen wollen, an dem reizende Wienerinnen serviren, aber die liebende Gattin zog ihn sanft hinweg unter dem Vorgeben, daß es hier zu theuer sei, und nun muß sie hier für den einfachen Sitz dasselbe bezahlen, wofür der Gatte am Buffet von den „feschen Schenkinnen“ noch ein Glas Bier obendrein erhalten hätte. So rächt sich die Eifersucht.

Links von der Rotunde kann unser Ehepaar seinen Rundgang fortsetzen, zuerst nach Deutschland, von da nach Belgien, Dänemark, Italien dann seinen Besuch abstatten, den Uebergang über die Alpen durch den Mont-Cenis machen, längere Zeit in Frankreich verweilen, dann dem Inselreiche jenseit des Canals seine Aufmerksamkeit zuwenden, und von da aus durch den Ocean die Republik der Vereinigten Staaten aufsuchen und mit Südamerika endigen – eine Reise durch die Culturländer der Gegenwart – eine Reise um die Welt in drei bis vier Stunden. Mehr als einmal wird es dem Gatten begegnen, seine bessere Hälfte mit leiser Gewalt von den Diamanten, Spitzen, den Möbeln, den Porcellanen und Krystallen Frankreichs und Englands hinwegzuziehen, während Madame wieder bei manchen Ausstellungsgegenständen Englands und Nordamerikas, die den Mann interessiren, ein discretes Gähnen nicht wird unterdrücken können. Es wäre nicht die erste eheliche Scene, die in den Räumen des Weltausstellungspalastes spielte, aber am Ausgang am Westportal pflegt der Friede wieder hergestellt zu sein. Von da hat man noch einen kurzen Weg, zu den Omnibussen zu gelangen, die auf Gesichtsweite am Platze aufgestellt sind und den Besucher der Weltausstellung nach dem Stefansplatze in der Stadt zurückbringen, falls dieser nicht vorziehen sollte, seinen Rückweg durch das Südportal zu nehmen, durch welches er eingetreten ist. Hier hat er in der langen Allee des sogenannten Nobelpraters das bunte und bewegte Leben und Treiben der eleganten Welt Wiens vor Augen. In der Allee fahren die eleganten Equipagen. Vor den Kaffeehäusern promenirt die schöne Welt oder sitzt auf Eisenstühlen spazieren. Aus den Gärten ertönt überall Musik, während man dem Westportale aus mit dem Omnibus mitten durch das eigentliche Volkstreiben Wiens, durch den sogenannten Wurstlprater dahinfährt. Ob elegant oder volksthümlich, Leben und Bewegung ist überall, und beide Wege gleich interessant, nur daß Madame bei dem Wege vom Südportal aus eine Strecke zu Fuß gehen muß, ehe sie vom Praterstern zum Omnibus oder zur Tramway gelangen kann. Aber die Toiletten des Nobelpraters werden sie vielleicht mehr fesseln, als die Schaubuden mit den Jongleurs und Feueressern des Wurstlpraters.

Die Sympathie des bescheidenen Portemonnaies, welche den Schreiber mit dem Gros der Leser der Gartenlaube verbindet, ermuthigt ihn, in seinen Ratschlägen zu weiteren Besuchen der Weltausstellung fortzufahren. Unbestritten der interessanteste Theil derselben ist die ethnographische Abtheilung, eine Vereinigung alles Dessen, was wir über Land und Leute in und außer Europa bereits wissen oder auch nicht wissen, jedenfalls aber kennen zu lernen nicht abgeneigt sind. Man kann die ganze Gruppe zwischen dem Südportale und der Rotunde, also von Westen bis Osten, etwa von der amerikanischen Restauration am Westeingange bis zum Ballon captif oder der Militärcaserne am Osteingange, mit einem zweiten Besuche abmachen, ebenso die Abtheilung zwischen dem Industriepalaste und der Maschinenhalle und diese selbst mit einem dritten Besuche absolviren, oder je nach Zeit mehrere Tage darauf verwenden – ich will hier nur die zweckmäßigste Beförderungsweise an die Hand geben. Will man die Wanderung vom Westportale an beginnen, dann nehme man einen der Omnibusse, die am Stefansplatze links an der Häuserreihe aufgefahren sind und die Aufschrift „Weltausstellung“ tragen; macht man dagegen den Anfang von der Ostseite, so erwarte man an der Ringstraße einen der Wagen der Pferdebahn, welcher die Tafel mit der Inschrift „Sofienbrücke“ führt; derselbe bringt den Fahrgast bis auf hundert Schritte an den Osteingang. Ebenso geschieht auch die Beförderung nach der Stadt zurück. Der Eintritt in die Weltausstellung kostet fünfzig Kreuzer, mit Ausnahme der Mittwoche und Sonnabende, wo das Entrée das Doppelte, einen Gulden beträgt. Doch kann man auf allen Post- und Eisenbahnämtern Abonnementskarten zu zehnmaligem Eintritt zu vier Gulden haben.

Natürlich können sich diese Fingerzeige nur auf Das beschränken, was Allen gemeinsam ist. Jeder Besucher der Weltausstellung bringt ein anderes Auge und einen andern Sinn mit. Diesen fesseln rein technische Interessen, den Andern nur ganz allgemeine. Eine Norm für den Besuch aufzustellen wäre völlig zwecklos und gliche jenem Jean Paul’schen Witze, der Testamentsclausel in den Flegeljahren, die der Judenschaft einen Sitz in der evangelischen Kirche vermacht. Jedermann wird bald von selbst finden, wohin er gehört und was für seine Zwecke und Liebhabereien zu sehen und zu preisen ersprießlich und amüsant ist. Nur für eine Abtheilung möchte ich jedem Besucher in seinem eigenen Interesse eine ganz bestimmte Weisung geben, ja eine Bitte an ihn richten, nämlich die, der Ausstellung für bildende Kunst und der Sammlung von historischen Kunstwerken, welche in den beiden sogenannten Pavillons des amateurs zu sehen sind, einen Tag – einen halben Tag – eine Stunde – aber nur einen dieser Abtheilung ausschließlich bestimmten Besuch zu schenken. Die Meisten begehen den großen Fehler, die Kunstwerke der Malerei und Bildhauerei nur so im Vorübergehen anzusehen, wenn sie von dem Anschauen der Tausende und aber Tausende dem materiellen Leben dienenden Gegenstände bereits müde und abgehetzt sind. Die Kunst, als die geistige Abklärung des rings in allen Factoren vertretenen materiellen Lebens, als die höchste Blüthe des Menschendaseins, hat ihr unbestrittenes Recht, hier vertreten zu sein, aber ihr Platz ist des Sonntags nach all’ dem Drang und aller Mühe der Werktage; sie verlangt eine gesammelte, erhöhte Stimmung. Man trete, wenn man von Farben, Marmor, Gestalten und Ideen gesättigt ist, hinaus unter die grünen rauschenden Bäume, man lasse die gehobene Stimmung in den Tonwellen des Strauß’schen Orchesters nachwirken, man kann sich selbst bei einer Tasse Kaffee oder einem Glase Marinata aus den Kirschenaugen der Italienerin Emilia in dem italienischen Café einen Blick holen, aber man verkürze der heiligen Kunst ihr Recht nicht! Sie so en passant abmachen, erscheint mir ebenso profanirend, als wenn die Wiener Frauen mit den gefüllten Gemüse- und Fleischkörben im Vorbeigehen in der Kirche schnell ihre Andacht abmachen.

Da aber der Mensch nicht allein vom Schauen lebt und mit diesem Worte eine gewisse Bewegung des Mundes in einem Reimverhältnisse steht, so dürften einige Andeutungen darüber unserm Ehepaare und den künftigen Besuchern der Weltausstellung nicht ohne Nutzen sein. Am praktischsten würde es wohl sein, um elf oder zwölf Uhr in der Stadt ein compactes zweites Frühstück mit Fleisch und Wein oder Bier zu nehmen und so wohlbewaffnet sich auf den Weg nach der Weltausstellung zu machen, dort bis fünf oder sechs Uhr des Abends zu bleiben und in der Stadt dann das Diner zu nehmen, wenn um diese Zeit in einem Wiener Gasthause oder einer Restauration überhaupt noch ein Mittagessen zu haben wäre. Im Essen und Trinken haben die Wiener den Bedürfnissen und Gewohnheiten der Fremden gar keine Concession gemacht; diese sind genöthigt, ihre Mahlzeiten nach dem Geschmacke und der Zeit der Einwohner von Wien einzurichten. Nur einige Restaurants machen eine Ausnahme, z. B. Sacher in der Kärnthnerstraße, bei dem man ein sehr gutes zweites Frühstück für anderthalb Gulden und ein Diner von drittehalb Gulden an bekommt, Alles so vorzüglich wie bei den Frères provençaux und um die Hälfte des Preises als bei diesen.

Unter diesen Umständen bleibt unseren Reisenden wohl nichts Anderes übrig, als im Kreise der Weltausstellung ihr Mittagsmahl zu halten. Für mittlere Ansprüche sind das Pilsener Bräuhaus, die Liesinger Bierhalle hart am Westeingange zu empfehlen; regen sich nach dem Mittagessen in Madame Gelüste nach einer Tasse Kaffee mit Kuchen, so kann die Schweizer-Conditorei ganz in der Nähe dieselben befriedigen. Befindet man sich am Osteingange, so möchte Sacher in der Kriau am rathsamsten sein. Wer höhere Ansprüche macht, wird bei den Elsässern hinter dem Industriepalaste ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_488.JPG&oldid=- (Version vom 27.8.2018)